Vor 100 Jahren startete die «Priwall» zu ihrer Jungfernfahrt
Von Nicole Erler

Unter deutscher Flagge segelte sie als «Priwall», unter chilenischer Flagge fuhr sie unter dem Namen «Lautaro». Von 1917 bis 1941 im Besitz der Reederei F. Laeisz, wechselte die Viermastbark von 1941 bis 1945 in die Hände der chilenischen Marine. Ihre Heimathäfen waren Hamburg und Valparaíso.
Der geschichtsträchtige Fracht- segler war der vorletzte der Flying P-Liner, die für die berühmte Reederei F. Laeisz gebaut wurden. 1938 stellte das Schiff den bis heute gültigen Rekord für die schnellste Umrundung von Kap Hoorn durch ein Segelschiff in ostwestlicher Richtung auf. Sie sank 1945 auf tragische Weise nach einem Brand vor der peruanischen Küste.
Verzögerte Bauphase bestimmt das Schicksal der Viermastbark
Die «Priwall» ging am 23. Juni 1917 unter der Baunummer 234 in der Hamburger Werft Blohm + Voss zu einem Preis von rund 660.000 Goldmark vom Stapel. Der Begriff «Bark» benennt einen Dreimaster. Eine Bark mit einer größeren Anzahl an Masten wird entsprechend als Viermastbark oder auch als Fünfmastbark bezeichnet. Mit einer Länge von 115,60 Metern und einer Breite von 14,37 Metern war die Viermastbark «Priwall» mit insgesamt 33 Segeln für eine Besatzung von 27 Mann konstruiert: einen Kapitän, drei Offiziere und 23 Seeleute. Der Schiffsrumpf war nach Laeiszscher Tradition in den Farben schwarz-weiß-rot gestrichen. Das Überwasserschiff war schwarz mit weißem Wasserpass und das Unterwasserschiff rot – entsprechend der damaligen deutschen Nationalflagge. Statt einer Galionsfigur trug das Schiff am Bug ein schneckenförmiges Ornament, eine sogenannte Volute. Obwohl der Segler im Jahr 1917 fertiggestellt war, erreichte er die Reederei F. Laeisz, bedingt durch den Ersten Weltkrieg, erst am 6. März 1920. Die verzögerte Bauphase entband die Reederei schließlich von der im Versailler Vertrag festgelegten Pflicht der Übergabe an die Siegermächte.
Ein ungebrochener Rekord
In den 1920er Jahren fuhr die «Priwall» zunächst in der Salpeterfahrt Richtung Chile. Die Jungfernreise nach Valparaíso – mit 34 Mann Besatzung und 200 Passagieren – begann am 24. Juli 1920 unter der Führung von Kapitän Jürgen Jürs. Die Windjammer mit einem Stahlrumpf aus vernieteten Platten war schnell und robust genug, um gegen die Stürme des Südatlantiks und für die Reisen um Kap Hoorn gewappnet zu sein.
Capitän Jürgen Jürs im Jahr 1928 Weihnachten an Bord Die Jungs von der Priwall bei ihrem Landausflug an den Vulkansee Villarrica (hintere Reihe zweiter von rechts: Hans Peter Jürgens)
1926 erfolgte ein Umbau zum reedereieigenen Segelschulschiff. Die Mannschaftsstärke erhöhte sich auf 72, davon 45 Seekadetten. Die «Priwall» gehörte zu den wenigen frachtfahrenden Segelschulschiffen unter deutscher Flagge. Wie alle Laeisz-Segler hatte sie keinen Hilfsantrieb und wurde aus Sicherheitsgründen elbaufwärts in den Hamburger Hafen oder elbabwärts nach Cuxhaven geschleppt. Auf der ersten Reise als Segelschulschiff 1928 von Hamburg nach Talcahuano übernahm wieder Kapitän Jürgen Jürs das Kommando.
Nach der Chile Reise 1931 wechselte das Fahrgebiet der «Priwall» vorwiegend nach Australien. Das Salpetergeschäft war aufgrund der künstlichen Herstellung von Salpeter nicht mehr rentabel. Weizen war nun die neue Fracht. Unter Kapitän Robert Clauß machte der Segler bis 1935 vier Weizenfahrten. 1935 übernahm Kapitän Jürs zum dritten Mal für ein Jahr das Kommando über die Viermastbark.
Eine nie wieder unterbotene Bestleistung gelang dem schnellen Segler schließlich 1938 unter seinem letzten Laeisz-Kapitän Adolf Hauth, als er Kap Hoorn von Ost nach West in der Rekordzeit von fünf Tagen und knapp 14 Stunden umrundete. Am 31. Oktober gegen 1 Uhr überquerte die «Priwall» im Atlantik den 50. Breitengrad in südlicher Richtung, und am 5. November um 14 Uhr passierte sie auf pazifischer Seite die gleiche Breite gen Norden.
Aus der «Priwall» wird die «Lautaro»
Nach der Rückkehr in europäische Gewässer lief die «Priwall» am 16. Mai 1939 zu ihrer letzten Reise unter der Laeisz-Flagge nach Chile aus. Als die Viermastbark dann am 3. September 1939 in Valparaíso vor Anker ging, wurde sie infolge des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges interniert. Hans Peter Jürgens, damals Schiffsjunge auf der «Priwall», berichtet: «Am 3. September liefen wir schließlich in die weite Bucht von Valparaíso ein und gingen vor Anker. Zwei Stunden nach uns dampfte der britische Kreuzer «Achilles» in die Bucht und ankerte in Sichtweite. Als wolle man uns warnen: Krieg, es ist Krieg!»
