Die Deutsche Schule Santiago zur Zeit der Militärdiktatur 1973 bis 1990
Von Paula Castillo
Hat die jüngste Geschichte auch das Leben in unserer Schule geprägt? Wie sah das Leben in unseren Klassenzimmern und Schulhöfen in der Zeit der chilenischen Militärdiktatur aus? Diese Fragen stellten sich die Schüler der Deutschen Schule Santiago im Rahmen des Projektwettbewerbs «Erinnern für die Gegenwart» des Auswärtigen Amts. Nun sind die langersehnten Rechercheergebnisse der Schüler in Form eines Buchs am Dienstag, 15. Dezember 2020, präsentiert worden.
In einer von den Schülern mitgestalteten Videokonferenz wurde «Die Deutsche Schule Santiago zur Zeit der Militärdiktatur 1973-1990» auf Deutsch beziehungsweise «El Colegio Alemán de Santiago durante la Dictadura Militar 1973-1990» auf Spanisch vorgestellt. Nach den Worten der Mitgestalter war das Ganze wie eine Reise in die Vergangenheit. Eine Reise, die durchaus kritische und schwierige Fragen aufgeworfen hat, mit denen sich 42 Schüler und Schülerinnen der Klassenstufe 10 (II F und G im Jahrgang 2019) über ein Jahr lang beschäftigt hatten.
Recherche, schriftliche Quellen und Interviews
Der Band von 190 Seiten konnte dank der Unterstützung des deutschen Ministeriums im Rahmen des Wettbewerbes bereits im Oktober 2020 herausgegeben werden. Seine zentrale Fragestellung beleuchtet anhand von neun Gesichtspunkten verschiedene Themen wie zum Beispiel die Verletzung und Verteidigung der Menschenrechte, das Alltagsleben in der Diktatur sowie die 1980er Jahre als Zeitspanne zwischen Konsolidierung und Wandel.
Unter der Leitung ihres Geschichtslehrers Wolfgang Veller, der auch gleichzeitig Projektleiter war, und ihrer Lehrerin für Ciencias Sociales, Fernanda Ibáñez, gelang es den Schülern sich intensiv mit der Zeit der Militärjunta in Chile und besonders mit deren Auswirkungen auf ihr näheres Umfeld zu beschäftigen. Es galt ein Bild von einer Zeit zu erhalten und zu erstellen, die zeitlich noch nicht so weit zurückliegt und immer noch nicht einfach zu behandeln ist. Bei der sachlich fundierten Darstellung des Schullebens in diesen Jahren halfen die Historikerin und Projektassistentin Linda Jo Siemon und Roberto Praetorius, der langjährige Verwaltungsleiter und Archivar der Schule, der zudem auch als Zeitzeuge in dem Projekt fungierte.
Die Forschungsarbeit bestand aus Recherche, Auswertung von schriftlichen Quellen, Ortsbesuchen und Interviews mit Zeitzeugen. Dabei versuchten die Schüler stets das Thema aus mehreren Perspektiven zu betrachten. Es sollte so eine demokratische Diskussionskultur entstehen und gefördert werden.
«Besonders gewagt»
Zu der Präsentation, die online stattfand, schalteten sich die Projektleiter und Projektteilnehmer sowie die ganze Schulgemeinschaft ein. An der Veranstaltung nahmen der deutsche Botschafter Christian Hellbach, der Schulleiter der Deutschen Schule Markus Stobrawe und der Leiter des Kulturreferats der Deutschen Botschaft Udo Ewertz teil. In seinen Begrüßungsworten lobte Christian Hellbach die Ergebnisrecherche als «besonders gewagt» und als «wertvollen Beitrag in schwierigen Zeiten, in denen es weltweit zunehmend an Toleranz gegenüber Andersdenkenden mangelt». Er unterstrich dabei die besonders wichtige Rolle der Bildung in diesem Kontext. Die Veranstaltung wurde außerdem mit der Teilnahme von zwei der für das Projekt ausgewählten achtzehn Zeitzeugen abgerundet: Macarena Aldoney und Roberto Praetorius. Dabei unterstrichen beide Gäste die besondere Bedeutung dieser Initiative für sie, gerade im Hinblick darauf, was die neuen Generationen aus alten Erfahrungen lernen können und wie das Gelernte gerade angesichts der letzten Ereignisse in Chile hilfreich sein kann.
Nicht selten stellten die Schüler bei ihrer Präsentation die durchgeführten Interviews als wichtigste und größte Herausforderung ihrer Arbeit dar. Sie bezeichneten sie als persönliche Bereicherung und als Möglichkeit, sich in einer ganz neuen Form mit der Landesgeschichte auseinanderzusetzen. Insbesondere die Schwierigkeit, verschiedene Perspektiven zu suchen, was beispielsweise durch die Auswahl der unterschiedlichen Zeitzeugen geschah, beschrieben sie als besonders herausfordernd. Das gemeinsame Projekt habe ihnen nun gezeigt, dass dies aber durchaus möglich ist.
Geldbetrag als Preis
Momentan entscheidet die Jury in Berlin über die Gewinner des Geschichtswettbewerbs, die auf einer Preisverleihung im Februar 2021 bekannt gegeben werden. Neben der Deutschen Schule Santiago nahmen in Chile auch die Sankt Thomas Morus Schule sowie die Deutschen Schulen Valparaíso und Valdivia an dem Wettbewerb teil. Ursprünglich sollten die Gewinner eine Reise nach Deutschland gewinnen. Coronabedingt wird nun stattdessen ein Geldbetrag als Preis vergeben.
Beim vorgestellten Buch geht es zweifellos um mehr als eine interessante Lektüremöglichkeit. Es geht um die Auseinandersetzung jüngerer Menschen, die bald die Geschichte unseres Landes mitgestalten werden und mit ihrem Projekt den Nerv der Zeit in Chile getroffen haben. Roberto Praetorius brachte es auf den Punkt: «Zurück zu blicken hilft dabei die Gegenwart besser zu verstehen. Wir alle haben in der Vergangenheit Fehler gemacht. Nun ist es an der Zeit gemeinsam zu lernen, einander zuzuhören.».
Für Interessierte, die das Buch lesen möchten, sind einige spanische und deutsche Exemplare kostenfrei erhältlich.
Die Bücher können außerdem digital als PDF auf der Webseite der Deutschen Schule Santiago heruntergeladen werden: