«Es war eine Sache von Minuten»
Von Silvia Kählert
Klaus Lederer wagte 1967 eine spektakuläre Flucht mit dem Segelboot aus der DDR. Die Freundschaft zu Eberhard Kossmann, dem Gründer der größten privaten Werft in Chile, Asenav, war der Dreh- und Angelpunkt für vieles in seinem Leben.
«In einem Jahr bin ich drüben», sagte Klaus Lederer zu seinem Freund Eberhard Kossmann 1966 in Prag. Klaus Lederer, 1937 in Fürstenwalde bei Berlin geboren, arbeitete zu dem Zeitpunkt in Rostock in einer Reederei. Eberhard Kossmann lebte bereits in Chile und war extra für dieses Treffen in die Hauptstadt der damaligen Tschechoslowakei gereist, nachdem er bereits 1963 aus der DDR geflohen war.
«Ich bin quasi auf einem Segelboot aufgewachsen»
«Uns verbindet eine dicke Freundschaft», erklärt der großgewachsene Mann, der ruhig und sachlich, mit wenigen Worten seine Geschichte der eigenen Flucht aus der DDR und den Neubeginn in Westdeutschland und Chile erzählt. Das Thema Schiffe hat die beiden Männer immer verbunden. «Ich bin quasi auf einem Segelboot aufgewachsen», berichtet der 83-Jährige über seine Kindheit. Wenn sein Vater mit seinem Boot auf einen See nahe Berlin zum Segeln fuhr, waren Klaus und sein drei Jahre älterer Bruder Hans, immer dabei. Am Ende des Zweiten Weltkriegs hatte der Maschinenbauingenieur beim «Volkssturm» gedient, zu dem alle waffenfähigen Männer eingezogen worden waren, und war 1945 gefallen.
Für Klaus war die Berufswahl nach der Schule nicht schwer: Der junge Mann absolvierte zunächst eine Schiffsbau-Ausbildung. Beim anschließenden Schiffsbauingenieurstudium ab 1958 an der Universität in Rostock lernte er seinen Freund Eberhard Kossmann kennen. Beide setzten im Abendstudium ein Schiffsmaschinenbaustudium drauf.
Eigentlich habe er in der DDR auf den ersten Blick alles gehabt, um zufrieden zu sein: «Ein Auto, eine Wohnung, eine Arbeit bei der Neptun-Werft in Rostock. Doch wer nicht in der Partei war, hatte beruflich keine Perspektive und galt als nicht regimetreu. Außerdem fand ich es schrecklich, ständig damit rechnen zu müssen, mit meiner westlichen Einstellung denunziert zu werden.» Ähnlich erging es Eberhard Kossmann. Sein Vater lebte in dem Dorf Lasahn in der sogenannten Sperrzone, die Fünf-Kilometer-Zone vor der Grenze zur Bundesrepublik, die man nur mit einem Passagierschein betreten durfte. Eberhard nutzte die Chance und der Sporttaucher schwamm 1963 durch den Schaalsee in den Westen.
«Tonne 13 war unser Ziel»
In den Jahren darauf heiratete Klaus und Tochter Grit kam auf die Welt. Doch der Fluchtwunsch wuchs – vor allem nach dem Treffen 1966 mit Freund Eberhard in Prag. Noch im selben Jahr machte er den Schifferschein, der ihm erlaubte, ein Segelboot zu führen. Mit Freund Ralf Linke begann er Fluchtpläne zu schmieden – «immer auf dem Segelboot, um nicht aufzufliegen». Nachdem er in einer Regatta den zweiten Platz erreichte, wurde ihm erlaubt, im Juli einen Urlaub mit dem betriebseigenen Boot zur Insel Hiddensee zu unternehmen.