Das Schiff lag nun im Hafen von Valparaíso fest. Die Mannschaft musste, um an Land zu gehen, eine Stunde in Ruderbooten zurücklegen. Die Männer verbrachten die folgenden Monate damit, das Schiff auf Vordermann zu bringen, handwerkliche Aufträge in Valparaíso anzunehmen und zu warten. Besitzer einer Obstplantage versorgte die Mannschaft mit frischem Obst. Fortan gab es morgens, mittags und abends Pfirsich als Hauptspeise. Weihnachten sangen die Matrosen «Stille Nacht», mit Tannenbaum an Deck. An Bord wurden nun auch Tiere wie Kaninchen und Schweine gehalten und die Matrosen fuhren aus, um Fisch zu fangen. So wurde der Speiseplan ein wenig abwechslungsreicher.
Ab und zu wurde gegen die Chilenen eine Partie Fußball gespielt. Jürgens erzählt: «Einmal lief der «1. FC Priwall» im Stadion von Playa Ancha auf, um vor einigen hundert Zuschauern gegen eine Auswahl der Berufsfeuerwehr zu kicken. Das Spiel ging Null zu Null aus.» Im Mai 1940 brach schließlich ein großer Sturm über der Bucht von Valparaíso aus, wobei der Hafen verwüstet wurde. Auch die Viermastbarg geriet arg ins Wanken, doch am Ende griffen die Anker. Das Schiff samt Mannschaft überstand den Sturm. Wenige Wochen später wurden die Männer zum Arbeitsdienst auf einer Hacienda im Süden von Chile geordert.
1941 drohte schließlich die Beschlagnahmung der «Priwall» durch die Alliierten. Dem kam die deutsche Regierung jedoch zuvor, indem sie am 23. Mai 1941 das Schiff der chilenischen Regierung zum Geschenk machte. Es wurde in Kalifornien umgebaut und in die chilenische Marine eingegliedert. Der Segler erhielt einen Dieselmotor als Hilfsantrieb und hieß fortan «Lautaro». Als neuen Anstrich bekam das Schiff einen schneeweißen Rumpf mit schwarzem Wasserpass und Unterwasserschiff, weshalb es auch «El bello cisne blanco» genannt wurde.
Tragischer Untergang der «Lautaro»
Auf seiner fünften Reise unter chilenischer Flagge nach Manzanillo in Mexiko, geriet der mit in Papiersäcken verpacktem Salpeter beladene Segler am 28. Februar 1945 ungefähr 300 Kilometer vor der peruanischen Küste in Höhe des Hafens von Pisco durch Selbstentzündung in Brand. Zwei Masten gingen über Bord, das Schiff bekam Schlagseite. Viele Seeleute starben an Rauchvergiftung, Verbrennungen oder dem langen Aufenthalt im Wasser.
Der ausgeglühte Rumpf sollte vom peruanischen Dampfer «Ucayali» nach Callao geschleppt werden, versank aber auf dem Weg dorthin am 8. März 1945 infolge eines Wassereinbruchs nahe dem Zielhafen. Das Schiffsunglück war eine nationale Katastrophe. Der damalige Präsident Chiles, Juan Antonio Ríos Morales, leitete persönlich am 17. März 1945 die Zeremonie in Valparaíso, an der fast die ganze Stadt teilnahm. Noch immer werden zur Erinnerung an das tragische Ereignis Gedächtnisfeiern in Valparaíso abgehalten.
Neben dem ersten Schiffsführer Max Jürgen Heinrich Jürs fuhr die «Priwall» ebenfalls unter dem Kommando der Kapitäne Brockhöft, Schubert, Töpper, Clauß, Hauth und zuletzt – umbenannt in «Lautaro» – unter der Führung des chilenischen Korvettenkapitäns Enrique García González, der beim Untergang verstarb. Sieben Kapitäne, unzählige Matrosen und drei Zielländer – Chile, Australien und Mexiko: Der Frachtsegler könnte unzählige Geschichten erzählen: Von Freud und Leid, vom Überleben und Warten, von Stürmen und Feuern, von Kälte und Hitze, von Abenteuern und Heimweh und jede Menge Seemannsgarn.
«Priwall» – ein Taufname mit Geschichte
Der Name «Priwall» geht auf eine etwa drei Kilometer lange Halbinsel an der Travemündung im Osten Schleswig-Holsteins zurück. Doch es steckt noch mehr Geschichte hinter der Wahl des Namens.
Ferdinand Laeisz gründete in Hamburg am 24. März 1824 ein Unternehmen für die Herstellung von Hüten, jedoch entwickelten sich seine Geschäftsaktivitäten alsbald in Richtung Seetransport. Das Unternehmen kaufte 1839 die «Brigg Carl». Der Zweimaster war nach Sohn Carl benannt, der im Jahr 1852 als Teilhaber in das Unternehmen einstieg. 1857 wurde schließlich der erste eigene Schiffsneubau angeschafft. Die hölzerne Bark wurde nach dem Spitznamen von Carls Ehefrau getauft. Aufgrund ihrer Frisur wurde sie «Pudel» genannt. Alle weiteren eigenen Neubauten der Firma F. Laeisz ab 1861 führten den Anfangsbuchstaben «P» im Namen, weshalb die Reederei von britischen Seeleuten zunächst als «P-Line» bezeichnet wurde. Bald standen die Segler für Zuverlässigkeit und Schnelligkeit, woraufhin sie als «Flying P-Liner» bekannt wurden, im Volksmund auch als «Hamburger Viermaster». Heute betreibt die Reederei F. Laeisz Container-, Gas-, Autotransport- und Forschungsschiffe. Fast alle Schiffe tragen noch immer Namen, die mit «P» beginnen. Mit der «Peene Ore» als Flaggschiff betreibt die Reederei das größte Handelsschiff unter deutscher Flagge.