Viele kennen Erich Kästner als Kinderbuchautor, für seinen «Emil» oder «Das doppelte Lottchen». Sein Roman «Fabian», der ihm die Feindschaft der Nazis einbrachte und jetzt neu verfilmt worden ist, hat eine bewegte Geschichte – und wird dieses Jahr 90 Jahre alt.
Nur wenige deutschsprachige Literaten haben so generationenübergreifend wie Erich Kästner geschrieben. Der Durchbruch gelang ihm 1929 mit dem Kinderbuch «Emil und die Detektive». Auch bei «Pünktchen und Anton», «Das fliegende Klassenzimmer» oder «Das doppelte Lottchen» bewies er die Kunst, für junge Lesende auf Augenhöhe zu schreiben.
Sein einziges sogenanntes Erwachsenenbuch erschien vor 90 Jahren: der berühmt-berüchtigte «Fabian». Die deutsche Neuverfilmung des Romans von 1931 soll noch 2021 veröffentlicht werden. Tom Schilling spielt die Hauptrolle.
Zeitroman
«Fabian»-Schauplatz ist Berlin zur Zeit der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre in einem gesellschaftlich gespaltenen Klima und im Angesicht des Aufstiegs der Nationalsozialisten. Der damalige Wahl-Berliner Kästner (1899 in Dresden geboren, 1974 in München gestorben) schrieb das Werk als Zeitroman zu den aktuellen Zuständen in der Weimarer Republik. Das Buch entstand zwischen Oktober 1930 und Juli 1931. Im Vergleich zu anderen Werken nahm sich Kästner mehr Zeit dafür, was wohl zeigt, wie wichtig ihm dieser Stoff persönlich war. Am 15. Oktober 1931 wurde das Buch ausgeliefert. Kästner bekannte damals, Lampenfieber ob der anstehenden Kritiken zu haben. Innerhalb weniger Wochen waren Zehntausende Exemplare verkauft.
Die andere Seite der Goldenen Zwanziger
Jakob Fabian ist 32 Jahre alt, war mal Journalist und arbeitet nun als Reklametexter für eine Zigarettenfirma. Sein bester Freund Labude ist Literaturwissenschaftler und will sich mit einer Arbeit über Lessing habilitieren. Während Labude politisch zu handeln versucht, bleibt Fabian lieber passiver Beobachter. Beim Besuch im Atelier einer Bildhauerin trifft Fabian die Juristin Cornelia Battenberg. Die beiden verlieben sich und erleben einige Tage unbeschwerten Glücks.
Als Fabian plötzlich arbeitslos wird, lässt sich Cornelia – teils um ihm zu helfen, teils um Karriere zu machen – mit einem Filmmagnaten ein und wird dessen Geliebte. Labude bekommt die Nachricht, dass seine Habilitationsschrift abgelehnt worden sei, und nimmt sich das Leben. Es kommt heraus, dass die Ablehnung nur die Lüge eines missgünstigen Assistenten war. Fabian geht betrübt in seine Heimatstadt Dresden zu seinen Eltern zurück. Den Job bei einer rechten Zeitung lehnt er ab. Bei einem Spaziergang springt Fabian in den Fluss, um einen Jungen zu retten. Aber: «Der kleine Junge schwamm heulend ans Ufer. Fabian ertrank. Er konnte leider nicht schwimmen.»
Jakob Fabian
Der Germanist Dr. Jakob Fabian ist ein gutmütiger, aber auch ironischer Mensch. Als sogenannter Moralist ist er ein scharfer Beobachter. Da er auf die bürgerliche Moral pfeift, lernt er Leute aus allen sozialen Schichten kennen. Im Laufe der Geschichte erkennt er die Verlogenheit scheinbar ordentlicher Verhältnisse, besucht Etablissements für sexuell «Aufgeschlossene», betrinkt sich mit Journalisten und bekommt auch Einblick in die gewissenlose Manipulation bei Medien. So wird er etwa Zeuge, wie ein Redakteur die Rede des Reichskanzlers redigiert, dadurch der Umbruch auf der Titelseite der Zeitung nicht mehr stimmt, weshalb rasch eine Kurznachricht über tödliche Straßenkämpfe in Kalkutta erfunden wird: «Merken Sie sich Folgendes: Meldungen, deren Unwahrheit nicht oder erst nach Wochen festgestellt werden kann, sind wahr.»
