Von Peter Downes
Am 19. Juli 1870 erklärte der französische Kaiser Napoleon III. Preußen den Krieg. Auslöser war der Streit zwischen Frankreich und Preußen um die Thronfolge in Spanien. Damit endete 1870/71 der französische Traum eines neuen napoleonischen Zeitalters. Dagegen konnten die Deutschen schließlich einen Nationalstaat gründen.
Die Spannungen zwischen Frankreich und Deutschland wuchsen über Jahrzehnte, die sich schließlich in zwei Weltkriegen entluden. Erst der Élysée-Vertrag (1963) brach diesen Teufelskreis und leitete ein neues freundschaftliches Miteinander ein.
Die Einigungskriege
Nach dem Wiener Kongress 1815 war eine Neuordnung Europas nur noch eine Frage der Zeit. Die alte Machtordnung war nicht wirklich wiederherzustellen und die bürgerliche Gesellschaft forderte mehr Freiheiten und vor allem auch direkte Mitwirkung an der Politik. In Deutschland wuchs der Wunsch zur Bildung einer deutschen Nation heran. Während der Revolution 1848/49 wurde Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone angeboten, was er aber ablehnte, da er seine Macht nicht vom «revolutionären Volk» abgeleitet sehen wollte, und lediglich eine Bestätigung seitens der Fürsten und Reichstädte zu akzeptieren bereit gewesen wäre. Dennoch blieb fortan der Wunsch eines einheitlichen und freiheitlichen Nationalstaats bestehen.
In Frankreich hatte die Februarrevolution von 1848 zunächst die Absetzung von Ludwig Philipp I. bewirkt und es wurde die Zweite Republik ausgerufen. Im Juni kehrte Louis Napoleon, der Neffe Napoleons I., aus England zurück und wurde zum Abgeordneten gewählt und im November mit 75 Prozent der Stimmen dann Präsident der Republik. Durch einen Staatstreich im Dezember 1851 sicherte sich der Prinz-Präsident dann die Verlängerung der Präsidentschaft und erlangte durch ein Plebiszit im folgenden Jahr mit 97 Prozent Zustimmung die Errichtung der «Zweiten Kaiserzeit». Als Kaiser Napoleon III. gelang es ihm Frankreich wieder ins Mächtezentrum Europas zurückzuführen. So kämpften die Franzosen im Krimkrieg (1854-1856) an der Seite britischer Soldaten gegen Russland und unterstützen die Italiener in ihren Unabhängigkeitskriegen gegen Österreich. Napoleon III. träumte von den alten Glanzzeiten Frankeichs und wollte die «neue napoleonische Ära» für seinen Sohn Napoleon Eugenio sichern.
In den 1850er Jahren spitzte sich der Konflikt zwischen Österreich und Preußen in der Frage nach einer großdeutschen oder kleindeutschen Lösung zu. Beide Mächte versuchten ihren Einfluss auf den Deutschen Bund auszudehnen und die Führungsposition bei der Bildung einer deutschen Nation zu übernehmen.
Preußen verstand es schließlich durch zwei kurze Kriege – 1864 gegen Dänemark und 1866 gegen Österreich – die Entscheidung herbeizurufen, womit die kleindeutsche Lösung feststand. Nach dem Sieg Preußens über Österreich verschlechterte sich nun zunehmend die Beziehung zu Frankreich. Napoleon III. hatte den deutsch-deutschen Krieg kräftig geschürt, sah sich nun aber vom erstarkten Preußen bedroht und suchte ein Bündnis mit den Österreichern.
Unmittelbarer Anlass zum deutsch-französischen Krieg bildete dann der Sturz der spanischen Königin Isabella II. und das Angebot der spanischen Krone an den Erbprinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen in den Jahren 1869/70. Der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck drängte zur Annahme des Throns, da er damit hoffte, die Bündnisverhandlungen zwischen Österreich und Frankreich zu unterbinden. Napoleon III. fürchtete jedoch eine Einkreisung durch die Deutschen, wenn sie auch noch in Spanien auf dem Thron säßen und protestierte energisch. Er forderte schließlich eine Garantie für einen Verzicht auf eine solche Thronfolge.
Durch ein Telegramm über eine Unterredung zwischen dem französischen Botschafter und dem preußischen König Wilhelm, der sogenannten «Emser Depesche» vermochte Bismarck – durch Kürzungen und Zuspitzungen der Formulierungen – die Franzosen zum Krieg zu drängen. In den Zeitungen erschienen die Franzosen respektlos gegenüber dem preußischen König. Die wiederum sahen es als deutsche Provokation an. So wurde am 19. Juli 1870 der Krieg erklärt.
