«Opfer ihrer eigenen Terrortaktik»
Von Peter Downes
Rosa Luxemburg war eine charismatische, begabte und leidenschaftliche Marxistin. Nicht nur wegen des grausamen Mords an ihr und Karl Liebknecht wurde sie zur Ikone der Linken.
Beide sind am selben Tag umgebracht worden und liegen nebeneinander auf dem Berliner Zentralfriedhof Friedrichsfelde begraben. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sind auch im gleichen Jahr 1871 vor 150 Jahren geboren und wurden Führer der Kommunistischen Partei Deutschlands.
Eine polnisch-jüdische Aktivistin
Rosa Luxemburg erblickte als Rozalia Luxenburg am 5. März 1871 im heutigen polnischen Zamos, damals Teil des russischen Zarenreiches, das Licht der Welt. Sie war das fünfte und jüngste Kind des wohlhabenden Holzhändlers Eliasz Luxenburg. Die Familie ihrer Mutter Lina, die Löwensteins, waren als Rabbiner und Hebraisten nach Zamość gekommen. Als Rosa zwei Jahre alt war, zog die Familie nach Warschau, wo sie später ein Mädchengymnasium besuchte, das sie mit einem glänzenden Abschlusszeugnis beendete.
Sie beherrschte mehrere Sprachen. Zu Hause wurde neben dem Polnischen auch Deutsch und Russisch gesprochen. Sie pflegte später auf SPD-Parteitagen ihre Notizen auf Jiddisch zu machen, die bevorzugte Sprache ihrer Mutter. Rosa liest Karl Marx’ Werke «Das Kapital» und «Das kommunistische Manifest». Die dort beschriebene Ausbeutung der Arbeiterklasse wird ihr Antrieb, sich für den Klassenkampf zu engagieren. So war sie schon als Jugendliche eine sozialistische Aktivistin. 1888 musste sie wegen ihrer politischen Aktivitäten und Äußerungen vor der Zarenpolizei in die Schweiz flüchten.
In der Schweiz begann sie im Herbst 1889 das Studium der Philosophie, Mathematik, Botanik und Zoologie, später studierte sie Rechtswissenschaften, Volkswirtschaftslehre und Geschichtswissenschaften. Diese Vielfalt ihrer Interessen spiegelt sich dann auch in ihren Zeitungsartikeln und Schriften wider. Politisch wurde sie immer aktiver und pflegte Beziehungen zu Marxisten.
Klassenkampf vorwärtstreiben
Als 22-jährige Studentin nahm sie 1893 in Zürich am Kongress der Sozialistischen Internationale als Delegierte teil. Sie verstand sich stets als entschiedene «Internationalistin» und nicht als Jüdin. Sie war keine Feministin, obwohl sie heute ein Vorbild der Feministinnen ist. Lediglich an einem einzigen Frauenkongress der SPD nahm Rosa Luxemburg 1911 teil, bei dem sie nicht einmal das Wort ergriff.
Ihr Interesse am Wahlrecht für Frauen bestand darin, die «Massen des weiblichen Proletariats» zu mobilisieren. Es ging ihr darum, die Arbeiter für die Revolution zu gewinnen, nicht aber darum, die Stimme der Frauen in der Gesellschaft zu stärken. Sie meinte: «Das allgemeine, gleiche, direkte Wahlrecht der Frauen (…) würde den proletarischen Klassenkampf ungeheuer vorwärtstreiben und verschärfen.» Ihr Ziel war der Umsturz der Gesellschaft und sie forderte, dass «die heutige Gesellschaft unter den Hammerschlägen des revolutionären Proletariats in Trümmern stürzt.» Es ist diese Rhetorik, die ihre Gegner in Alarmbereitschaft versetzte.
Nach ihrer Promotion 1898 zog sie nach Berlin, um in die SPD einzutreten, die größte Arbeiterpartei Europas. Für ihre Partei war sie als brillante Rhetorikerin auf Wahlkampftouren unterwegs. Sie pflegte mit verschiedenen Politikern Kontroversen, darunter auch mit Edward Bernstein, Lenin und Karl Kautsky. Der österreichische Sozialdemokrat Viktor Adler wurde zu einer ihrer vehementesten Gegenspieler und bezeichnete sie und Clara Zetkin 1910 in einem Brief an den Parteivorsitzenden der SPD, August Bebel, als «zwei hysterische Weiber».
«Radikaler als die Männer»
Sie strebte nach einer Befreiung der Menschen durch den Sozialismus, nicht nach der Durchsetzung von Rechten einzelner Gruppen. Ihre Radikalität brachte sie immer wieder in Konflikt mit der Ordnungsmacht. 1904 und 1906 musste sie wegen Majestätsbeleidigung und «Aufreizung zum Klassenhass» eine Haftstrafe absitzen.
