Von Alois Schmidt
Vorfreude auf eine Reise nach der Pandemie – dies macht der Bericht von Alois Schmidt. Selbst wenn es dieses Jahr mit dem Reisen nichts werden sollte, da sich die Orte auf Chiloé momentan in Phase 1 oder 2 befinden. Außerdem zeigt Alois Schmidt, dass seitdem er mit seiner Familie im Jahr 1980 die Insel mit dem VW-Bus besuchte, sich hier zumindest kaum etwas verändert hat.
Freunde wiesen darauf hin, wie interessant für uns ein Besuch auf der Insel Chiloé sein würde. Mit einem Spickzettel voller Hinweise in der Tasche machten wir uns zu Beginn der Ferien auf den Weg, nicht ohne den Motor unseres VW-Kleinbusses vorher generalüberholen zu lassen.
Nach 500 Kilometern auf gut zu befahrener Straße erreichten wir Puerto Montt. Auf einem Raritätenmarkt am Hafen holten wir uns schon einen Vorgeschmack auf Andenken, die von Einwohnern der großen Insel in Handarbeit hergestellt werden. Da gab es geflochtene Körbe und Körbchen, gewebte Ponchos, gestrickte Mützen und locker geknüpfte Teppiche. Überall rissen eifrige Köchinnen den Deckel vom Curanto, der auf Sparflamme warmgehalten wurde. In einer Art Fischsuppe schwammen Muscheln, Garnelen und Seeigel, aber auch geräucherter Speck und Hähnchenkeulen. Wir hatten uns vorgenommen, eine solche Mahlzeit erst im Original auf Chiloé selbst zu probieren.
Anfahrt begleitet von Albatrossen und Delfinen
Mit dem Kanal von Chacao hat das Meer die chilenische Küstenkordillere durchbrochen. Man muss sich also in Pargua ans Ende einer Kolonne von Fahrzeugen stellen, die auf die Fähre warten. Alles läuft unkompliziert. Der Seewind zerrt an unserer Kleidung, als wir den Hafen verlassen. Albatrosse wirbeln darin herum. Elegant nutzten sie zum Navigieren die Böen, ohne mit den Flügeln schlagen zu müssen. Zu Wind und Wellen gehören die Schreie der Möwen. Bei genauem Hinsehen gewahren wir aber nicht die uns hinlänglich bekannten Dominikanermöwen (Larus dominicanus), die bis auf die schwarzen Flügel weiß gekleidet sind. Die «Gaviota austral» (Larus scoresbi) hat bei gleichem Outfit aber rote Beine und einen roten Schnabel und dazu helle statt schwarze Augen.
Doch schon zieht es die Passagiere auf die andere Bordseite, wo eine Gruppe Delfine aufgetaucht ist. Sie messen ihre Geschwindigkeit mit der des Motorschiffes. Erst auf dem hier eilig geschossenen Foto entdecke ich später, dass eine Mutter bei diesem Kräftemessen noch ein Baby am Gesäuge mit sich führte. Da taucht aus der Tiefe ein langer Hals mit einem Fisch im Schnabel auf. Der Taucher ist so nahe, dass uns an ihm eine Besonderheit auffällt: Dieser Kormoran mit weißer Hals- und schwarzer Rückenseite hat eine blaue Iris und zur Verstärkung noch einen Halbring blauer Federn. Es ist der in diesen Breiten nicht so seltene «Cormorán imperial».
Picknick mit gegrillter Forelle
Nach dem Landen in Chacao bewegt sich die Autokolonne langsam einen Berg hinauf. Von seiner Kuppe aus bietet sich ein eindrucksvoller Anblick der Stadt Ancud mit ihrem Hafen.
Wir aber wenden uns gleich in südliche Richtung und beobachten genau den Kilometerzähler. Beim Auftauchen der Zahl 21 halten wir Ausschau nach unserem «Gastgeber». Da wir angemeldet sind, wartet Pablo Brintrup schon auf uns. Kein Zweifel, er stammt von Westfalen ab, die um 1850 einmal nach Chile auswanderten. Deutsch spricht er nicht mehr.
