Zum fünften Mal war Regisseur Christian Petzold mit einem Film bei der Berlinale vertreten. Er gilt als einer der wichtigsten Filmemacher Deutschlands, auch weil seine Filme sozusagen ein Produkt der deutschen Geschichte sind, wie der auch in Chile gezeigte Streifen «Transit». In «Undine» ist die Hauptperson selber eine Historikerin – aber dieses Mal geht es vor allem um die Beziehungsdynamik.
Von Matthias Kählert
Wie viel Mythos steckt in unserem Handeln und der Art und Weise, wie wir Beziehungen
zueinander knüpfen und führen? Und wie viel Gewalt haben sie über uns persönlich, auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind?
In seinem neuen Spielfilm spürt Christian Petzold diesen Fragen anhand einer mythologischen Figur nach: Undine. Dafür übernimmt er Elemente des Nixen-Mythos und überträgt sie auf moderne Paarbeziehungen. Auch wenn dieses Experiment nicht so glücklich verläuft wie seine Romanverfilmung von Anna Seghers «Transit» oder sein meisterhafter Neo-Noir Phoenix, liefert der Film «Undine» mehr als genug Stoff zum Nachdenken und den Genuss, großartigen Schauspielern bei der Arbeit zuzuschauen.
Petzolds Undine ist eine promovierte Historikerin Ende 20, gespielt von Paula Beer, deren Leben aus den Fugen gerät, als ihr Freund Johannes (Jakob Matschenz) sie für eine andere verlässt. Auch als sie sich frisch in den Industrietaucher Christoph (Franz Rogowski) verliebt, treibt eine unheimliche Macht sie dazu, Rache an ihrem ehemaligen Geliebten zu nehmen. Die Bedrohung wird letztlich so real, dass nicht nur Johannes‘ Leben auf dem Spiel steht, sondern auch das von Christoph und Undine selbst.
Schon in den ersten virtuosen 15 Minuten des Films beweist Petzold, warum er international als einer der besten Gegenwartsregisseure gehandelt wird: In einer Szene wird das schmerzhafte Trennungsgespräch von Johannes und Undine gezeigt sowie die erste Begegnung der beiden, die Liebe auf den ersten Blick. Wie das Ende einer Liebe mit dem Beginn einer neuen auf eine ebenso elektrisierende wie unaufgeregte Art und Weise parallelisiert wird, ist schon großes Kino. Verfeinert wird dies durch eine Prise magischen Realismus und nebenbei erhalten die Zuschauer eine historische Stadtführung durch das geteilte Berlin von Paula Beer inklusive.
Paula Beer hingegen zeigt erneut anhand einer schwierigen Figur, warum sie sich in den letzten Jahren zum Shooting-Star des deutschen Kinos entwickelt hat, wofür sie bei der diesjährigen Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde. Als Nachfolgerin von Petzolds Muse Nina Hoss macht sie sich nach ihrer letzten Zusammenarbeit «Transit» mehr als großartig. Während die kalte Determination mit der sie Johannes zu verstehen gibt, dass sie ihn umbringen muss, sollte er sie verlassen, einem das Blut in den Adern gefrieren lässt, entwickelt Beer aus dem Üben eines Vortrags mit Christoph unerwartetes erotisches Potential. Von ihr hätte man gerne mehr gesehen.
Es ist überraschend, dass gerade Petzold, der für seine starken Frauenfiguren bekannt ist, in dieser, an Ingeborg Bachmanns Erzählung «Undine» angelehnten Geschichte vom Versuch einer Emanzipation von patriarchalen Machtstrukturen, dem männlichen Part so viel Raum gibt.
Gibt es für Undine ein anderes Schicksal, als die Rückkehr in das kalte Nass? Der Film stellt sich dieser Frage, bleibt den Zuschauern aber eine Antwort schuldig.