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Rudolph Amandus Philippi – Ein Leben für die Naturwissenschaften in Deutschland und Chile

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Von Dietrich Angerstein

Rudolph Amandus Philippi, Forscher und Naturwissenschaftler, Direktor des Museo Nacional de Historia Natural de Chile und zahlreicher anderer Stätten der Forschung.

Ohne Zweifel war Rudolph Amandus Philippi einer der bedeutendsten Wissenschaftler Chiles und gilt in unserem Land als Vater der Naturwissenschaften. Der Zeitgenosse von Wilhelm von Humboldt wurde von diesem hochgeschätzt. Auch in seiner Heimat Deutschland gehörte er zu den führenden naturwissenschaftlichen Forschern in der 

ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es stellt sich also die Frage, warum Rudolph Amandus Philippi überhaupt nach Chile kam.

Schon der Name Philippi gibt Rätsel auf. Er darf allerdings als Genitiv des Namens Philippus erklärt werden und bedeutet demnach «Sohn des Philippus», des Philipps. Man muss dazu erinnern, dass um das 15. und 16. Jahrhundert Angehörige des gebildeten Mittelstandes ihre Namen «latinisierten», war doch Latein die Sprache der Wissenschaftler und Gelehrten. So entstanden Namen wie Magirus, Ochsenius, Praetorius und viele andere mehr.

Jugendjahre in Berlin und Yverdon 

Jedenfalls war die Familie Philippi im 17. und 18. Jahrhundert in Westfalen recht bekannt, bis der Vater des späteren Naturwissenschaftlers, Johann Wilhelm Eberhard Philippi, Beamter in Diensten des preußischen Königs, zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach Charlottenburg zog. Charlottenburg gehörte seinerzeit noch nicht zu Berlin, sondern lag vor den Toren der Stadt. Dort heiratete der Beamte im Jahre 1806 Anna Maria Krumwiede, seine dritte Frau. Die vorherigen Gattinnen waren jung verstorben. Aus der dritten Ehe gingen  zwei Söhne hervor, Rudolph Amandus, geboren am 14. September 1808, und drei Jahre später Bernhard Eunom, geboren am 19. September 1811.

Den ersten Unterricht in Schreiben, Lesen und den Grundrechenarten erteilte die Mutter ihren Kindern, was in jenen Jahren in Kreisen des preußischen Mittelstandes durchaus üblich war, sofern man nicht über einen Hauslehrer verfügte. Wenig später, die beiden Jungen waren gerade erst zehn und sieben Jahre alt, wurden sie in die Obhut des Internats des anerkannten Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi zu Yverdon gegeben. Ihre Mutter begleitete sie, da zu Hause in Berlin ihre Ehe gerade eine Krise durchlief. Im Internat zu Yverdon mussten sich die Jungen allerdings allein durchschlagen.

Das Internat des Reformators Pestalozzi zeichnete sich durch innovative naturnahe Lehrmethoden aus, im Gegensatz zu den damals üblichen Unterrichtsmethoden, die trockene, naturferne Lehrweisen pflegten, und wo das Auswendiglernen lateinischer und altgriechischer Klassiker die Regel war. Ohne Zweifel wurde hier das Interesse an der Natur bei dem jungen, aufnahmefähigen Rudolph Amandus geweckt. Schon in Yverdon sammelte und klassifizierte er Pflanzen und Schmetterlinge in der freien Natur.

Rudolph und sein Bruder kehrten im Jahre 1822 nach Charlottenburg zurück, wo Rudolph in das Königliche Gymnasium zum Grauen Kloster eingeschult wurde, während sein Bruder Bernhard in der Technischen Realschule zu Berlin Aufnahme fand. Nebenbei sei bemerkt, dass das Königliche Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin bis 1958 bestand und erst dann von der Schulbehörde der DDR aufgelöst wurde. Im Jahre 1826 immatrikulierte Rudolph in der Medizinischen Fakultät der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität, heute Humboldt-Universität zu Berlin. Dort promovierte er «summa cum laude» bereits im Alter von 21 Jahren zum «Dr. med.». Das Thema waren «Berliner Heuschrecken», was nicht verwundern darf, denn das Thema war ihm vom zuständigen Professor auferlegt worden, und es stand einem Studenten nicht zu, daran Kritik zu üben oder gar einen Änderungsvorschlag zu unterbreiten.

Rudolph belegte zahlreiche Vorlesungen außerhalb des eigentlichen Medizinstudiums, wie zum Beispiel Botanik, Entomologie, Vergleichende Anatomie und Zoologie. Das war seinerzeit nicht unüblich. Vielleicht ausschlaggebend für sein zukünftiges Lebenswerk wurden die Vorlesungen über Physische Geographie, gehalten von Alexander von Humboldt, der ja den Norden des südamerikanischen Kontinents intensiv bereist hatte. Zu beachten ist, dass in jenen Jahren die Naturphilosophie des Professors Georg Wilhelm Friedrich Hegel einen starken Einfluss auf die Studenten der Berliner Universität ausübte, bekleidete Hegel doch zeitweise den Stuhl des Rektors der Universität.

