Plattdeutscher Fußball unter Palmen
Von Björn Akstinat
Wenn Fernheim gegen Neuland oder Sommerfeld gegen Bergthal spielen, dann ist man nicht etwa in der deutschen Kreisliga, sondern in Paraguay. Doch warum gibt es in der Mitte Südamerikas Orte und Fußballvereine mit deutschen Namen?
Alles begann in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Friesland. Dort lebte und wirkte der Prediger Menno Simons. Er löste sich – durch die reformatorischen Schriften Martin Luthers beeinflusst – von der katholischen Kirche und propagierte statt der Kindstaufe die selbstbestimmte Erwachsenentaufe. Außerdem predigte er absolute Gewaltfreiheit. Dazu gehörte auch die Verweigerung von jeglichem Militärdienst. Nach und nach konnte er immer mehr Anhänger um sich scharen, die eine neue protestantische Glaubensgemeinschaft bildeten und sich «Mennoniten» nannten. Schon bald wurden die Mennoniten aufgrund ihrer neuen Ideen verfolgt.
Immer auf der Suche nach Siedlungsgebieten, in denen sie unbehelligt ihren Glauben ausleben konnten und vom Militärdienst verschont blieben, zogen sie in den folgenden Jahrhunderten an der Nord- und Ostseeküste entlang bis ins russische Zarenreich. Ihre plattdeutsche Sprache gaben sie dabei nie auf. Als das Leben auch im Zarenreich und später insbesondere unter den kommunistischen Machthabern der Sowjetunion immer unerträglicher wurde, wanderten die meisten Mennoniten in entlegene Gegenden Nord- und Südamerikas aus. Einige Tausend von ihnen landeten in Paraguay, wo sie ab 1927 unter größten Strapazen, die etliche Menschenleben kosteten, mehrere Kolonien aufbauten.
Religionsflüchtlinge schufen ein kleines Paradies in Paraguay
Die Kolonien im trockenen Buschland Nord-Paraguays und im klimatisch gemäßigteren Zentrum beziehungsweise Osten des Landes haben sich heute zu vorbildlichen und wohlhabenden Siedlungen mit einer Gesamteinwohnerzahl von etwa 40.000 Einwohnern entwickelt. Sie tragen Namen wie Menno, Fernheim, Neuland, Friesland, Volendam, Sommerfeld oder Bergthal. Plattdeutsch und Hochdeutsch sind überall die gängigen Umgangssprachen. Sogar einige der in der Umgebung lebenden Indianer haben das Plattdeutsche übernommen, weil sie in den Unternehmen der Mennoniten Arbeit fanden. Die Unternehmen sind meist genossenschaftlich organisiert und finanzieren auch die Verwaltung und Infrastruktur der Kolonien. Vieles wird untereinander aufgeteilt. Man hilft sich gegenseitig. Keiner wird zurückgelassen. Man könnte fast sagen, dass die Mennoniten-Gemeinschaften die einzigen Orte weltweit sind, an denen die ursprüngliche Idee des Sozialismus wirklich funktioniert – und zwar mit Privateigentum.
Es ist teils unglaublich, was die Mennoniten in den abgelegenen Regionen schufen, die erst spät ans staatliche paraguayische Straßen- und Stromnetz angeschlossen wurden. Mittlerweile existieren deutschsprachige Kirchengemeinden, Schulen, Hochschulen, Radiosender, Zeitschriften, Supermärkte, Buchhandlungen oder Krankenhäuser – und nicht zuletzt sogar Fußballvereine, wo die Spieler von den Fans auf Deutsch angefeuert werden. Das Geschehen auf den Rasenplätzen und in den Fußballhallen der Mennoniten unterscheidet sich nicht sehr von dem bei Sportwettkämpfen in Deutschland. Doch einige kleine Unterschiede gibt es trotzdem: Einerseits werden Spiele häufig erst nach Einbruch der Dunkelheit mit Flutlicht ausgetragen, weil die Sonne tagsüber zu sehr brennt. Andererseits trinken die Zuschauer aus religiösen Gründen kaum Alkohol. Am beliebtesten ist Mate-Tee, der innerhalb der anwesenden Familien oder Freundesgruppen herumgereicht und aus einem gemeinsamen Metall-Trinkröhrchen nacheinander getrunken wird.
In den 1980er Jahren kamen die Leiter der verschiedenen Mennoniten-Vereine auf die Idee, eigene Fußball-Ligen beziehungsweise. Dachorganisationen zu gründen, und zwar eine namens «Menefepa» für die Kolonien im Norden und eine zweite namens MFBO für die Kolonien in Zentral- beziehungsweise. Ost-Paraguay. Die Bezeichnung «Menefepa» setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der vier nördlichen Gründervereine zusammen: MEnno, NEuland, FErnheim und PAratodo. MFBO steht für «Mennonitischer Fußball-Bund Ostparaguay». Er umfasst die mennonitischen Mannschaften aus Friesland, Volendam, Sommerfeld, Bergthal, Tres Palmas und der Hauptstadt Asunción. Aber auch die Fußballer aus der weniger religiös geprägten deutschsprachigen Kolonie Independencia dürfen mitspielen.
Am Jahresende gibt es das Turnier der Turniere
Sobald beide regionalen Ligen ihre Sieger ermittelt haben, findet am Jahresende ein interkoloniales Fußballturnier statt, in dem die jeweiligen Meister und Vizemeister von «Menefepa» und MFBO gegeneinander antreten. Die Endausscheidung mit vier Mannschaften zur Krönung des mennonitischen Gesamtsiegers für Paraguay ist nicht nur ein alljährlicher sportlicher Höhepunkt, sondern auch ein Anlass, bei dem sich die deutschstämmigen Familien aus allen Ecken des Landes treffen.
Das Vierer-Final-Turnier für das Jahr 2019 wurde im vergangenen November in Loma Plata, dem Hauptort der nördlichen Kolonie Menno, ausgetragen. Es fand zum 37. Mal statt. Von Seiten der MFBO nahmen Sommerfeld (Regional-Meister) und Tres Palmas (Vizemeister) teil. Die Vereine aus Menno (Regional-Meister) und Fernheim (Vizemeister) vertraten die «Menefepa». An zwei Abenden konnten die rund 2.500 Zuschauer bei hohen Temperaturen mitreißenden Fußball erleben, der bis zum letzten Moment spannend blieb. Im Abschluss-Spiel standen sich der gastgebende Menno-Sportverein (MSV) und der Sommerfelder Sportverein (SSV) gegenüber.
Der MSV hatte einen leichten Vorsprung von 2 Punkten. Ihm hätte ein Unentschieden zum Sieg gereicht. Alles sah auch zunächst danach aus, als könne der MSV den Siegerpokal vom Platz tragen. Lange stand es 1:1. Aber gegen Ende der zweiten Halbzeit kam die Überraschung: SSV-Kapitän Dickie Bergen schoss das 2:1. So wurden die Fußballer aus der ost-paraguayischen Kolonie Sommerfeld Gesamtmeister aller deutschsprachigen Vereine. Torschütze Dickie Bergen zum Sieg: «Das Trainieren und Schuften dieses Jahres hat nun seinen Lohn!» Auch die weit über vierstündige Fahrt der Mannschaft in den Norden des Landes war somit nicht umsonst. Ob es 2020 wieder einen Landesmeister geben wird, ist noch unklar, denn auch in Paraguay mussten aufgrund der Corona-Pandemie bereits viele Sportveranstaltungen ausfallen.