«Es ist alles möglich»
Von Nicole Erler
Seit fast 20 Jahren trägt Pilar Bobadilla mit ihrer Arbeit in der Thomas Morus Schule zum guten Schulklima bei. In ihrem Büro laufen viele Fäden zusammen: Schüler, Eltern und Kollegen finden bei ihr immer ein offenes Ohr.
Pilar Bobadilla stammt aus einer typisch chilenischen Familie, in der weder Vater noch Mutter Deutsch sprechen. Sie kam im Jahr 1980 in die Deutsche Marienschule. Jeden Tag hatte die Schülerin eine Stunde Deutschunterricht. Donnerstags wurde zusätzlich eine Stunde deutsche Landeskunde gelehrt. «Die deutsche Sprache hat mich von Anfang an fasziniert», erzählt die Lehrerin in fließendem Deutsch.
Doch als Schülerin pflegte sie auch Kontakte zur deutschen Kultur außerhalb des Schulalltags. Der Sport machte es möglich. Pilar Bobadilla hatte sich der Leichtathletik verschrieben. Bei Wettkämpfen kam sie im Land herum: Valdivia, Temuco, Valparaíso. Das Highlight war das Karsten-Brodersen-Sportfest, an dem auch viele deutsche Schulen aus ganz Chile teilnahmen. Mit einer deutschen Familie aus Valparaíso entwickelte sich dabei eine lebenslange Freundschaft. Auch nachdem die Familie nach Deutschland zurückgegangen war, blieben sie in einem regen Briefkontakt. Dann trat die damals Sechzehnjährige ihren dreimonatigen Schüleraustausch nach Deutschland an, als einzige ihrer Klasse. In Überlingen am Bodensee landete sie bei der befreundeten Familie Heumann aus Valparaíso. Es war ihr erster Besuch in Deutschland, dem noch einige folgen sollten.
Im Anschluss an ihre Schulausbildung wollte Pilar Bobadilla zunächst Astronomie studieren, aber zu dieser Zeit gab es die Ausbildung noch nicht in Chile. Naturwissenschaften interessierten sie. Schließlich begann sie das bodenständige Studium der Agrarwissenschaft an der Universidad Católica de Chile. Im vierten Studienjahr sagte ihr Herz aber ganz deutlich: «Ich will Lehrerin werden.» Für ihre Ausbildung am Deutschen Lehrerbildungsinstitut Wilhelm von Humboldt (LBI) musste sie zunächst selbst aufkommen, bekam aber später aufgrund ihrer guten Noten ein Stipendium. «Das Leben hat mir alles gegeben», kommentiert sie lächelnd.
Am Ende des Studiums hat sie den ersten Teil ihres Praktikums in einer Grundschule in Augsburg absolviert, den zweiten Teil bereits in der Sankt Thomas Morus Schule in Santiago. Mittlerweile arbeitet sie fast 20 Jahre dort: Anfangs gab sie Unterricht in der Grundschule, später übernahm sie eine Klasse. Nebenbei machte sie ihren Magister in «Currículum y Evaluación». Ihre Kollegen meinten, dass sie nun Stufenleiterin werden solle, und schließlich leitete sie auch bald als Begleitlehrerin die Studienfahrt der zehnten Klasse. «Berlin, Dresden, Frankfurt, Bonn», die Chilenin kommt ins Schwärmen und erzählt: «Es war aufregend, diesmal auf der anderen Seite dabei zu sein, nicht mehr als Schülerin, sondern als Lehrerin. Zudem begleitete ich die Schüler, die ich in der Grundschule unterrichtet hatte. Die Eltern hatten ein immenses Vertrauen in mich.»
Ein wichtiger Teil ihres Lebens ist auch ihre Familie: ihre drei Kinder und ihr Mann, mit dem sie seit 22 Jahren verheiratet ist und der selber als Lehrer das Fach Philosophie unterrichtet. Anscheinend ist es Pilar Bobadilla aber immer gut gelungen, Beruf und Familie zu vereinbaren. Sie hat nie aufgehört zu unterrichten. «Im Moment gebe ich Deutsch im Fachunterricht Biologie in der fünften und sechsten Klasse.» Ihre tiefe Verbundenheit mit der Schule und ihrer Gemeinschaft ist ihr anzumerken. Sie erzählt, dass die Schüler vielmehr als nur die deutsche Sprache und Kultur vermittelt bekommen. «Wir unterstützen die Schüler, gute Menschen zu werden. Sie durchlaufen eine große Vorbereitung in vielen kleinen Schritten, als einzelne Personen aber auch in der Gemeinschaft. Neben dem schulischen Wissen, trainieren wir unter anderem auch immer wieder Konfliktlösung und Kommunikation mit ihnen, vermitteln Werte wie Vertrauen und Verantwortung.» Der Weg der Schüler der Thomas Morus Schule soll in ein selbstständiges Leben führen, möglicherweise sogar in ein Leben in Deutschland. Immer mehr Schüler der Schule gehen zum Studieren nach Deutschland.
Im Moment laufen der gesamte Unterricht und auch die anderen Schulaktivitäten auf digitaler Basis. Das Septemberfest, der Tag der Deutschen Einheit, der Thomas-Morus-Tag, der Umwelttag, die Woche des Zusammenlebens, das Laternenfest oder Nikolaus: Alles wird zur Zeit als Online-Veranstaltung geplant. Eine Herausforderung sondergleichen! «Auch während der Pandemie sollen unsere Traditionen weitergeführt werden: Die deutsche und die chilenische, denn beide Kulturen und Sprachen werden bei uns gleichberechtigt gepflegt.»
Das Leben hat Pilar Bobadilla gelehrt: «Es ist alles möglich. Mit Engagement und Fleiß kann man alles erreichen.» Diese Botschaft möchte sie im Alltag anderen weitergeben. In der Zukunft kann die stellvertretende Schulleiterin sich vorstellen, einen «Doctorado en Educación» zu absolvieren. «Außerdem freue ich mich schon darauf, bald wieder nach Deutschland zu reisen.» Auf die Frage, wo es sie dort am stärksten hinzieht, antwortet sie sofort: «Berlin. Da pulsieren deutsche Kultur und Geschichte.»