«Das verwundete Land»
Von Michael Köbrich
Die südlich gelegene Region der Araucanía ist ein ausgedehntes Gebiet zwischen Anden und Pazifik. Die Provinzhauptstadt ist Temuco, deren Einwohnerzahl von rund 300.000 seit Jahren am Steigen ist und – abgesehen von den Pandemiefolgen – eine sehr dynamische Stadt ist. Ringsherum gibt es ausgedehnte Ländereien mit fruchtbarem Boden für Getreide, Rinderzucht und Forstwirtschaft. Entsprechend ist der Handel rege. Auf den ersten Blick eine vitale und blühende Region – doch das Bild trügt.
Der Bauernhof der Familie Bühlmann vor der Zerstörung.
Das Land ist verwundet. Hier lebten Mapuches, als die Spanier kamen und versuchten, das Land zu erobern: Rund 300 Jahre lang wurde erbittert gekämpft. Die Narben sind bis heute zu sehen. Danach kam Frieden – doch ein zerbrechlicher. Auch andere Migrantenfamilien versuchten hier ihr Glück. Minderheiten, die sich mit viel Einsatz und Arbeit hier eine Zukunft aufgebaut haben. Vor allem in der Landwirtschaft ist der Erfolg kein Zufall und zu dieser Entwicklung haben unter anderem auch Deutsche, Schweizer und Italiener beigetragen. Etwa um 1900 haben Sie ihre Gemeinschaften gegründet und miteinander dafür gesorgt, dass die Region sich weiterentwickelte und Fortschritt und ein gewisser Wohlstand entstanden. Doch das Zusammenleben war nicht immer leicht, besonders in den letzten 20 Jahren. Es gab viel Leid, Frust und Verluste. So kam es zu dem sogenannten «Mapuche Konflikt», wo es hauptsächlich um Ansprüche auf Land geht, aber auch grundsätzlich um Anerkennung geht. Es gibt Forderungen und dafür braucht man Auswege und gemeinsame Lösungen. Das ist der Weg, doch einige verstehen es anders. Radikale Gruppen wollen keinen Frieden ohne Landrückerstattung. Der Konflikt wird damit angefacht und scheint Mittel zum Zweck zu werden. Es kommt zu einer immensen Gewalt und Zerstörung, die Angst und Schrecken verbreitet. Ob Arm oder Reich, Schwach oder Stark: Wer zum Opfer wird, scheint willkürlich. Das Thema eskaliert in einem Ausmaße, dass die Menschenrechte und Freiheiten vieler Landsleute in Frage gestellt werden.
Ende April gab es wieder einen Überfall mit Bränden und Zerstörung. Dieses Mal war es das Grundstück der Familie Bühlmann, der «Fundo El Molino» in Pailahueque/Ercilla. Wohnsitz und Scheunen wurden zu Schutt und Asche niedergebrannt. Vorher hatte die Familie mehrfach Drohungen erhalten und es gab auch vorher bereits Beschädigungen. So wurde derTraum eines Bauernhofes zerstört. Carlos Bühlmann, von Beruf Sportlehrer, aber Landwirt aus Überzeu-gung, musste zuschauen, wie seine Lebensaufgabe vernichtet wurde: Für ihn ein brutaler Nackenschlag.
Der zerstörte Bauernhof der Familie Bühlmann.
Hier fanden alljährlich die beliebten «Ferien auf dem Bauernhof» statt (der Cóndor berichtete darüber vor einigen Jahren). Für viele ein unvergessliches Urlaubserlebnis. Aufgrund der Geschehnisse hatte Carlos Bühlmann mehrmals Anzeige erstattet, aber die zuständige Staatsanwaltschafft scheint überfordert zu sein. Der Unmut und die Verzweiflung der Opfer ist groß, da Gerechtigkeit nur schrittweise inGang kommt. Viele Taten bleiben ungestraft, obwohl es Verdächtige gibt. Polizei und Feuerwehr werden bei ihren Einsätzen stark behindert und sogar überfallen. Das bedeutet, dass es für die Opfer wenig Schutz gibt. Auch bei Bühlmanns kam jegliche Hilfe zu spät. Institutionen der Region bemühen sich um ein friedliches Klima. Unter ihnen die «Multigremial de la Araucanía», der regionale Dachverband für Investition und Entwicklung. Ihre regelmäßigen Berichte liefern zuverlässige Daten über die Zone. Laut letztem Report (erstes Halbjahr 2020) wurden 82 Anzeigen aus der Umgebung gemeldet.Trotz Pandemie und Ausnahme-zustand wurden weiterhin Holz, Lastwagen und Agrarmaschinen angezündet, Schulen, Kirchen und Privateigentum zerstört und dazu Tiere gestohlen, Saat vernichtet und Wege verbarrikadiert. Es kommt kein Friede zustande. Der demokratische Rechtsstaat sollte sich aber behaupten, damit endlich die Wunden heilen und der Gewalt ein Ende gemacht wird.