Schulreformer und Vater der modernen Volksschule
Von Peter Downes
Johann Heinrich Pestalozzi zählt zu den bedeutendsten pädagogischen Reformern des 18. und 19. Jahrhunderts, der das ganzheitliche Unterrichtskonzept für «Kopf, Herz und Hand» entwickelte. Noch heute sind Schulen und Straßen in vielen Städten nach dem Schweizer benannt. Auch in Santiago gibt es das Colegio Pestalozzi im Stadtteil San Joaquín.
Mit seinem Namen verbindet man zunächst die Schulreformen in der Schweiz, seiner Heimat, dann aber auch in Italien und Deutschland. Aber Johann Heinrich Pestalozzi bemühte sich nicht nur um eine universale elementare Lehrmethode, sondern hatte stets auch die soziale Lage der ärmeren Bevölkerung im Blick und gründete Armenanstalten. Obwohl diese schon nach wenigen Jahren scheiterten, inspiriert bis heute sein Nachdenken über Lernziele und Lehrmethoden Reformansätze im Schulwesen.
Der Landwirt und Sozialreformer
Johann Heinrich Pestalozzi kam am 12. Januar 1746 in Zürich zur Welt. Er war eines von sieben Kindern, wobei vier seiner Geschwister bereits im Kindesalter starben. Sein Großvater Andreas Pestalozzi war Pfarrer in Hönegg bei Zürich. Der frühe Tod seines Vaters im Jahre 1751 prägte das Leben von Johann Heinrich. Schon zu Lebzeiten des Vaters waren die Verhältnisse bedrückend, da der als «Chirurgus» tätige Mann seine Familie kaum ernähren konnte, und nach seinem Tod wurde die Lage noch schwieriger. Aus eigenen Erfahrungen kannte er also ärmliche Verhältnisse und die Sorge um das Wohl von Kindern, die er bei der Erziehung durch seine Mutter und der treuen Magd Babeli erlebte.
Über seine Jugendzeit schreibt er 1801 rückblickend: «Meine Jugendjahre versagten mir alles, wodurch der Mensch die ersten Grundlagen einer bürgerlichen Brauchbarkeit legt. Ich war gehütet wie ein Schaf, das nicht außer dem Stall darf. Ich kam nie zu den Knaben meines Alters auf die Gasse, kannte keines ihrer Spiele, keine ihrer Übungen, keines ihrer Geheimnisse. Natürlich war ich in ihrer Mitte ungeschickt und ihnen selbst lächerlich. Auch gaben sie mir im neunten oder zehnten Jahr schon den Namen ‹Heiri Wunderli von Thorlicken›.»
Trotz dieser kritischen Rückschau zog er aus der «Wohnschule» seiner Mutter seine grundlegenden Lehren, um Kinder mit Zuneigung, Zärtlichkeit und Liebe zum Lernen anzuregen und zu einem pflichtbewussten Leben anzuleiten. Zunächst studierte er Theologie, dann Jurisprudenz am Collegium Carolinum in Zürich. Dort wurde er vom Historiker und Literaturkritiker Johann Jakob Bodmer (1698-1783) beeinflusst, so dass Pestalozzi die Ideen der republikanischen Reformbewegung aufgriff, in der die Erziehung eine wichtige Rolle spielte. Die Bewegung lehnte Handel ab und idealisierte das Handwerk und die Landarbeit.
So entschied sich Pestalozzi zu einem Leben als Landwirt. Er begann im Herbst 1767 eine Lehre in «moderner Landwirtschaft» beim Berner Agronomen und «Vorzeigelandwirt» Johann Rudolf Tschiffeli (1716-1780). Nach neun Monaten erklärte er selbst seine Ausbildung für beendet und heiratete 1769 seine Verlobte Anna Schulthess, eine Tochter aus einer wohlhabenden Züricher Familie. Er kaufte einen landwirtschaftlichen Betrieb, den Neuhof bei Birr. Als zwei Jahre später auch sein Hof von den europaweiten Missernten betroffen war, installierte er im Keller seines Hauses Webstühle, auf denen die arme Landbevölkerung der Nachbarschaft für einen Lohn Baumwollstoffe produzierte. 1774 erweiterte er seine kleine «Manufaktur» mit einer Anstalt für arme Kinder. Pestalozzi wollte diese durch eine Ausbildung in der Baumwollverarbeitung befähigen, sich ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Er wurde damit zu einem Sozialreformer. Er überschätzte jedoch die Produktivität der Kinder und auch die Unterstützung der Eltern, so dass die Anstalt bereits 1780 Bankrott ging.
