«Seekrank wurde ich nie wieder»
Uwe Schuster wurde 1940 in Hamburg-Altona geboren. Er hat dem Cóndor seine Seemannsgeschichte aufgeschrieben: Wie er als frisch gekürter Mister Hamburg 1960 auf dem Schiff «M/S Commerz» bis nach Chile kam und welche Abenteuer er bei seiner siebenmonatigen Fahrt erlebte. Seit 1966 lebt und arbeitet der heute 79-Jährige in Helsingborg.
Von Uwe Schuster
Noch in den 1960er Jahren stand vielen jugen Männern das Grauen der Weltkriege vor Augen. Mein Großvater war Korporal und Musikant in der deutschen Armee im Ersten Weltkrieg und verlor sein Leben in Polen. Seine Frau erhielt von der Wehrmacht ein Telegramm, dass ihr Mann an einem Bauchschuss im Feldlazarett gestorben sei. Verlierer war aber nicht nur er, sondern auch seine Frau und seine Tochter, die nun in große Versorgungsschwierigkeiten gerieten und die Eltern, die sehr um ihren Sohn trauerten.
Helmut Minne, der Sohn unserer Nachbarn aus der Moortwiete 28 war beim Feldzug nach Russland dabei, wo viele Soldaten allein durch Erfrieren ihr Leben verloren. Seine Eltern haben ihr Leben lang getrauert und nie in Erfahrung bringen können, wie er gestorben ist.
Deshalb sind wir drei Freunde, als wir die Aufforderung zur Musterung erhielten, zu Waffen-Verweigerern geworden und lieber ausgewandert. Ernie Kleint, deutscher Ralley Meister – leider mit seinem Flugzeug 1989 verunglückt – und Rolf Rössner, heute Aktienbroker in Washington, sind gleich nach Kanada verschwunden. Ich selber hatte gerade meine Lehre als Maschinenschlosser beendet und arbeitete seit einem dreiviertel Jahr auf der Schiffswerft «Blohm und Voss», als die Musterung zum Militär ins Haus flatterte. Ich musste mich schnell entscheiden. Um vom Militärdienst befreit zu werden, gab es aber nur eine Möglichkeit: Ich musste mich für vier Jahre für die Handelsmarine verpflichten.
Reiniger auf der «M/S Commerz»
Also bin ich zum Seemannsamt gegangen und die hatten gerade das Schiff «M/S Commerz», ein Stückgutfrachter, im Hafen liegen, der einen Reiniger brauchte. Da ich nicht auf der Werft gelernt hatte, konnte ich nicht als Maschinist, sondern nur als Reiniger arbeiten. Man lief den ganzen Tag mit einer Ölkanne und einem Schmierlappen durch die Gegend. Wenn aber Maschinenschloßerarbeiten zu machen waren musste man trotzdem ran. Der Vorteil eines Reinigers war die Arbeitszeit: Von 8 bis 17 Uhr und Samstag und Sonntag hatte man frei. Es war ein schönes Schiff, nicht allzu groß, mit unbestimmter Destination Südamerika. Den Platz habe ich sofort angenommen.
Ich war nicht begeistert, denn ich war sportlich sehr begabt als Kunstturner und Gewichtheber und hatte ein Extraeinkommen als Mister Hamburg. So war nun meine schöne Jugendzeit auf der Reeperbahn vorbei.
Meine Mutter war sehr traurig. Sie befürchtete wohl, dass sie mich nicht wiedersehen würde. Als das Schiff aus dem Hafen lief, folgte uns meine ganze Familie mit einem Taxi von den Landungsbrücken aus. Als wir in Neumühlen vorbeifuhren, stand die ganze Familie auf der Anlegestelle und blinkte mit Taschenlampen und schrie: «Auf Wiedersehen» und da tutete der Kapitän ein letztes Abschiedssignal und dann verschwanden wir in der Ferne.
Schiff verkauft
Als wir die Nordsee erreichten und gerade in der Kombüse unser Abendmahl aßen, fing es kräftig an zu schaukeln. Unser Smutje aus Berlin wurde nach kurzer Zeit ganz grün im Gesicht und stürzte an Deck. Mir wurde auch etwas mulmig zu Mute und ich bin auch an Deck gegangen, aber bis Achtern, damit es mir nicht alles ins Gesicht flog. Die Wellen waren sehr hoch und das Achterdeck fuhr auf und ab wie eine Jahrmarktschaukel. Eine ganze Weile habe ich vergnügt mitgeschaukelt und dann bin ich wieder zum Essen gegangen. Seekrank wurde ich nie wieder.