Erste Italienreise

Nach Beendigung seiner Studien in Berlin und als Folge einer verschleppten Lungenentzündung, zog es Rudolph auf ärztlichen Rat in ein wärmeres Klima. Anderthalb Jahre hindurch bereiste er Italien, anfangs in Begleitung der Geologen Friedrich Hoffmann und Arnold Escher von der Lind, mit denen er Gelegenheit hatte, ausführlich die vulkanischen Ablagerungen der Vulkane Vesuv und Ätna zu untersuchen. In Sizilien gelang Rudolph die erste größere Sammlung an Fossilien von Mollusken. So finden wir Philippi unter den ersten deutschen Zoologen, die umfangreiche zoologische Studien der Fauna von Messina und Neapel betrieb. Auch verbrachte er eine längere Zeit mit dem Benediktiner Pater Emiliano Guttadaro, der eine bemerkenswerte Sammlung an Muschelablagerungen und Schriftstücken über dieses Thema besaß.

Im Frühjahr 1832 kehrte der Forscher über Paris nach Deutschland zurück. Er nutzte seinen Zwischenhalt in der französischen Hauptstadt, um dort medizinische Prüfungen abzulegen, obgleich er seinen Beruf als Arzt gar nicht auszuüben gedachte.

Wieder in Deutschland hatte Philippi Schwierigkeiten, zunächst eine passende Arbeitsstelle zu finden. Erst im Jahre 1835 wurde ihm die Stelle als Lehrer für Naturgeschichte an der Höheren Gewerbeschule zu Cassel angeboten – damals noch mit «C» geschrieben. Cassel war bekannt für das Ottoneum, das ab 1603 errichtete erste feststehende Theater Deutschlands und in dem später das Königlich Preußische Naturalienmuseum untergebracht war.

Im folgenden Jahr heiratete Rudolph Amandus Philippi seine Cousine Caroline Krumwiede, was ihm neben seinem spärlichen Gehalt eine zusätzliche finanzielle Unabhängigkeit sicherte, da seine Frau über ein kleines Vermögen verfügte.

Im gleichen Jahr veröffentlichte Philippi seine erste wissenschaftliche Arbeit «Enumeratio molluscorum Siciliae cum viventium tum in tellure Tertiaria fossilium in itinere suo observavit», und zwar – wie damals in Gelehrtenkreisen üblich – in lateinischer Sprache. Die Schrift wurde in Berlin herausgegeben und von Alexander von Humboldt dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. vorgestellt, so dass dieser am 14. April 1836 dem Forscher die «Goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft» verlieh. Im gleichen Jahr gründete Philippi in Cassel den «Verein für Naturkunde», umbenannt im Jahre 1980 in «Philippi Gesellschaft zur Förderung der Naturwissenschaften». Das heutige Naturkundemuseum im Ottoneum gibt die Zeitschrift «Philippia» heraus.

Zweite Italienreise

Leider ergab eine neue ärztliche Untersuchung im Jahre 1837 wieder Symptome einer Lungenentzündung. Man sagte Philippi sogar nur noch wenige Jahre Lebenszeit voraus und riet ihm, in ein wärmeres und trockeneres Klima zu ziehen. Nichts lieber als das, zog Philippi mit seiner Familie wieder nach Italien, wohnte zeitweise in Neapel, dann in Sizilien und betrieb umfangreiche Studien über Meerestiere, Muscheln und Unterwasserpflanzen, die sich in zahlreichen Schriften und auch bunten Zeichnungen niederschlugen. In Neapel wurde auch sein dritter Sohn Friedrich Heinrich Eunom geboren. Die beiden zuvor geborenen waren schon im Kleinkindalter verstorben. Friedrich Heinrich war auch der Sohn, der später mit seiner Mutter dem Vater nach Chile folgte.

Besuch des Bruders aus Chile

Über Neuchâtel in der Schweiz zurück in Deutschland, verlieh ihm König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen eine zweite «Goldmedaille für Kunst und Wissenschaft». In Cassel warteten neue Aufgaben auf Rudolph Philippi.  Zahlreiche Wissenschaftler, Forscher und Naturkundler suchten seine Nähe, veröffentlichten seine Schriften oder bearbeiteten sie gemeinsam und sorgten für den finanziellen Rückhalt seiner Studien. Ohne Zweifel gehörten die vierziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts zu den erfolgreichsten Jahren des Schaffens im Leben von Rudolph Amandus Philippi in Cassel und Berlin.

