Von Nicole Erler
Der Cóndor veröffentlicht in loser Reihenfolge Porträts über Frauen in Chile mit deutschsprachigen Vorfahren, die eine Pionierrolle spielten oder besondere Leistungen erbracht haben. Nora Gregor war ein Stern am Schauspiel- und Theaterhimmel im Österreich der 1920er und 1930er Jahre. Ihren letzten Film drehte sie in Chile und kehrte nicht mehr in ihre Heimat zurück.
Eleonora Hermina Gregor, bekannt als Nora Gregor, wurde am 3. Februar 1901 in Görz – damals Österreich, heute Italien – geboren. Die gutbürgerliche Familie gehörte der deutschsprachigen Herkunftsgemeinschaft an, die in der Stadt eine Minderheit war, obwohl sie zum Kaiserreich Österreich-Ungarn gehörte. Infolge des Ersten Weltkriegs flüchtete die Familie von Görz nach Graz. Hier erhielt Nora ihren ersten Schauspielunterricht. 1918 debütierte sie am Renaissancetheater in Wien, spielte danach am Raimundtheater und 1923 bis 1930 am Theater in der Josefstadt sowie am Deutschen Theater Berlin. 1923 stand sie auch bei den Salzburger Festspielen auf der Bühne. Mit 19 Jahren kam Nora Gregor zum Film – in dieser Zeit noch Stummfilm – und war 1920 erstmals in Peter Paul Felners Streifen «Der Vogel im Käfig» auf der Leinwand zu sehen. Schon mit ihren nächsten Filmen – meist spielte sie Damen der gehobenen Gesellschaft – wurde sie ein Publikumsliebling.
Der Wendepunkt fand 1924 in Berlin statt, als sie die Hauptrolle in Carl Theodor Dreyers «Michael» spielte, der sie zur Diva machte. Danach zog sie für einige Zeit nach Kalifornien und wirkte für Metro-Goldwyn-Mayer in mehreren deutschsprachigen Versionen amerikanischer Produktionen mit. Doch die Bühne blieb ihre Berufung, und tatsächlich teilte sie ihre Zeit zwischen den Theatern von Los Angeles und den Filmsets von Hollywood auf, wo sie an der Seite von Lionel Barrymore und Joan Crawford spielte.
Schließlich zog sie die Liebe ihrer Karriere vor und heiratete – nach dem Scheitern ihrer ersten Ehe mit dem Pianisten Mitja Nikisch – 1933 Prinz Ernst Rüdiger von Starhemberg. Ihr gemeinsamer Sohn Heinrich kam 1934 zur Welt. Nora Gregor nahm erneut die Schauspielerei in Wien auf. Ihr Ehemann hatte das Amt des österreichischen Vizekanzlers inne. 1938, zur Zeit des Einmarsches der nationalsozialistischen Truppen in Österreich, mussten die Starhembergs zunächst in die Schweiz und dann nach Frankreich fliehen. In Paris lernte Nora den Regisseur Jean Renoir kennen, der ihr die Hauptrolle in seinem Film «Die Spielregel» anbot. Nora glänzte in Renoirs Meisterwerk.
Kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges floh die Schauspielerin zunächst alleine mit ihrem Sohn nach Argentinien, ihr Mann kam zwei Jahre später nach. Anschließend ging sie – inzwischen von Starhemberg geschieden – nach Chile, wo sie in einem weiteren Kinofilm unter der Regie von Jacques Rémy mitspielte: «Le Moulin des Andes» – in Chile bekannt unter dem Titel «La fruta mordida» – im Jahr 1945 gedreht. Nora Gregor verstarb mit nur 47 Jahren am 20. Januar 1949 in Viña del Mar. Ihr Sohn Heinrich wurde Filmproduzent und benannte seine Produktionsgesellschaft in Gedenken an seine Mutter «Nora Productions».