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lunes, 9. diciembre 2024
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Der Hinduismus – Einheit in der Vielfalt

Indien ist ein moderner Vielvölkerstaat, in dem unterschiedlichste Kulturen oftmals innerhalb eines streng regulierenden Kastensystems zusammenleben. Was rund 90 Prozent der Einwohner Indiens eint, ist ihr Glaube, der Hinduismus. Diese drittgrößte der Weltreligionen mit rund 900 Millionen Anhängern – gut 13 Prozent der Weltbevölkerung – besticht durch weitere Superlative.

Von Stefanie Hornung

Mehr als 300 Millionen Götter und gottgleiche Wesen soll das Pantheon des Hinduismus umfassen. Diese fast unendliche Vielfalt reduziert sich allerdings ein wenig durch die vielen Inkarnationen der Hauptgötter in persönliche und unpersönliche Wesen: in Lokalgottheiten, Menschen mit besonderen Eigenschaften oder Naturdenkmäler wie Bäume und Steine. Im Gegensatz zu anderen Religionen stand zu Beginn des Hinduismus kein Religionsstifter, sondern vielmehr ein komplexes Göttersystem, das aus verschiedenen kulturellen Einflüssen erwuchs.

Herkunft: die vedischen Lehren und Götter

Die Ursprünge der Religion liegen im Dunkeln, aber vermutet wird, dass die Religion auf die Einwanderung des Nomadenvolks der Arya (Arier) nach Nordindien vor rund 4.000 Jahren zurückgeht. Dieses führte verschiedene kulturelle Werte mit sich, die sich langsam in der frühindischen Gesellschaft verbreiteten. Moralkodices wie Vertragstreue, Gastfreundschaft und Wehrhaftigkeit sowie das Bekenntnis zur von Göttern etablierten Ordnung wurden später in den ersten schriftlichen Überlieferungen, den sogenannten Veden, zusammengefasst.

Götter der Zerstörung und Wiedergeburt

Die Vielfalt der hinduistischen Götter ist ohne Vergleich. Darunter sind allerdings viele lokale Gottheiten oder Naturdenkmäler, die den Status einer göttlichen Verehrung genießen. Zudem ist nach dem hinduistischen Prinzip die Inkarnation einer Gottheit in männlicher wie weiblicher Form möglich. So erklärt sich, dass die wichtigsten Götter Brahma und seine Gattin Saraswati, Krishna, Vishnu und sein weibliches Pendant Laskhmi, Shiva und Kali sowie deren Söhne Ganesha und Subramanya diejenigen Götter sind, die von den meisten Hindus angebetet werden.

Der elefantenköpfige Ganesha ist besonders beliebt bei Kindern und Jugendlichen, die ihn vor einer Schulprüfung um Hilfe bitte.

Diesen Gottheiten werden bestimmte Eigenschaften und Mächte zugeschrieben. Vishnu gilt als der Hauptgott, der die Welt retten und erhalten kann, wenn böse Mächte sie bedrohen. Durch sein Wirken soll auch möglich sein, das Karma eines Menschen zu verbessern und so für eine erfolgreiche Wiedergeburt zu sorgen. Shiva hingegen gilt als Herrscher über Tod und Zeit und die vielarmige Kali ist die Göttin der Zerstörung. Viele Hindus verehren auch den Elefantenköpfigen Ganesha, der Hindernisse überwinden hilft. Daher wenden sich viele Gläubige an Ganesha, wenn es gilt, ein Vorstellungsgespräch oder eine Prüfung erfolgreich zu absolvieren.

Keine einheitliche Religion

So inhomogen sich die Gottesvorstellungen darstellen, so eint die Anhänger des Hinduismus doch der Grundkonsens über die Glaubenslehren und die damit verbundenen Moralvorstellungen. Daher wird der Hinduismus oft mit dem Grundsatz «Einheit in der Vielfalt» beschrieben. Die zugrunde liegenden Philosophien hingegen sind sehr verschieden. Auch die Ansichten über Leben und Tod, das karmische Schicksal und die Wiedergeburt gehen weit auseinander. Trotz aller Unterschiede gibt es einige religiöse Feste, die alle Hindus gemeinsam feiern.

