Zwischen Universalanspruch und Kirchenreform
Von Peter Downes

Mit seinem Namen wird eine der bedeutendsten Kirchenreformen der Geschichte verbunden. Die «Gregorianische Reform» strebte danach, die Kirche vom direkten Einfluss durch Laien zu befreien.
Seine Kirchenreform betraf vor allem die Papstwahl, die Besetzung von Bischofsstühlen, die Bekämpfung der Simonie (dem Handel mit kirchlichen Ämtern) und die Durchsetzung einer allgemeinen Zölibatspflicht. Gregor VII. betonte aber auch den Weltherrschaftsanspruch des Papsttums, wobei er nicht den Konflikt mit den weltlichen Herrschern scheute.
Vom Kleriker Hildebrand zum Papst Gregor VII.
Die gregorianische Reform begann mit deutschen Päpsten, die durch Kaiser Heinrich III. gewählt wurden. An deren Namenswahl erkennt man sofort, an welche Traditionen sie anzuknüpfen gedachten. Clemens II. (1046-1047), Damasus II. und Victor II. (1055-1057) erinnerten an die Anfänge des Papstanspruchs und des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche sowie der Notwendigkeit eines moralisch verantwortlichen Episkopats. Es sollte aber das Pontifikat Gregors VII. sein, das den Universalanspruch des Papstes und die Reformen gegen die Simonie, den Nikolaitismus (Priesterehe) und der Laieninvestitur besonders akzentuierte.
Der römische Kleriker Hildebrand hatte schon früh eine wichtige Rolle im römischen Reformkreis gespielt. Er kam zwischen 1020 und 1025, wohl in Rom, zur Welt. Wenig ist über seine Herkunft bekannt, aber man nimmt an, dass er in jungen Jahren die Laufbahn als Kanoniker im römischen Klerus einschlug und somit in den Beraterkreis des Papstes Gregor VI. kam. Dieser kam 1045 durch eine Geldzahlung an sein Patenkind, Papst Benedikt IX., an die Macht, nachdem jener beschloss sein Amt niederzulegen. Dieser Ämterkauf führte jedoch dazu, dass Heinrich III. seine Absetzung forderte, weshalb er 1046 ins Exil nach Köln musste. Hildebrand begleitete Gregor VI. nach Deutschland und blieb zwei Jahre dort. 1048 wurde er wieder nach Rom berufen und konnte durch seine Wurzeln im römischen Klerus die deutschen Reformpäpste tatkräftig unterstützen. Hildebrand wurde päpstlicher Gesandte und stieg innerhalb der Kurie auf.
1073 wurde er noch während der Trauerfeierlichkeiten für Papst Alexander II. zum Nachfolger akklamiert. Damit war seine «Papstwahl» zwar nicht konform mit dem seit 1059 bestehenden Papstwahldekret, war aber letztendlich eine logische Konsequenz seiner langen Erfahrungen und Dienste am Heiligen Stuhl. Um die Kirchenreform verstärkt voranzutreiben, rief Gregor den Episkopat zu halbjährigen Synoden – zur Fastenzeit und im Herbst – nach Rom. Wie er sein Amt und die Stellung der Kirche in der Welt verstand, geht aus dem sogenannten «Dictatus Papae»., einem Dokument, das in seinem Briefregister unter dem März 1075 verzeichnet ist, hervor. Es handelt sich dabei um einen «Index» von 27 Rechtssätzen, die wohl für eine Gesetzessammlung gedacht waren, später jedoch nur teils dann ins kanonische Recht Eingang fanden. Zum einen wird die römische Kirche als allein vom Herrn (Christus) gegründet postuliert (Punkt 1), dann die Stellung des «römischen Bischofs», das heißt des Papstes, betont, dem allein das Recht zukommt «universal» genannt zu werden (Punkt 2). In Abgrenzung zur Macht der Könige beziehungsweise des Kaisers, wird erklärt, dass allein der Papst Bischöfe einsetzen und wieder absetzen könne (Punkt 3). Diese päpstliche Absetzungsgewalt wird dann auch auf abwesende Bischöfe ausgesprochen (Punkt 5). Sogar Kaiser könne der Papst absetzen (Punkt 12). Nur er könne eine Synode als allgemein anerkennen (Punkt 16). Seine Urteile dürften von niemandem zurückgenommen werden, er selbst aber könne alle Urteile kassieren (Punkt 18). Über ihn stehe allein Gott, deshalb dürfe auch niemand über ihn zu Gericht sitzen (Punkt 19). Auch die Unfehlbarkeit der römischen Kirche wird betont, indem der Kirche bescheinigt wird, dass sie niemals geirrt hat und gemäß der Schrift auch in Ewigkeit nicht irren wird (Punkt 22). Als katholisch könnten nur diejenigen bezeichnet werden, die mit der römischen Kirche übereinstimmen (Punkt 26). Eine besondere Relevanz sollte später die letzte Aussage im Konflikt mit dem König Heinrich IV. erlangen, indem der Papst Untertanen eines ungerechten Herrschers von ihrem Treueeid lösen könne (Punkt 27).