Sein Anwesen, auf dem wir mit unserem Bus parken, liegt im Flusstal. Dort ist auch sein Ruderboot vertäut, mit dem meine Frau, meine Tochter und ich anderntags zu einer Tour aufbrechen werden. Es geht durch südliche Urwälder mit den typischen Vertretern von Südbuchen, Laureles, Canelos und Ulmos mit dem angenehmen Blütenduft.
Während unser Bootsmann sich gehörig ins Zeug legt, wirft Stephanie ihre Angel aus. Es ist eine offene Konservendose mit einem eingeklemmten Stock als Griff. Den benutzt man beim Aufwickeln der Schnur. Beim Werfen rollt diese problemlos ab. Bald ruft die Tochter um Hilfe und wir ziehen gemeinsam die Forelle an Bord.
Inzwischen hat ein Landregen eingesetzt, wie es in diesen Breiten nicht unüblich ist. Unser «Guía» errichtet mit einer Plane einen notdürftigen Regenschutz. Dann schlägt er einen jungen Baum und beseitigt Blätter und Äste. An das zerkleinerte, regennasse und grüne Holz hält er ein Streichholz, Und siehe da, es brennt. Wir können unseren Fang in der Glut grillen.
In der Stille der «Siesta» ist im Gewässer ein Plätschern zu vernehmen. Ein bepelztes Tier steigt ans Ufer. Ein «Coipo» (Myocastor coypus), erklärt Brintrop. Er ist mit 40 bis 60 Zentimetern der größte Nager Chiles und, wie der Name schon zu erkennen gibt, ein dem Biber ähnliches Tier. Seines begehrten Felles wegen ist er in der Freiheit fast ausgestorben.
Belästigt werden wir auf der Tour von «Honigfliegen», von denen die deutschen Einwanderer ihren Angehörigen in Briefen berichteten. Die Einheimischen nennen sie «Coliguachos». Sie gehören zur Familie der «Tabanidae», wie der Wissenschaftler sagt. Sie lassen sich auf der Haut nieder und beißen ein Stück davon ab. Das ist schmerzlich. Erschlägt man sie, tritt ein wenig Zuckersaft aus. Was ihnen also außer dem Nektarsammeln fehlt, ist ein Zubrot aus Proteinen.
Curanto mit frischem Brot
Weiter geht es nach Dalcahue. Dort findet gerade ein Fest statt. Da wir noch nie ein Rodeo gesehen haben, besorgen wir uns Eintrittskarten. Erst können wir bei dem wilden Treiben von jungen Ochsen an der Wand der Arena entlang die Spielregel nicht erkennen, deren Einhaltung mit Punkten belohnt wird. Doch freuen wir uns, dass der einheimische Teilnehmer im Wettkampf mit Vertretern aus Nachbargemeinden den ersten Platz erstreiten kann.
Wo ein Fest gefeiert wird, gibt es sicher auch etwas Gutes zu essen. Auf einem Kiesstrand am Meer steigt Rauch auf. Wir eilen hin und sehen, wie die Glut aus dem Steinbett genommen wird. Eine Lage Cholgas kommt hinein, Almejas darüber. Piures geben den unverkennbaren Geschmack nach Meer. Doch auch Hähnchenschenkel gehören hinzu und Schinkenstücke. Alles wird mit riesigen Nalcablättern abgedeckt. Nun heißt es warten. Irgendwann werden Teller mit der appetit-
lichen Mahlzeit verteilt und dazu gibt es ein Stück frisch gebackenes Brot. Hat zu einem chilenischen Essen schon einmal Wein gefehlt?