«Das war unsere Gelegenheit! Am 21. Juli morgens ganz früh starteten wir zu viert: Meine Frau, unsere dreijährige Tochter und Freund Ralf.» Als erstes schraubten die Männer den Radarreflektor ab und nahmen dann Kurs Richtung Norden: «Tonne 13 war unser Ziel, hier war die Schifffahrtsstraße auf der Ostsee.» Es gelang der kleinen Gruppe die Ost-Wachboote zu umsegeln und so erreichten sie nach etwa sechs Stunden den südlich der dänischen Insel Falster gelegenen Punkt ohne Zwischenfälle. Kaum angelangt sichteten die Flüchtlinge bereits ein sich von weitem näherndes großes Schiff.
«Die Sicht war nicht so gut: Daher schossen wir Rauchsignale ab.» Es handelte sich um die Finnhansa, ein finnisches Fährschiff. Der Kapitän reagierte sofort und stoppte das Schiff. «Wir setzten unser Schlauchboot ins Wasser, stiegen hinein und ließen das Segelboot treiben.» Als letzter kletterte Klaus Lederer die Bordleiter der Finnhansa hinauf, nach seiner Frau mit dem Kind und Freund Ralf. «Als ich in diesem Moment hochblickte und über das Meer schaute, sah ich schon die DDR-Küstenwache sich nähern. Das heißt, es war eine Sache von Minuten gewesen, dass unser Fluchtplan gelang.» Die Anspannung fiel von ihnen ab: «Ich bekam einen Lachkrampf, während meine Frau in Tränen ausbrach.»
Die DDR-Küstenwache verfolgte noch eine ganze Zeit die Finnhansa und forderte die Schiffscrew auf, ihnen die Flüchtlinge zu übergeben. «Die machten natürlich keine Anstaltungen. Wir erhielten sofort eine Schiffskabine und wurden mit Essen versorgt. Schließlich sammelten die Passagiere Geld für uns. Es kamen immerhin einige hundert D-Mark zusammen.»
«Meine Entscheidung habe ich nie bereut»
Zunächst kam die Familie in ein Flüchtlingsauffanglager in Lübeck und dann in Gießen. Nach einigen Wochen lud das US-amerikanische Militär Klaus mit Familie nach Oberursel ein. Dort wurde ihnen ein Haus zur Verfügung gestellt und der Schiffbauingenieur begann Bewerbungen abzuschicken. Nach vier Wochen hatte er bereits eine Zusage von der Rickmerswerft in Bremerhaven. Später wechselte er zum Ingenieursbüro Schiffko. Dort war er zuständig für Beratung und Bauleitung für Schiffe weltweit.
Neun Jahre später kontaktierte ihn wieder sein Freund Eberhard Kossmann: «Komm nach Chile und arbeite bei der Asenav. » Klaus Lederer zögerte nicht lange. 1976 übernahm er die Leitung des Ingenieurbüros in Santiago und bildete mit den Jahren ein Team von Fachleuten aus. «Meine Entscheidung habe ich nie bereut», meint er im Rückblick. «Hier in Chile hatte ich mehr Möglichkeiten, mich beruflich weiterzuentwickeln.»
Als 1982 in Chile die Wirtschaft in eine Krise geriet und die Aufträge ausblieben, zog Lederer dennoch für einige Jahre nach Deutschland zurück und arbeitete wieder beim Hamburger Schiffsingenineursbüro Schiffko bis 1989. Wie es der Zufall so wollte, erlebte der ehemalige DDR-Bürger daher im Jahr 1989 den Fall der Mauer in Deutschland: «Ich freute mich natürlich sehr und besuchte noch im September meinen Bruder in Berlin.»
Kurz darauf erreichte ihn wieder ein Anruf seines Freunds in Chile mit einem neuen Arbeitsangebot bei der Asenav.» Ich war einverstanden – aber nur unter der Bedingung, dass ich mit meinem selbst entworfenen Segelboot kommen durfte.» Das hätte Kossmann aber zu lange gedauert, also einigten sich die beiden, dass das Boot als Fracht nach Chile aufgegeben wurde.
Heute immer noch in Chile hat Klaus Lederer vor vier Jahren das Boot verkauft und seit acht Jahren ist er pensioniert. Doch eine Verbindung zu Schiffen hat er immer noch: «Ich habe eine Wohnung in Valparaíso – und das Schönste daran: Der gute Blick auf den Hafen.».