Zusammen mit Clara Zetkin galt sie als Unruhestifterin. Es gelang Clara Zetkin 1910 bei einer Veranstaltung zur preußischen Wahlrechtsreform 700 Personen, mehrheitlich Frauen, zu versammeln. In einer Randnotiz im Polizeibericht zur Demonstration findet sich der Kommentar: «Die Frauen Zetkin, Luxemburg u.a. sind (wieder einmal) radikaler als die Männer. Da werden Weiber zu Hyänen.»
Rosa Luxemburg rief zum Streik auf, um ihre politischen und sozialen Forderungen durchzusetzen. Für die Mehrheit der Sozialdemokraten wurde sie zunehmend zu einer verhassten Rhetorikerin des Sozialismus.
«Spartakusaufstand»
Karl Liebknecht wurde der Marxismus quasi in die Wiege gelegt: Seine Taufpaten waren Karl Marx und Friedrich Engels. Mitglied der SPD wird der Rechtsanwalt Liebknecht zwei Jahre nach Luxemburg im Jahr 1900 – sein Vater Wilhelm war Mitgründer der Partei. 1912 zieht Liebknecht als SPD-Abgeordneter in den Reichstag ein.
Die sozialdemokratischen Parteigenossen werden für Liebknecht und Luxemburg im Laufe der Geschichte zu politischen Gegnern. Am 4. August 1914 stimmt die SPD-Reichstagsfraktion einstimmig mit den übrigen Fraktionen für die Aufnahme der ersten Kriegskredite. Damit ermöglicht auch die SPD die Mobilmachung Deutschlands für den Ersten Weltkrieg. Die Antimilitaristin Luxemburg gründete daraufhin mit den übrigen Kriegsgegnern in der SPD die «Gruppe Internationale». Daraus ging später der Spartakusbund hervor, der die Diktatur des Proletariats und die Räteherrschaft anstrebte. Kriegsgegner Liebknecht schließt sich an. Aus dem Spartakusbund entwickelte sich im Dezember 1918 die Kommunistische Partei Deutschlands.
Nach der Abdankung des Kaisers glaubt Rosa Luxemburg ihre Stunde gekommen und drängt zu einem gewaltsamen Aufstand; sie schreibt und agitiert. Obwohl sie erklärte, nur mit einer Mehrheit der Deutschen eine Machtübernahme anzustreben, unterstützte sie dennoch gemeinsam mit Karl Liebknecht am 5. Januar 1919 eine zweite Revolte in Berlin, die als «Spartakusaufstand» bekannt wurde. Die SPD-Führung rief daraufhin die Armee, um den Aufstand niederzuschlagen. Damit war die Spaltung der linken Parteien endgültig besiegelt.
Ihr Aufruf zu Massenstreiks brachte ihr in der Presse den Ruf der «blutigen Rosa» ein. Solche Kritik kam aber auch aus den Reihen linksliberaler Kreise. In der Nacht zum 15. Januar wurden Luxemburg und Liebknecht verschleppt, von Mitgliedern des Freikorps gefoltert und daraufhin ermordet.
Sozialdemokrat Philipp Scheidemann sagte noch am 15. Januar in Kassel in einer SPD-Versammlung: «Ich bedauere den Tod der beiden aufrichtig.» Und fügte hinzu: «Sie haben Tag für Tag das Volk zu den Waffen gerufen und zum gewaltsamen Sturz der Regierung aufgefordert. Sie sind nun selbst Opfer ihrer eigenen Terrortaktik geworden.»
Bundespräsident Theodor Heuss schildert Rosa Luxemburg in seinen Lebenserinnerungen: «Ich merkte sehr bald, dass etwa Rosa Luxemburg eine ungewöhnlich intelligente Frau war, mit einem scharfen Verstand, der dem dialektischen Spiel die sichere Form zu geben wusste. (…) Karl Liebknecht, der sich damals mit dem väterlichen Namen gestärkt, auf dem Wege wusste, den Kampf um die Nachfolge Bebels einzuleiten, hat mich nicht zu beeindrucken verstanden.»
Die zierliche, nur 1,50 Meter große und wegen eines Hüftleidens hinkende Frau ist heute wegen ihrer politischen Schriften und ihrer starken Persönlichkeit zu einer Kultfigur geworden. Mit Luxemburgs und Liebknechts Namen bleiben dennoch auch ihre Diskrepanz zwischen pazifistischer Einstellung und Aufruf zu Gewalt und Bürgerkrieg verbunden.
Zur Lektüre sei empfohlen: Ernst Pieper, Rosa Luxemburg. Ein Leben, München: Blessing, 2. Auf. 2019