Serie: Die Architekten der deutschen Einheit
Von Silvia Kählert
Wer Hans-Dietrich Genscher erlebte, vergisst nicht sein fast schon nuschelndes Sächsisch. Tatsächlich ist er bei Halle 1927 geboren und ging dort zur Schule. Als Flakhelfer und später als Soldat erlebte er ab 1943 die Schrecken des Zweiten Weltkriegs. Von 1946 bis 1949 studierte er Rechtswissenschaften in Halle. Im Jahr 1952 flüchtete er aus der DDR in den Westen und trat noch im gleichen Jahr in die FDP ein.
Genscher war also in Ost und West zuhause. Das und seine Kriegserfahrungen waren sicher ein Grund für seinen unermüdlichen Einsatz für ein vereintes Europa des Friedens. Das verband ihn mit Helmut Kohl, beide waren überzeugte Europäer und sich daher auch nahezu einig bei den Fragen der deutschen Wiedervereinigung.
Der Vollblutpolitiker machte in der FDP Karriere: Insgesamt 18 Jahre lang, von 1974 bis 1992, war er unter den Bundeskanzlern Helmut Schmidt und Helmut Kohl fast ununterbrochen Bundesaußenminister und war somit der am längsten amtierende Außenminister der Bundesrepublik Deutschland – und sicherlich einer der beliebtesten.
Mit Weitsicht und Erfahrung ebnete er durch seine Diplomatie der persönlichen Kontakte die deutsche Wiedervereinigung. Bereits 1988 konnte er sich die Unterstützung der polnischen Opposition und schließlich das Vertrauen Michael Gorbatschows sichern. Der Außenminister setzte auf multilaterale Verträge und war maßgeblich an den internationalen Verhandlungen der Zwei-Plus-Vier-Verträge beteiligt, die er am 12. September 1990 mitunterzeichnete. Erst die Anerkennung dieser Verträge 1991 durch Russland verlieh Deutschland seine volle Souveränität. Dies war ein maßgeblicher Verdienst Hans-Dietrich Genschers.
Am 30. September 1989 um 18.58 Uhr verkündete er vom Balkon der Prager Botschaft den Tausenden dorthin geflüchteten DDR-Bürgern ihre Ausreise per Sonderzug. Berühmt geworden sind seine Worte «Liebe Landsleute, wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise …», die im folgenden Jubel untergingen.
Auf dem Höhepunkt seiner Karriere 1989 ernannte ihn das Satire-Magazin Titanic zum Superhelden «Genschman» – mit Flatterohren und gelbem Pullunder durch die Welt fliegend. Hans-Dietrich Genscher ist mit 89 Jahren am 31. März 2016 gestorben.