Geschichte des Titels
Kästner schlug unter anderem «Saustall» und «Jugend im Vacuum» vor, was sich allerdings nicht mit den Vorstellungen des Lektors bei der Deutschen Verlags-Anstalt in Stuttgart deckte. Das führte zum Titel «Fabian – Die Geschichte eines Moralisten». Der Titel sollte die Hauptfigur mitsamt seinem Charakter vorstellen. Auf Wunsch des Verlags wurden einige sexuelle Ausdrücke und ein Kapitel gestrichen, in dem ein Chef mosert und seine Blinddarmnarbe zeigt.
Der Gang vor die Hunde
Erst 2013 erschien beim Atrium-Verlag in Zürich die Originalfassung von «Fabian», unter dem Titel «Der Gang vor die Hunde», den Kästner stets bevorzugt hatte. Im Grunde genommen sei die Neuausgabe eine «imaginäre Erstausgabe», schrieb Herausgeber und Kästner-Spezialist Sven Hanuschek. Sie bot zum ersten Mal als durchgehend lesbaren Text die Urfassung des Romans, wie sie in Kästners Nachlass im Deutschen Literaturarchiv in Marbach liegt, mitsamt mehreren Nachworten. Für den 18. März kündigt Atrium eine Buch-Ausgabe mit Tom Schilling auf dem Titel an: die sogenannte Romanvorlage zum Film: «Fabian – Der Gang vor die Hunde».
Der «Fabian» brachte Kästner die Feindschaft der Nazis ein, der nationalsozialistische «Völkische Beobachter» überschrieb Anfang der 1930er eine Rezension mit «Gedruckter Dreck». Der Roman sei eine «Sudelgeschichte», voller «Schilderungen untermenschlicher Orgien». Aus heutiger Sicht ist das wohl ein großes Kompliment.
Bücherverbrennung
Als Hitler an die Macht gekommen war, wurde es für Kästner und Autoren wie Heinrich Mann und Erich Maria Remarque gefährlich. «Im Jahre 1933 wurden meine Bücher in Berlin, auf dem großen Platz neben der Staatsoper, von einem gewissen Herrn Goebbels mit düster-feierlichem Pomp verbrannt», erinnerte sich Kästner später an den 10. Mai 1933. Er sei als einziger der Autoren persönlich dabei gewesen. «Plötzlich rief eine schrille Frauenstimme: «Dort steht ja der Kästner!»» Eine junge Kabarettistin, die sich durch die Menge gezwängt habe, habe ihn stehen sehen und ihrer Verblüffung übertrieben laut Ausdruck verliehen. «Mir wurde unbehaglich zumute. Doch es geschah nichts. (Obwohl in diesen Tagen gerade sehr viel zu «geschehen» pflegte.) Die Bücher flogen weiter ins Feuer.»
Theater und Film
Immer wieder bringen Theater den Roman auf die Bühne. Die Premiere einer von Regie-Altmeister Frank Castorf (69) geplanten Inszenierung am Berliner Ensemble verhinderten 2020 die Corona-Lockdowns zuletzt gleich zweimal – Ende März und Mitte November. Ein neuer Premierentermin ist noch unklar.
Regisseur Wolf Gremm (1942-2015) verfilmte «Fabian» im Jahr 1979. Hans Peter Hallwachs (heute 82) spielte die Titelrolle. Die Uraufführung war am 25. April 1980. Ende Juli bis Mitte September 2019 drehte Regisseur Dominik Graf (68) in Görlitz, Berlin und Brandenburg als ZDF-Koproduktion einen neuen «Fabian»-Film. Tom Schilling (38) mimt Fabian, Albrecht Schuch (35) den Labude und Saskia Rosendahl (27) Cornelia. Kinostart soll nun am 15. April sein.