Es naht der Abend und wir lesen auf unserem Spickzettel: Übernachten in Castro im Hotel Unicornio. Es steht unten an der Strandpromenade und ist nicht zu verfehlen. Der komplette Holzbau ist pink angestrichen. Schon im Treppenaufgang fallen ineinander gefügte Balken- und Bohlenverbindungen auf, was von einem architektonischen Kunstwerk zeugt.
Die Alerce-Kirchen der Jesuiten
Schon mehrmals sind uns in verschiedenen Orten Holzkirchen aufgefallen, die untereinander Ähnlichkeit aufweisen. Sie wurden bei der Missionierung der ersten Bewohner des Landes von Angehörigen des Jesuiten-Ordens errichtet. 1608 betraten die ersten von ihnen die Insel. Vier Jahre später stand die erste Kirche. 150 weitere wurden im Laufe der Zeit in der vorgegebenen Stilrichtung gebaut. Seit dem Jahr 2000 gehören 16 davon zum Weltkulturerbe.
Der rechteckige Bau ist ganz aus dem Holz der Alerce errichtet. Die dem Mammutbaum ähnlichen Riesen des chilenischen Urwaldes weisen sehr enge Jahresringe auf und sind gegen Pilzbefall immun. Außerdem spaltet sich das Holz mit Beil oder Meißel sehr leicht. So kann man für das Dach aber auch für die Wandbekleidung dünnwandige Schindeln herstellen. Die Frontseite der Kirche wird von einem achteckigen Turm überragt. Damit die Besucher einen Regenschutz vorfinden, wurde eine von Säulen gestützte Vorhalle (Porticus) eingefügt. Die Gestaltung kann, wohl der Unterscheidung wegen, recht verschieden ausfallen. Hier spielt auch die Farbgebung des Anstrichs eine Rolle. Der Innenraum kann auf den Betrachter oft überladen wirken.
Unter den Jesuiten, die nach Chiloé kamen, gab es eine Reihe von Patres aus Bayern. An erster Stelle wäre da Pater Karl Haimhausen (1692-1767) zu nennen. Er wurde in München geboren und stammte aus einer adligen Familie. Beim Eintritt in den Orden legte er den Grafentitel ab. Er war zunächst Rektor des Collegium Maximum in Santiago und Gründer der ersten Kunst- und Handwerkerschule in Chile.
Nach einer Reise in die alte Heimat (1748) brachte er 48 Ordensbrüder mit nach Chile, von denen jeder ein besonderes Handwerk ausübte: Es waren Zimmerleute und Holzschnitzer, Kunstschmiede und Glockengießer, Anstreicher und Weber. Sie arbeiteten zum großen Teil in der zum Orden gehörenden Hacienda «Calera de Tango» im Zentrum Chiles, wo sie den Grundstein für den kulturellen Aufschwung des Landes legten. Ihre Familiennamen wie Gruber, Kellner, Mezner aber haben sich in Chile nicht erhalten, da die Brüder nach der Ordensregel zölibatär lebten. Schade!
Zu nennen wäre noch Pater Bernhard Havestadt (1714-1781). Er war Rheinländer. Von ihm stammt die erste Abfassung der Sprachregeln des Mapudungun in einer Grammatik. Die Sprache der Mapuche wird zum Teil auch auf Chiloé gesprochen.
Die frommen Geistlichen setzten sich aufopferungsvoll für die Weiterentwicklung der ursprünglichen Bewohner Chiloés ein. Leider blieb ihre Arbeit unvollendet. Das lag daran, dass der Jesuitenorden wegen ständiger Intrigen am spanischen Königshof über Nacht verboten wurde. Die Patres mussten 1767 ihre Gemeinden verlassen und wurden auf Kriegsschiffen nach Europa gebracht.
Wer mehr wissen möchte, dem empfehle ich: «Pater Karl Haimhausen und die bayerischen Jesuiten in Chile im 18. Jahrhundert» von Klaus Hartmann und Alois Schmid (kein Druckfehler!) München 2000, C.H. Beck