Diese Rechtspostulate waren nicht völlig neu, stellten aber in ihrer Zusammenballung, das zentralistische Machtgefüge des Papstamtes ins Licht. Gregor VII. betonte nun eine universalkirchliche Leitungskompetenz des Papstes, die über die weltlichen Herrscher geordnet wurde und moralische und politische Machtbefugnisse beanspruchte.
Gregor VII. (Paul von Bernried, Heiligenkreuz, Stiftsbibliothek Admont in der Obersteiermark in Österreich)
Die Flucht Gregors VII. aus Rom 1084 (oben), Exil und Tod Gregors in Salerno (1085) (unten) (Abbildung aus der Weltchronik des Otto von Freising 1177–1185)
Der Reformer
In den römischen Synoden bestrebte Gregor VII. die Verbreitung und Durchsetzung der zentralen Reformen. Generell sollte aber auch das Verhältnis zwischen weltlicher und kirchlicher Macht geklärt werden. Das betraf vor allem die Frage bei der Bischofswahl. Hierbei pflegten die Könige meist die Wahl von adligen Söhnen zu fördern und diese gezielt in die Reichsverwaltung einzubinden. Auch in Frankreich und England waren die Könige an den Bischofswahlen beteiligt. Durch Ihr Verständnis des Sakralkönigtums fühlten sie sich dazu berechtigt.
Den Reformpäpsten ging es um die Befreiung der Kirche (libertas ecclesiae) vom Einfluss der Laien. Dabei sollte vermieden werden, dass die weltlichen Herrscher Personen ihres Interesses in Kirchenämter einsetzten und damit die Kirche als eine Art Verwaltungseinrichtung der Krone für ihre Reichspolitik missbrauchten. Mit dem Papstwahldekret von 1059 konnten bis dahin der römische Adel und der Kaiser direkt Einfluss auf die Papstwahlen nehmen. Fortan sollten allein Kardinäle das Kirchenoberhaupt bestimmen, so wie es bis heute der Fall ist.
Der Konflikt zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. – eine Machtfrage
Während der Kaiser Heinrich würdige Männer aus dem Reich auf den Stuhl Petri erhob, sollte sein Sohn, Heinrich IV., der 1050 auf die Welt kam, eher eine eigenwillige Kirchenpolitik betreiben. Mit nur sechs Jahren wurde er Nachfolger seines Vaters, stand dann zunächst unter der Vormundschaft seiner Mutter Agnes, bis er mit zwölf Jahren geradezu «entführt» und unter die Aufsicht führender Männer des Reiches gestellt wurde.
Grundsätzlich standen der Episkopat und die Fürsten des Reiches den römischen Reformen offen gegenüber. Den jungen König jedoch beschäftigten zunächst andere Fragen. Er musste seinen Herrschaftsanspruch gegenüber den Sachsen durchsetzen. Auch nach deren Unterwerfung (1075) war seine Herrschaft keineswegs stabilisiert. Heinrich IV. erwartete sogleich ein neuer Konflikt, dieses Mal in Italien. Dort mischte er sich in die Politik Mailands ein, wo sich die reformorientierte Laienbewegung der «Pataria» im Konflikt mit der städtischen Obrigkeit befand.
