«Uns beiden sind die Leerräume wichtig»
Von Hans Ruoff
Was verbindet eine Malerin aus Santiago und einen Stahlbildhauer aus Berlin? Farbe ist nicht Stahl, Deutschland und Chile trennen zwölftausend Kilometer. Karen Lüderitz und Karl Menzen sprechen, denken und träumen in unterschiedlichen Sprachen. Und doch gibt es zwischen den beiden eine große Gemeinsamkeit.
Dieser Prozess begann vor zehn Jahren: mit der Idee für einen Austausch zwischen Künstlerinnern und Künstlern aus Berlin und aus Chile. 2014 reist Karen Lüderitz dann nach Berlin und besucht Karl Menzen in dessen Atelier. Im Vorfeld unserer heutigen Ausstellung hat sie mir geschrieben, wie sie diesen Besuch in Erinnerung hat:
«Im Halbdunkel (des Gartens sah ich) anmutige Gestalten, die ein Ballett zu tanzen schienen, zwischen den Pflanzen und den Schatten der Bäume.
Helle, ätherische, mächtige Stahlfiguren, die der Schwere des Materials trotzten und die umgebende Luft einbezogen.»
Konkrete Kunst
Karen sah Skulpturen, wie wir sie heute hier in dieser Halle sehen. Stahlskulpturen. Entworfen und hergestellt von einem Künstler, der sich einen eigenen Weg in die Kunst erarbeitet hat. Karl Menzen ging nach der Schule nicht an die Kunstakademie, sondern zunächst in die Praxis. Er wurde Mitarbeiter des Stahlbildhauers Volkmar Haase. Dort lernte er das Handwerkliche. Parallel dazu studierte er an der TU Berlin Werkstoffwissenschaften. So schuf er sich sein Fundament, fachlich, handwerklich und im Austausch mit einem Künstler. Erst dann machte er sich an die Kunst.
Seine Skulpturen bilden keine Gegenstände ab. Auch nicht abstrakt. Die meisten basieren auf geometrischen Grundformen – Kreis – Dreieck – Rechteck – Quadrat. Von ihrem Ursprung her sind sie konstruiert, in der Ausführung minimalistisch. Von der Kunstrichtung her gehören diese Skulpturen zur sogenannten «Konkreten Kunst». – Und deshalb wurde Karl Menzen vor zwei Jahren zum ersten Mal hierher in die «Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps» eingeladen.
Der Begriff «Konkrete Kunst» hat mich zunächst etwas verwirrt. Ich dachte, konkret sei das Gleiche wie gegenständlich. Aber in der Kunst meint es das Gegenteil. In der Abfolge der Kunstrichtungen gegenständlich – abstrakt – konkret bezeichnet «Konkrete Kunst» ein Bild – oder hier eine Skulptur, die sich völlig löst vom Abbild eines Gegenstandes und nur der Form folgt und den Möglichkeiten, die das Material bietet.
Bei Karl Menzen kommt dazu: Er spielt mit den Formen und mit den Möglichkeiten, die Stahl als Material bietet. Dadurch haben seine Skulpturen nichts Schweres oder Erdrückendes. Sondern bekommen etwas Leichtes, fast Schwebendes. Über seine Arbeit sagt Karl Menzen: «Ich sehe und empfinde eine Nähe zur Musik. Von der inneren Struktur her hat Skulptur auch mit Musik zu tun.»
Karen Lüderitz hat dies gesehen, als sie Karl Menzen vor sechs Jahren im Atelier besuchte. Und sie erkannte: Es gibt da etwas Verbindendes zwischen uns. Vor zwei Jahren nahmen Karl Menzen und Karen Lüderitz den Faden wieder auf. Bei der deutsch-chilenischen Gruppenausstellung «maleta» in meiner Galerie in Berlin und bei einem Workshop im Institut für Kunst und Kultur in Brandenburg.
Deutlicher als bei ihrem ersten Treffen erkannten sie: Wir arbeiten zwar mit sehr unterschiedlichen Materialien, aber es gibt eine innere Gemeinsamkeit. Uns beiden sind die Leerräume wichtig, das «Dazwischen». Der Bereich, in dem Energie fließt. Für Karen Lüderitz ist dieses «Dazwischen» der Bereich zwischen den Farbschichten, aus denen sie ihre Bilder aufbaut. Auch sie will nichts Gegenständliches abbilden, sondern dem Material Raum geben. In ihrem Fall der Farbe.
Farben der Natur Chiles
Dabei schöpft sie aus der Farbpalette der Natur ihres Landes: dem Gelb der Wüste, dem Rot der Sonnenuntergänge, dem Blau von Himmel und Meer. Je leerer die Landschaft ist an den Rändern des Landes, desto intensiver leuchten die Farben. Karen Lüderitz setzt ihre Farben intuitiv. Für sie haben Farben auch etwas von Musik. Sie seien wie Klänge, die sich zu einer Melodie verbinden. Im Universum gebe es Musik, und sie versuche, diese Musik auszudrücken.
Neben Kunst hatte Karen Lüderitz auch Industriedesign studiert und zunächst als Designerin gearbeitet. 2006 wurde sie zu einer Ausstellung nach Washington eingeladen. Das war für sie der Wendepunkt. Sie schloss ihr Designbüro und widmete sich ganz der Kunst. Heute hat sie in Chile einen Namen. Im Präsidentenpalast in Santiago hängt eine Arbeit von ihr, und in Buenos Aires nimmt sie an der Ausstellung «Treasures of America» teil, als eine von 29 Künstlerinnen und Künstlern aus ganz Lateinamerika.
Als Karen Lüderitz und Karl Menzen ihre künstlerische Verwandtschaft entdeckten, entstand die Idee für ein gemeinsames Projekt. Karl Menzen war eingeladen, ein zweites Mal hier in der «Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps» auszustellen, gemeinsam mit einer Künstlerin, die er auswählen konnte. Und Karl Menzen entschied sich für Karen Lüderitz.
Und dann begannen beide, für diese Ausstellung zu arbeiten. Fotos von Bildern und Skulpturen gingen zwischen Berlin und Santiago hin und her. Und über 12.000 Kilometer hinweg entstand eine sehr besondere Zusammenarbeit. Karen schrieb, sie habe Karl Menzens Skulpturen vor sich gesehen, während sie gemalt habe:
«Karls Arbeiten haben mich während des gesamten Prozesses begleitet und ich hatte das Gefühl, ich singe ein Duett. Da war Raum, Musik und Tanz. Da waren bewegte Figuren, der Raum war leer und voll, da war Luft.»
Und so kam «Melos. Raumklang. Farbklang» trotz Corona zustande. «Raumklang» und «Farbklang» meint die innere Musik in diesen Arbeiten. «Melos» steht für die Energie in den Leerräumen und die Ausstrahlung auf uns, die wir vor diesen Arbeiten stehen.