Nach kurzem Aufenthalt in Antwerpen machten wir das Schiff klar für die 14- tägige Überfahrt. Wir passierten die Azoren und ich kippte einen Eimer mit Schmierölklumpen ins Meer, während einige Matrosen einem großen Wal nachschauten, der ab und zu seine große Schwanzflosse zeigte. Da kam in diesem Moment der Telegraphist freudestrahlend mit einem Telegramm aus seiner Kabine und in dem stand: «Schiff in besten Zustand bringen. Die Commerz und ihr Schwesterschiff sind verkauft und gehen nach Chile.» Das war natürlich eine freudige Überraschung!
Die Matrosen fingen an das Schiff zu streichen und zu putzen. Sie hingen sogar mitten im Atlanten, bei voller Fahrt voraus, außerhalb des Schiffes und strichen die Bordwand. Mein Schmierer-Kollege Jürgen und ich hatten den Chief überredet die Motoren und Maschinenteile silber und den Rest weiß zu streichen. Der ungewöhnlich große Maschinenraum wurde zu einem in Weiß und Silber glänzenden Saal, und es war eine reine Freude, in den Maschinenraum hinabzusteigen. Die neuen Besitzer staunten später Bauklötze. So etwas hatten sie noch nie gesehen.
Um einige Socken ärmer
Der erste Hafen in Westindien war Ciudad de Trujillo, Hauptstadt der Dominikanischen Republik. Die Stadt war benannt nach dem Diktator Trujillo, nach seinem Tode umbenannt auf Santo Domingo.Bleibende Erinnerungen an diese Insel sind die herrlichen Palmen, die wunderschönen Strände, das türkisblaue Meer, die hübschen Mädchen und die erbärmliche Armut. Am Wochenende als die Matrosen, Jürgen und ich frei hatten, wurden wir gefragt, ob wir nicht mit an Land wollten, um uns die Stadt anzusehen und eine Kneipe zu finden. Selbstverständlich wollten wir mit! Wir fanden auch gleich eine Kneipe und nur zehn Minuten später hatten wir alle ein Mädchen auf dem Schoß. Naja, wer kann da schon widerstehen? Eine Liebesstunde kostete ein US-Dollar und eine weitere Stunde am Tag darauf, mit dem gleichen Mädchen, nur noch ein paar Socken. Da kamen wir Jungs alle ohne Strümpfe an Bord.Zwei Tage später, ein paar Kilometer weiter, waren wir im nächsten Hafen zum Laden von Zucker und dort wohnten alle die Mädchen, die wir in der Kneipe getroffen hatten und dann hatten wir noch ein paar Socken weniger.
Von dort aus ging es direkt durch den Panamakanal. Ich fand die Hitze unerträglich und schwitzte so fürchterlich, dass sich meine Poren entzündeten. Das fühlte sich etwa so an wie Tausend Nadeln – für den, der es als Kind einmal am Arm gespürt haben sollte.
Dann ging es die ganze lange Küste runter, mit kurzen Aufenthalten in Callao und einigen kleineren Hafenstädte bis zu unserem neuen Heimathafen Valdivia.
Die Äquatortaufe
Am 5. Oktober 1960 passierten wir den Äquator. Es war ein strahlend sonniger Tag. Neptun, Herrscher über alle Meere, Seen und Flüsse, Teiche und Tümpel saß an Deck und verkündete, dass Uwe Schuster vom Staub der nördlichen Halbkugel befreit und nunmehr auf den Namen Schellfisch getauft sei. Darauf wurde ich von zwei Wächtern in die Knie gezwungen, um die mit Stauferfett beschmierten Füße seiner Gemahlin zu küssen.
Nun führte man mich zum Doktor, der mir Pillen aus Mehl, Paprika und scharfen Gewürzen zusammen mit einem Paprikasaft verabreichte, was mir den Atem nahm. Der Barbier – nicht weniger brutal – haute mir seinen überdimensionalen Pinsel um die Ohren, um mich dann rasiert in ein extra dafür gebautes Taufbecken zu schubsen, wo schon zwei stämmige Wächter standen und mich so lange unter Wasser drückten, bis ich versprach einen Kasten Bier auszugeben. Es wurde ein sehr feuchtfröhlicher Abend, denn 22 Mann wurden getauft.
Als der Kapitän am nächsten Morgen ins Steuerhaus kam, um nach dem Rechten zu sehen, bemerkte er, dass ein Steuermann in betrunkenem Zustand das Schiff um 180 Grad gewendet hatte und wir wieder auf dem Weg nach Panama waren.