Für die Kinder in West-Berlin war er nach dem Zweiten Weltkrieg «Onkel Wackelflügel». Als Rosinenbomber-Pilot ging Gail Halvorsen in die Geschichte ein. Der US-Pilot, der während der Berliner Luftbrücke kleine Fallschirme mit Süßigkeiten abwarf, wurde am Samstag, 10. Oktober, 100 Jahre alt.
Ein paar Brocken Deutsch spricht der «Candy Bomber» immer noch. «Das ist meine zweite Heimat», sagt Gail Halvorsen mit verschmitztem Lächeln. Ob er denn seinen 100. Geburtstag gerne in Berlin feiern würde? «Natürlich», antwortet der ehemalige US-Pilot im dpa-Video-Interview mit breitem amerikanischen Akzent.
Die alte Pilotenjacke trug er noch bei seinem letzten Besuch in Berlin, mit 98 Jahren, als Ehrengast bei den Feiern zum 70. Jahrestag des Endes der Luftbrücke. Wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Halvorsen zu den Piloten, die das von sowjetischen Truppen abgeriegelte West-Berlin über Monate aus der Luft versorgten. Mit fast 280.000 Flügen brachten Amerikaner, Briten und Franzosen von Juni 1948 bis Mai 1949 den mehr als zwei Millionen Einwohnern Lebensmittel und Kohle. Und Candy – Süßigkeiten. Es war Halvorsens Idee, während der sowjetischen Blockade Süßigkeiten für die Kinder abzuwerfen. Als erster «Candy Bomber» wurde der junge Pilot zum Symbol für die Hilfsaktion.
Die Idee kam ihm, als er eines Tages am Ende des Rollfelds auf dem früheren Flughafen Tempelhof eine Gruppe Kinder hinter einem Stacheldrahtzaun traf. «Ich hatte noch zwei Streifen Kaugummi, die sie sich in kleinen Stücken teilten», erzählt Halvorsen. «Ich versprach ihnen, am nächsten Tag mehr Süßigkeiten abzuwerfen. Und weil ja alle paar Minuten ein Flugzeug landete, würde ich als Erkennungszeichen beim Anflug mit den Flügeln wackeln.» Von da an hatte er den Spitznamen «Onkel Wackelflügel». Der junge Pilot schnürte Schokoriegel und Kaugummi zu kleinen Bündeln und befestigte diese an Taschentüchern, die wie Fallschirme vom Himmel fielen.
Die Aktion sprach sich im zerbombten Berlin schnell herum. «Bald warteten Hunderte Kinder auf mich», erzählt der Luftbrücken-Veteran stolz. Aus den USA kamen mehr und mehr Spenden, Süßes und Taschentücher. Die Kameraden des Piloten halfen mit. Mehr als 23 Tonnen Schokolade und Bonbons warfen sie in den nächsten Monaten ab.
Im Minutentakt flogen die Maschinen mit Lebensmitteln West-Berlin an. Es war ein riesiges und auch ein riskantes Unterfangen. 31 Piloten seien dabei ums Leben gekommen, sagt Halvorsen. «Das waren schwierige Zeiten. Kurz zuvor waren wir noch Feinde, nun brachten wir den Deutschen Güter, damit sie überleben konnten.» Er selbst hatte Kameraden im Krieg verloren.
Mit Deutschland ist Halvorsen immer verbunden geblieben. Anfang der 70er Jahren war er vier Jahre lang Kommandant des Flughafens Tempelhof, den er als «Candy Bomber» angeflogen hatte. Nach diesem letzten Einsatz und mehr als 8.000 Militär-Flugstunden setzte er sich zur Ruhe.
Eine große Kinderschar ist auch bei seinem 100. Geburtstag dabei. Halvorsen hat fünf Kinder, 24 Enkel und 59 Urenkel. Sein Lieblings-Candy in den USA ist ein Schokoriegel mit Erdnüssen und Karamell. Und in Deutschland? «Marzipan», so die blitzschnelle Antwort. «Dort gibt es viel bessere Süßigkeiten als bei uns», fügt er schelmisch hinzu.
Gail Halvorsen, ehemaliger Luftbrückenpilot, ist 2019 dabei, als der Baseballplatz des Sportvereins Berlin Braves nach ihm benannt wird.
(dpa)