Interview mit Dr. Christian Hellbach, Deutscher Botschafter in Chile
Dr. Christian Hellbach ist seit August 2019 deutscher Botschafter in Chile. Im Cóndor-Interview erzählt er davon, dass für ihn die lateinamerikanische Kultur alles andere als fremd ist, über seinen Werdegang zunächst als Anwalt, dann in verschiedenen Ämtern im Auswärtigen Dienst und was er als Botschafter in Chile vor allem als seine Aufgabe ansieht.
Was für eine Rolle spielt für Sie hier in Chile, dass Sie in Mexiko-Stadt geboren sind und die Deutsche Schule Bogotá besuchten?
Ich habe große Teile meiner Kindheit und Jugend in den genannten Ländern verbracht. Es war eine andere Zeit und auch die Unterschiede zwischen diesen Ländern und Chile sind groß. Aber ich denke schon, dass es auch Gemeinsamkeiten gibt, beginnend mit der Sprache. Spanisch ist für mich genauso Muttersprache wie Deutsch. Das und die Vertrautheit mit der Kultur, der Geschichte und den Sichtweisen der Menschen, der berühmten «idiosincracia», die, wie gesagt, durchaus Ähnlichkeiten aufweist, hilft mir sehr. Ich habe mich in Chile zu keinem Zeitpunkt fremd gefühlt.
Wie kam es zu Ihrer Studienwahl der Rechtswissenschaften und was bewog Sie nach Ihrer Arbeit als Rechtsanwalt, sich für den Auswärtigen Dienst vorbereiten zu lassen?
Ich glaube, ich habe mich entschieden, Rechtswissenschaften zu studieren, weil ich mich für Politik interessierte, vielleicht kein ganz gängiges Motiv für die Wahl dieses Studienganges. Aus demselben Grund habe ich mich auf Verfassungsrecht konzentriert; ein Stück weit wohl auch, weil ich der Routine des Anwaltsberufs, den ich auch ausprobiert habe, entfliehen wollte. Und zum Auswärtigen Amt bin ich gegangen, weil es mich hinauszog, vielleicht auch, weil ich davon träumte, zurück nach Lateinamerika zu gehen. Das hat erst einmal nicht geklappt, aber ich bin im Nachhinein froh darüber, weil ich andere Teile der Welt kennen gelernt habe und dies als große Bereicherung empfinde.
Was haben Sie aus den Erfahrungen als Botschafter in Bosnien und Herzgowina und als Sonderkoordinator für den Westbalkan, die Türkei und die EFTA-Staaten für Ihre spätere Arbeit mitgenommen?
Konkret habe ich mich in diesen Jahren sehr viel mit ethnischen und religiösen Konflikten und mit der Transformation von wirtschaftlichen und politischen Systemen befasst. Eine wichtige Lehre aus dieser Zeit ist, dass unvollendete Transformation, «transformación a medias», schlecht ist und zu Fehlentwicklungen bis hin zur Vereinnahmung ganzer Staaten und Gesellschaften durch korrupte Machteliten führen kann, ein typisches Problem vieler Länder im Osten und Südosten Europas, die irgendwo auf halbem Weg zwischen Demokratie und Autokratie, zwischen sozialer Marktwirtschaft und staatlich gelenkter Wirtschaft stecken geblieben sind.
Haben Sie sich beim Antritt Ihres Amtes in Chile etwas schwerpunktmäßig vorgenommen?
Nun ja, aufgrund der Entwicklungen seit Oktober 2019 musste auch ich meine Pläne neu justieren. Die Begleitung Chiles bei der Bewältigung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen der kommenden Jahre ist für mich jetzt Priorität Nummer eins. Daneben gilt es weiterhin, die Zusammenarbeit auf vielen Gebieten fortzuführen und zu vertiefen, wobei aus meiner Sicht vor allem Zukunftsthemen wie der Klimaschutz, die Entwicklung der erneuerbaren Energien und des grünen Wasserstoffes sowie Forschung und Innovation besondere Bedeutung zukommt.
Nicht zu vergessen ein politisches Thema: Die Bundesregierung setzt sich für den Erhalt und den Ausbau einer regelbasierten internationalen Ordnung, den sogenannten Multilateralismus ein. Chile ist dabei ein wichtiger Partner, weil Chile wie Deutschland und die EU ein starkes Interesse daran hat, dass der Welthandel frei und fair bleibt und nicht das Recht des Stärkeren die internationalen Beziehungen beherrscht. Der zunehmende Protektionismus führt langfristig zu höheren Preisen, Arbeitslosigkeit und insgesamt einem weltweiten Wohlfahrtsverlust. Es ist wie im Kino: Einer sieht wenig und steht deshalb auf. Dann hat er kurzfristig eine bessere Sicht als alle anderen. Wenn diese aber auch aufstehen, sieht zum Schluss keiner besser als vorher. Und außerdem müssen alle stehen…
Sehen Sie als Botschafter die Möglichkeit, Chile auf dem weiteren Weg nach den sozialen Unruhen zu begleiten?
Ich kann und will dem Verfassungsplebiszit nicht vorgreifen, aber dass es mindestens Verfassungsreformen, wenn nicht eine neue Verfassung geben wird, erscheint zumindest wahrscheinlich, wenn man den Umfragen glauben kann. Wir wollen mit Hilfe von anerkannten Experten helfen, ideologische Gräben zu überbrücken, damit der Prozess, so er tatsächlich beginnt, nicht aus der Bahn gerät und Chile eine funktionale, internationalen Standards genügende Verfassung bekommt.
Wie ist Ihre Bindung bei den vielen Aufenthalten im Ausland zu Deutschland?
Natürlich haben wir Freunde und Angehörige in Deutschland. Unser Lebensmittelpunkt ist Berlin und wir waren auch nie länger als drei Jahre am Stück im Ausland. Wir sind aber eine multinationale Familie, meine Frau stammt aus Südosteuropa und die Bindungen dorthin sind nicht minder stark.
Die deutsch-chilenische Gemeinschaft ist in Chile besonders aktiv und lebendig. Spielt das eine Rolle für Ihre Arbeit?
Aber natürlich. Die Größe dieser Gemeinschaft und ihre Lebendigkeit ist ein besonderes «asset» in den Beziehungen zwischen unseren Ländern, um die mich, glaube ich, viele meiner europäischen Kollegen beneiden. Sie trägt maßgeblich dazu bei, dass uns hier alle Türen offen stehen. Ich kann mir schlechtere Arbeitsbedingungen vorstellen!
Wie gefällt es Ihnen und Ihrer Familie in Chile?
Chile ist ein außergewöhnlich schönes Land, die Natur ist wirklich überwältigend. Vor allem der Süden ist ein Traumziel für viele Menschen in der Welt und wir haben die Chance, ihn kennen zu lernen. So richtig eingelebt haben wir uns, ehrlich gesagt, aber nicht, weil wir Chile fast nur im Ausnahmezustand kennen gelernt haben. Ich hoffe, das ändert sich bald!
Wie hat sich Ihre Arbeit seit der Pandemie verändert?
Dramatisch, weil Kontakte knüpfen in meinem Beruf von zentraler Bedeutung ist. Und das ist jetzt nicht mehr so einfach. Aber nicht alles ist schlecht. Die Digitalisierung oder Virtualisierung der Kommunikation eröffnet auch neue Möglichkeiten. Teilweise kann man jetzt schneller, öfter und sogar intensiver kommunizieren. Ich glaube, wir werden nach der Pandemie einiges anders machen als davor.
Die Fragen stellte Silvia Kählert.