Streit gab es unter anderem in der Besetzung des Bistums. Der Papst stand oft auf Seiten der «Pataria» gegen Bischöfe, die vom deutschen König eingesetzt wurden. Als Anfang 1072 eine Neuwahl des Bischofs anstand, wählte die «Pataria» Kardinal Atto, der aber auf Druck der Gegenpartei resignierte, wobei nun Heinrich IV. eingriff und seinen Bischofskandidaten Gottfried in einer förmlichen Investitur einsetzte. 1075 versuchte der König dann, denselben durch Tedald zu ersetzen, womit der «Investiturkonflikt» offen ausbrach. Gregor VII. sprach 1075 eine erneute Exkommunikation königlicher Räte aus, vermied es aber, sich offen gegen ein Mitwirkungsrecht des Königs an den Bischofsernennungen auszusprechen. Zunächst versuchte es der Papst noch mit Ermahnungen und diplomatisch, indem er die Treue des Königs zu den Reformen lobte. Allerdings stießen die päpstlichen Reformbestrebungen zunehmend auf Widerstand seitens der Priester. Vor allem die Zölibatspflicht schien manchem Bischof kaum umsetzbar. So klagte etwa der Erzbischof Siegfried I. von Mainz, dass er ohne Priester bliebe, wenn er diese zur Ehelosigkeit verpflichtete. Auch andere Bischöfe fühlten sich wie «Hausknechte» des Papstes, so wie es der Erzbischof Liemar von Bremen und Hamburg ausdrückte.
In Frankreich wurden Bischöfe wegen Simonie für abgesetzt oder gar exkommuniziert erklärt. Gregor VII. schaffte sich mit seinem «Einsatz für die Wahrheit» zunehmend Gegner auch im Episkopat. In einem Brief vom Winter 1074/1075 klagte er seinen engsten Freunden, den Markgräfinnen Beatrix und Mathilde und dem Abt Hugo von Cluny: «… wenn ich auf die Länder des Westens, des Südens und des Nordens blicke, finde ich kaum Bischöfe, die rechtmäßig ins Amt gekommen sind und entsprechend leben, die das christliche Volk mit der Liebe zu Christus und nicht mit weltlichem Ehrgeiz lenken. Auch unter allen weltlichen Fürsten erkenne ich keine, die Ehre Gottes der eigenen und die Gerechtigkeit ihrem Vorteil überordnen».
Ein direkter Konflikt zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. eskalierte 1076, als eine Reichsversammlung in Worms sich mit den Eingriffen des Papstes in die Amtsführung der Bischöfe befasste. Dem König gelang es nun, Stimmung gegen den Papst zu machen. Gregor wurde in einem Schreiben, als «falscher Mönch Hildebrand» angesprochen und zum Rücktritt aufgefordert. Der König startete damit einen Direktangriff, wobei er sich selbst als von Gott legitimierten Repräsentanten der Christenheit verstand.
Der Gang nach Canossa
Gregor VII. hatte 1076 gerade die Fastensynode eröffnet, als das Schreiben Heinrichs IV. bei ihm eintraf. Mit Berufung auf seine päpstliche Schlüsselgewalt exkommunizierte er den König und entband seine Gefolgsleute vom geleisteten Treueeid. Auch der Leiter der Wormser Versammlung, Erzbischof Siegfried von Mainz, wurde exkommuniziert und den anderen Bischöfen der Bann angedroht. Gregor VII. handelte somit ganz im Geiste des «Dictatus Papae»; für Heinrich aber war diese Antwort wohl unerwartet. Er erlebte nun, dass er sich in eine politische Sackgasse begeben hatte, denn die Stimmung im Reich war gegen ihn. Die Reichsfürsten und Bischöfe trafen sich im Herbst 1076 in Tribur und setzten ihm ein Ultimatum. Der König müsse sich innerhalb eines Jahres von der Exkommunikation lösen lassen, ansonsten würde man einen anderen zum König einsetzten. Heinrich IV. machte sich in dieser prekären Situation noch im Winter nach Italien auf, um dort den Papst um Verzeihung zu bitten und die Wiederaufnahme im Schoße der Kirche zu erlangen. Gregor VII. hatte sich auf seinen Weg ins Reich zur Burg der Markgräfin Mathilde von Canossa in der Toskana zurückgezogen, als der König im Januar 1077 im Büßergewand dort erschien. Drei Tage lang soll er immer wieder den Papst um die Lösung vom Bann gebeten haben. Schließlich musste Gregor dem bittenden Büßer die Wiederaufnahme nach einer Eidleistung gewähren.