Während dieser Zeit in Cassel, nämlich im Jahr 1840, war aus Chile der Bruder des Forschers, Bernhard Eunom Phillipi, als Kolonisierungsagent nach Deutschland gekommen, um im Auftrag der chilenischen Regierung Landwirte und Handwerker zur Besiedelung des chilenischen Südens anzuwerben. Dieser nahm Verbindung mit seinem Bruder in Cassel auf, brachte er doch auch eine umfangreiche Naturaliensammlung aus Peru und Chile mit, die er dem Naturgeschichtlichen Museum in Berlin überließ. Dafür erhielt er einen Forschungsauftrag, der mit eintausend Talern dotiert war. Die Schilderungen des Bruders über Chile beeindruckten Rudolph Amandus derart, dass er sich schon ab 1841 zeitweise mit dem Gedanken trug, dieses ferne Land am Pazifik zu besuchen.

Flucht aus Cassel

Die politische Lage in Europa sorgte für einen schnelleren Ablauf der Dinge. Hatte sich Rudolph Amandus Philippi in Cassel gut eingelebt und einen interessanten Kreis an Freunden und wissenschaftlichen Mitarbeitern gefunden, die ein großen Gefallen an der Zeitschrift «Abbildungen und Beschreibungen» zusammenhielt, so brachte das Revolutionsjahr 1848 schwerwiegende Folgen mit sich. Obwohl Cassel nicht direkt betroffen war, so geriet es doch bald in den Trubel der Auseinandersetzungen. Zwar war Philippi noch im Jahre 1848 zum Direktor der Gewerbeschule befördert worden, aber bald sah er sich als liberaler und frei denkender Mann auf der falschen Seite der von Österreich und Bayern in Kurhessen unterstützten streng konservativen Kräfte.

Ihm drohte Gefahr einer Verhaftung, doch im Dezember 1850 gelang es Philippi bei Nacht und Nebel aus Cassel zu fliehen und Unterkunft bei einem Freund in Niedersachsen zu finden. Seine Zeitschrift «Philippia», die in den letzten zwei Jahren nicht mehr regelmäßig erscheinen konnte, erhielt einen Abschiedsbrief, in dem wir folgende Worte lesen können:

«…indem ich durch die beispiellosen in der Geschichte dastehenden Ereignisse, welche sich in den letzten Wochen in Kurhessen zugetragen haben, veranlasst worden bin, meine Stellung in Cassel aufzugeben, in welcher ich seit beinahe vollen sechzehn Jahren gewesen bin, in der ich aber in Zukunft wenig Freude mehr erwarten durfte. Ich hoffe fest, dass es mir gelingen wird, ein Plätzchen zu finden, wo man reden und handeln darf, wie es das Gewissen gebietet…»

Es war nicht nur der Bruder Bernhard, der Rudolph in Chile einführte und ihm half, das erwünschte Plätzchen zu finden. Alexander von Humboldt schrieb ihm im März 1850, ermutigte ihn nach Chile auszureisen und bedauerte, dass er selbst auf seiner Südamerika-Expedition Chile nicht erreicht hatte. Humboldt selbst besaß ein großes Interesse an der Erforschung der kalten Meeresströmung des Pazifiks, später Humboldt-Strom benannt, sowie an dem Ursprung der wilden Kartoffel, über die ihm Unterlagen aus Peru und Chiloé zugegangen waren. Er gab zudem Rudolph Amandus ein Empfehlungsschreiben mit, das den Satz enthält: «Er verließ uns zu unserem großen Bedauern.»

Auf nach Chile

Rudolph Amandus Philippi verließ Hamburg am 20. Juli 1851 auf dem Segler «Bonito» und kam nach einer Reise von 135 Tagen und einer stürmischen Umschiffung des Kap Hoorn am 4. Dezember 1851 in Valparaíso an. An Bord verfasste er das «Handbuch der Conchyliogie und der Malacologie», das 1853 in Deutschland veröffentlicht wurde. Seine Familie folgte ihm drei Jahre später mitsamt seiner umfangreichen Bibliothek und seinen wissenschaftlichen Sammlungen.

Das Leben und Schaffen Rudolph Amandus Philippis in Chile wurde in unzähligen Veröffentlichungen, Namensgebungen und Ehrungen gewürdigt. Zu seinem Vorteil gereichte ihm, dass er außer Deutsch noch vier andere Sprachen beherrschte: Latein, Französisch, Englisch und Italienisch. Das Erlernen des Spanischen bereitete ihm keine Mühe.

Neuauflagen seiner Bücher erscheinen in regelmäßigen Abständen wie zum Beispiel kürzlich das Werk «Viaje al Desierto de Atacama» mit zahlreichen Zeichnungen und Landkarten, das zum ersten Mal in Halle (Saale) im Jahre 1860 veröffentlicht wurde und danach auf Spanisch in Chile. Die Werke können unter anderem im «Deutsch-Chilenischen Bund» eingesehen werden, denn diese kurze Schilderung soll nur ein Versuch sein, das «Warum» und das «Wie» seiner Übersiedlung nach Chile zu erklären.

Rudolph Amandus Philippi starb im hohen Alter von 96 Jahren am 23. Juli 1904 in Santiago.

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