Das Frühlingsfest Holi ist wohl das bekannteste. Dieses ausgelassene Fest wird immer Ende Februar oder Anfang März auf den Straßen Indiens begangen. Zu Ehren der Götter bewerfen sich die Feiernden gegenseitig mit buntgefärbtem Puder und buntem Wasser. Die Farben werden meistens vorher geweiht, bevor man sich den Vergnügungen hingibt. Das Fest soll zugleich den Übergang der Jahreszeiten wie auch den Triumph des Guten über das Böse symbolisieren und Streitigkeiten begraben. Der sakrale Charakter wird durch gemeinsames und kastenübergreifendes Beten aller Gläubigen gestärkt. In Europa und anderen Teilen der Erde ist das fröhliche Treiben des Holi-Festes auch für Nicht-Hindus attraktiv geworden. Party- und Eventveranstalter bieten mehrtägige kommerzielle Musikfestivals als «Fest der Farben» an, auf denen ähnlich wie in Indien das Werfen bunten Puders und Wassers zum Spaßkonzept gehört.

Kastensystem

Das Holi-Fest ist eines der wenigen Feste, in dem die Zugehörigkeit zum indischen Kastensystem nur eine untergeordnete Rolle spielt. Der Hinduismus geht davon aus, dass jeder Mensch von Geburt an einen ihm zugedachten Platz innerhalb einer bestimmten Gesellschaftsschicht hat. Diese sozialen Gruppen – die Kasten oder Varnas – sind streng voneinander getrennt und werden unterschiedlich gewertet.

Die Brahmanen, die Gelehrten und Priester, sind als oberste Kaste besonders angesehen und nur deren männliche Angehörigen haben den Anspruch auf einen weißen Turban. Darunter rangiert die Kaste der höheren Beamten und Krieger, der Kshatriyas. Darauf folgen die Vaishyas, traditionell Bauern und Kaufleute. An unterster Stelle der vier Varnas sind die Shudras positioniert, meist Diener, Knechte oder Tagelöhner. Außerhalb der vier Kasten stehen die «Parias», die Rechtlosen und Geächteten. Auch Menschen anderer Religionen werden diesen Kasten zugeordnet.

Nach der indischen Verfassung von 1950 darf zwar kein Inder aufgrund seiner Kastenzugehörigkeit diskriminiert werden, aber in der Realität halten sich die meisten Hindus an die ungeschriebenen Gesetze ihrer Religion. Das Heiraten ist nur innerhalb der Kasten erwünscht und wird auch heute noch streng beachtet.

Hinduismus heute

Wer vom Hinduismus der heutigen Zeit spricht, kann sich dabei nicht nur auf Indien beziehen. Denn die Anhänger dieser Religion sind durch die Auswanderung innerhalb des ehemals britischen Kolonialverbands weltweit vertreten. Der Bevölkerungsanteil der Hindus ist in vielen asiatischen Ländern hoch – in Nepal liegt er sogar bei rund 90 Prozent –, aber auch in Einwanderungsländern wie den USA, Kanada, Australien und Großbritannien leben große Hindu-Gemeinschaften.

Dennoch ist besonders die Zuordnung von Indiens Bewohnern zum Hinduismus-Begriff nicht unumstritten. Seit dem Ende der britischen Kolonialherrschaft in Indien hat sich die vorher unpolitische Form des Hinduismus zunehmend gewandelt. Damals, im Kampf um die Unabhängigkeit und die künftige Verteilung der Macht, ging es vor allem darum, eine möglichst große Mehrheit von «Hindus» gegenüber den Muslimen zu erreichen, die mehrere Jahrhunderte lang über große Teile Indiens geherrscht hatten. In der indischen Verfassung werden daher auch die Religionsgemeinschaften der Sikhs, Jainas und Buddhisten dem Hinduismus zugeordnet. Bislang haben sich nur die Sikhs dagegen gewehrt, was sich auch in bewaffneten Konflikten im überwiegend von Sikhs bewohnten Bundesstaat Punjab niederschlug. Die indische Ministerpräsidentin Indira Gandhi wurde 1984 von ihren Sikh-Leibgardisten ermordet.

Dennoch wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Menschen im Vielvölkerstaat überwiegend friedlich zusammenleben. Eine grundlegende Inspiration mag dazu auch ein Kernsatz der Rigveda, dem ältesten Zeugnis indischer Literatur, beigetragen haben. «Die Wahrheit ist eine, aber die Weisen nennen sie unter verschiedenen Namen.»

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