Ernennung eines Gegenpapstes
Canossa wurde von den Gegnern Heinrichs IV. als Demütigung interpretiert, tatsächlich aber entsprach der Akt einem regulären Bußvorgang. Schien der Konflikt zwischen König und Papst zunächst geschlichtet, so sollte Heinrich sich die nächsten Jahre wiederum um die Sicherung seiner Herrschaft bemühen. Als er sich seiner Rivalen entledigen konnte, kehrte er zu seiner vorherigen Praxis der Bischofsernennungen zurück. Als dann eine erneute Exkommunikation durch Gregor VII. erfolgte, zog Heinrich IV. 1084 nach Rom und erklärte Gregor für abgesetzt und setzte den Bischof Wilbert von Ravenna als Clemens III. zum Gegenpapst ein. Gregor musste sich auf der Engelsburg verschanzten, während Heinrich vom soeben ernannten neuen Papst zum Kaiser gekrönt wurde. Dem «abgesetzten» Papst blieb nichts anderes übrig als seine – eher unliebsamen – Vasallen, die Normannen, um Hilfe zu bitten. Da diese, nachdem sich der Kaiser zurückgezogen hatte, Rom plünderten, verlor Gregor nun auch jeglichen Rückhalt in der römischen Bevölkerung. Es blieb ihm dann nichts anderes mehr übrig, als mit den Normannen in den Süden Italiens zu ziehen.
Tod im Exil
Dort in Salerno starb er am 25. Mai 1085. Seine letzten Worte lauteten: «Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und das Unrecht gehasst, deshalb sterbe ich in der Verbannung.» Scheinbar ging Heinrich IV. als Sieger des Machtkampfes hervor. Er war nun Kaiser, hatte «seinen Papst» auf den Petrusstuhl gesetzt. Jedoch sollten sich langfristig die Nachfolger Gregors behaupten und Heinrich selbst wurde von seinem Sohn Heinrich V. abgesetzt und auch das Sakralkönigtum fand sein Ende. Erst 1122 wurde dann im sogenannten Wormser Konkordat zwischen Heinrich V. und Calixt II. schließlich auch die Investiturfrage neu geregelt. Dem König wurde in seinem direkten Herrschaftsgebiet ein Vetorecht bei der Wahl der Bischöfe zugestanden; auf dem restlichen Reichsgebiet (im Norden Italiens) sollte er fortan nur Regalien vergeben können, nachdem die Bischofsweihe vollzogen war.
Das Erbe der «Gregorianischen Reform»
Auch wenn Gregor VII. sich am Ende seines Lebens nicht sicher sein konnte, ob sich seine Reformen tatsächlich zu einem Segen für die Kirche auswirkten, so kann man heute feststellen, wie nachhaltig sie am Ende waren. Das Zölibat ist immer noch ein aktuelles Thema. Auch bei der Bischofswahl gibt es bis heute Diskussionen, sei es im Fall der Bischofsernennungen in China oder auch im chilenischen Fall in der Diözese von Osorno. Die Rolle der Kirche im Staat ist ebenso lebendig geblieben. Selbst wenn heute kein Staatsoberhaupt einen «Gang nach Canossa» unternehmen muss, so wird der Papst in Rom nahezu von allen Staatsoberhäuptern als geistliche Autorität anerkannt und bei Staatsbesuchen um eine Audienz gebeten. Seine Rolle als Oberhaupt einer universellen Kirche wird weiterhin anerkannt. Und zuletzt sind Synoden und Reformen ein bedeutender Bestandteil der katholischen Kirche. In Deutschland geht man einen «Synodalen Weg» und in Rom sind die regelmäßigen Synoden ein fester Bestandteil einer Erneuerung und permanenten Reform der Kirche geworden..
Als einführende Lektüre sei besonders empfohlen: Rudolf Schieffer, Papst Gregor VII. Kirchenreform und Investiturstreit, München: Beck 2010