Der Schriftsteller
Um seine Armenanstalt finanziell abzusichern, hatte Pestalozzi Kontakt zum Baseler Philosophen und Philanthropen Isaak Iselin (1729-1782) hergestellt. Iselin war einer der einflussreichsten Publizisten und Herausgeber des 18. Jahrhunderts und wirkte auf das theoretische Denken Pestalozzis ein. Er förderte seine publizistischen Tätigkeiten und gab auch Pestalozzis ersten Roman «Lienhard und Gertrud» (1781) heraus, der zu einem großen Erfolg wurde.
Darin wird die Erziehung durch den Vogt-Vater und der Bäuerin-Mutter der Kinder zu guten Menschen in einer guten Gesellschaft idealisiert. Aus einem korrumpierten Dorf wird eine tugendhafte Gemeinschaft, da sie sich von den guten Vorbildern leiten lässt. Was auf dem Neuhof nicht gelang, schaffte sein Roman, nämlich eine theoretisch-literarische Modellhaftigkeit zu entwickeln.
«Kopf, Herz und Hand»
Die Pädagogik sollte vor allem die «Menschenbildung» ins Zentrum rücken. Sein Konzept von «Kopf, Herz und Hand» sollte geradezu zum Schlagwort der Methode Pestalozzi werden. Hier setzte nun seine Schulreform an, die nicht auf berufsorientierte Fähigkeiten oder fachliches Wissen ausgerichtet sein sollte, sondern die Kinder an erster Stelle zur Freiheit zum Wollen zu erziehen.
Die Französische Revolution 1789 hatte die Bedeutung der Freiheit ins Zentrum des Denkens Pestalozzis gerückt. Das Konzept der persönlichen und inneren Freiheit bildete von nun an den Kern und die Zielsetzung der Methode. Man könnte sagen, die Schule müsse zunächst die Kinder zur Selbsterkenntnis ihres inneren Wollens in Einklang mit ihrem Tun bringen, letzteres als gottgegebene Ordnung verstanden, um sie dann zu einem tugendhaften, guten Leben zu führen. Handwerkliche Übungen und wiederholende Lese- und Sprachübungen sind dabei elementare Grundfähigkeiten zur «Menschenbildung». Seine Methode wurde als wahrhaftige Schulreform zunächst gefeiert und es entstanden in der Schweiz, Italien und auch in Deutschland Schulen, die die Methode Pestalozzis aufgriffen. In Stans konnte er 1798 eine Armenanstalt für Waisenkinder eröffnen und sein dreistufiges pädagogisches System entwickeln, das sich am Prinzip des Familienlebens orientierte. Endziel der Erziehung ist eine moralische «Menschenbildung». Aus guten Menschen kann dann eine gute Gesellschaft erwachsen; darin liegt dann der wahre menschliche Fortschritt und letztendlich die Erlösung des Menschen.
Bleibende Impulse von Pestalozzis Pädagogik
Pestalozzi selbst hat seine Pädagogik immer wieder neu durchdacht und verändert. Auch von Pädagogen und Bildungseinrichtungen wurde sie nach den jeweiligen (staatlichen) Bedürfnissen und eigenen Vorstellungen interpretiert, erweitert oder völlig umgedeutet. Pestalozzis Methode erwies sich als anpassungsfähig und förderte die Entwicklung von Elementar- und Volksschulen.
Wenn aber heute von einer kindgerechten Erziehung gesprochen wird, wo Anreize und Interesse geweckt werden sollen oder in vielen Schulen und Universitäten neben dem empirischen und experimentellen Wissen auch auf Verhaltensweisen und die Ausbildung von ethischen Grundhaltungen – also auf die «Menschenbildung» – Wert gelegt wird, dann weht hier noch etwas vom Geistesdenken Pestalozzis nach. Wenn man Pestalozzis Gedanken und Methode studiert, kann man sich immer wieder inspirieren lassen und pädagogische Impulse erlangen, die nicht in einer einzigen universalen Methode enden sollten – wie Pestalozzi meinte sie gefunden zu haben -, sondern zu neuen Reformen und neuen vielfältigen Methoden anregen mögen.
Auf der Seite des «Vereins Pestalozzi im Internet» gibt es umfassende Informationen auf Deutsch und Spanisch über das Leben, die Pädagogik Pestalozzis und Links zu weiteren Institutionen: www.heinrich-pestalozzi.de