«Mehr als nur eine Heimat»
Von Nicole Erler
Die seit etwa den1850er Jahren eingewanderten Deutschen, Schweizer und Österreicher haben Chile in mancherlei Hinsicht geprägt. Doch wie geht es Chilenen, die heutzutage in ein deutschsprachiges Land ziehen? Monika Hübner ist Grafikdesignerin. Sie sieht es als kulturelle Bereicherung, sowohl zehn Jahre in Basel in der Schweiz gelebt zu haben als auch nun seit fünf Jahren in Deutschland.
Die in Spanien geborene Deutsch-Chilenin ist zurzeit als Senior Art Director in einer internationalen Firma mit Standort Berlin tätig. Dass sie nach Deutschland gehen würde, war für Monika Hübner schon immer klar: «Meine Familie hat mich von klein auf dazu ermutigt, in größeren räumlichen Dimensionen zu denken. Ich bin mit dem Konzept aufgewachsen, mehr als eine Heimat haben zu können. Wir haben in der Familie beide Kulturen – die deutsche wie die chilenische – gepflegt und aktiv gelebt. Außerdem besuchte ich die Deutsche Schule Viña del Mar.»
Nach ihrem Grafikdesign-Studium an der Universität in Viña del Mar bekam die heute 46-Jährige zunächst eine Anstellung in der Marketingabteilung ihrer alten Schule. Doch ihr wurde schnell klar, dass ihre Möglichkeiten, sich als «Kreative» zu entfalten, in der Provinz stark eingeschränkt sein würden.
In Santiago zu leben, kam für sie auch nicht in Frage: Zu groß, zu schnell, zu laut. Der Gedanke sich besser entfalten zu können, war schließlich ihre Motivation, nach Deutschland zu gehen. Die Grafikdesignerin landete jedoch schon kurz darauf in Basel, wo sich ein gutes Arbeitsangebot für sie ergeben hat. In der Schweiz lernte sie ihren Mann kennen und zog vor fünf Jahren mit ihm in seine Heimatstadt Berlin, wo sie mittlerweile zu dritt mit ihrem zweijährigen Sohn leben. In der deutschen Hauptstadt genießt sie besonders die kulturelle Vielfältigkeit. «Viele Menschen aus vielen verschiedenen Ländern leben in Berlin dicht an dicht. Dieser kulturelle Reichtum und den daraus resultierenden Austausch genieße ich persönlich und beruflich sehr.»
Ihrem kleinen Sohn will Monika Hübner ebenfalls nahebringen, dass er mehr als eine Heimat haben kann. Er lernt fleißig die spanische Sprache mit ihr. Das Leben im multikulturellen Berlin kann für ihn sicher in Zukunft von Vorteil sein.
«Dann vermisse ich die chilenische Spontanität»
Der Cóndor befragte Monika Hübner zu ihren Erfahrungen als zugezogene Chilenin in Deutschland und der Schweiz.
Was hat Sie in Deutschland besonders erstaunt, verwundert oder überrascht?
Ich habe die Erfahrung machen dürfen, sowohl die schweizerische als auch die deutsche Sprache und Kultur sowie Gewohnheiten und Anschauungen kennenzulernen. Es erstaunt mich immer wieder, wie unterschiedlich diese beiden Kulturen sind, obwohl sie geographisch in direkter Nachbarschaft liegen. Die Deutschen sind im Allgemeinen offener und direkter, die Schweizer eher zurückhaltend. Der Facettenreichtum gilt auch für die anderen europäischen Länder. Ich lerne beruflich und privat viele Menschen aus europäischen Kulturen kennen. Die Europäer sind in ihren Kulturen sehr facettenreich – obwohl alle nah beinander leben, pflegt jeder das Seine.
Was gefällt Ihnen persönlich in Deutschland vor allem?
Mir gefällt das geregelte Leben in Deutschland: Die deutsche Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Das öffentliche Leben läuft in der Regel sehr respektvoll und fürsorglich ab. Das schätze ich sehr. Jeder kann seine eigene Meinung haben und sie öffentlich kundtun. Die Leute sind ehrlich und wertschätzen sich gegenseitig. Jeder darf er selbst sein und bekommt Raum zur persönlichen Entfaltung. Das ist viel wert!
Zunächst hat es mich etwas Kraft gekostet, mich an das strukturierte Leben zu gewöhnen, aber mittlerweile profitiere ich davon. Alles geht Hand in Hand, der Tagesablauf ist deshalb sehr effizient. Ich kann mein berufliches und privates Leben gut miteinander koordinieren.
Gibt es etwas, was in Chile ähnlich ist und Ihnen eventuell die Eingewöhnung erleichtert hat?
Mir persönlich wurde in jedem Fall die Eingewöhnung insofern erleichtert, dass meine Großmutter Deutsche war (väterlicherseits waren sie ebenso Deutsche, doch habe ich diese Großeltern nicht mehr kennengelernt), und dass meine Mutter – die in Chile geboren wurde – schon als junge Frau nach Deutschland gezogen ist, um dort zu arbeiten. Ich war einfach durch meinen familiären Hintergrund gut vorbereitet, auch durch den Besuch der Deutschen Schule in Viña del Mar.
Woran können Sie sich schwer gewöhnen?
Obwohl die deutsche Strukturiertheit meinem Alltag sehr zugute kommt, gibt es Momente, in denen es mir schwerfällt, mich daran zu gewöhnen. Dann vermisse ich die chilenische Spontanität, Flexibilität und Improvisation. Ich kann mich kaum spontan verabreden, denn wir alle stecken in geregelten Abläufen fest. Und da ist noch etwas: An den langen deutschen dunklen Winter kann ich mich auch schwer gewöhnen.
Welchen Ratschlag würden Sie einem Chilenen/einer Chilenin geben, der nach Deutschland zieht?
Das Wichtigste ist meiner Meinung nach, die deutsche Sprache gut zu beherrschen, um das soziale, berufliche, kulturelle Zusammenleben zu meistern und einen Austausch mit anderen zu gewährleisten. Außerdem sind eine offene Einstellung und Anpassungsfähigkeit sehr hilfreich, um die Chance zu nutzen von der neuen Kultur zu lernen sowie die guten und nützlichen Aspekte ins eigene Leben zu integrieren.