Kaiserdämmerung und Kaiserglanz
Die Niederlage der Franzosen bei Sedan am 1. September läutete das Ende der «zweiten napoleonischen Ära» ein. Der Kaiser wurde gefangengenommen, sein Sohn Napoleon Eugenio konnte noch nach England entkommen, aber Napoleon III. befand sich in Arrest im Schloss Wilhelmshöhe in Kassel. Die Kaiserin Eugénie floh nach England ins Exil. Nun begann in Frankreich die Dritte Republik, die den Krieg zunächst noch weiterführte bis zum vorläufigen Frieden von Versailles im Februar 1871.
Ausgerechnet in Versailles, im Schloss des «Sonnenkönigs», Ludwigs XIV., fand am 18. Januar 1871, einem sonnigen Mittwoch – also bei richtigem «Kaiserwetter» – die Taufe des Deutschen Reichs statt. Verfassungsrechtlich bestand es aber bereits seit dem 1. Januar.
War der französische Kaiser «als tod» erklärt, so riefen ausgerechnet die Deutschen im Herzen Frankreichs ihren «neuen» Kaiser ins Leben. Seit Oktober 1870 war das Versailler Schloss Hauptquartier König Wilhelms I. Tatsächlich nahm man die Kaiserproklamation in Versailles vor, da gerade die Beschießung von Paris begonnen hatte und man daher nicht ohne weiteres nach Berlin fahren konnte. Es war daher eher ein Zufall, dass es dort stattfand, aber für die Zeitgenossen bekam die deutsche Kaiserkrönung im symbolträchtigsten Schloss Frankreichs eine besondere Bedeutung. Im Gottesdienst ließ der Hofprediger Bernhard Rogge zunächst den Verlauf des Krieges Revue passieren, ging auf die Rolle der preußischen Könige als Werkzeug Gottes ein, um schließlich auf die Reichsgründung zu kommen: «Was unsere Väter in der Erhebung der Befreiungskämpfe vergeblich sich ersehnt haben, wofür die deutsche Jugend in edler Begeisterung geschwärmt, was die Sänger jener Tage in immer neuen Weisen umsonst gesungen, was die Lieder und Sagen unseres Volkes nur als einen fernen Traum uns verkündet haben: wir sehen es heute zur Wirklichkeit geworden, sehen das Deutsche Reich wieder auferstanden in alter Herrlichkeit, ja in einer Macht und Größe, die es viel- leicht nie zuvor besessen hat, sehen dem Deutschen Reiche seinen Kaiser wiedergegeben und dürfen als solchen einen König begrüßen, dessen greises Haar mit frischen Lorbeerkränzen geschmückt ist, in denen wir die ruhmvollsten Zeiten der deutschen Vergangenheit erneut, ja übertroffen sehen.» Am Ende der Zeremonie erfolgte die eigentliche Proklamation, die Friedrich Großherzog von Baden mit erhobenen Arm ausrief: «Seine Kaiserliche und Königliche Majestät, Kaiser Wilhelm, lebe hoch! Hoch! Hoch!» Nun hatte das Reich endlich seinen Kaiser.
Die Schatten von Versailles
War 1871 das Versailler Schloss der Schauplatz der Geburt des neuen deutschen Kaiserreiches, so sollte es 1919 zum Schauplatz der Demütigung Deutschlands werden, als die deutschen Abgesandten im selben Spiegelsaal den Friedensvertrag zur Beendigung des Ersten Weltkrieges unterschreiben mussten und damit die alleinige Schuld daran übernahmen. Dem Glanz von 1871 folgte damit der Schatten von 1919, was auch das Ende des deutschen Kaiserreiches bedeutete. Die Folgen dieses Vertrages – die hohen Reparationskosten und Besetzung von Teilen des Rheinlandes – schürten den Nationalismus in Deutschlands, der schließlich Hitler zur Macht verhalf. Wieder wurde Frankreich einer der Kriegsschauplätze wurde.
Erst der Élysée Vertrag vom 22. Januar 1963, den der Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Staatspräsident Charles de Gaulle unterschrieben, machte aus ehemaligen Feinden Freunde. Es war der Beginn einer fruchtbaren Zusammenarbeit, sodass Frankreich und Deutschland zu den tragenden Säulen der Europäischen Union wurden, wie wir auch in diesen Zeiten erleben können.