Erfolgreich mit «Viena Delikatessen»
Nicole Roschal hat ihre Herkunft zum Geschäftsmodell gemacht und stellt in ihrer Haus-Konditorei süße Spezialitäten aus Österreich her.
Von Stefanie Hornung
«Eigentlich wollte ich nach meinen Abschluss der Handelsschule erst einmal nur für ein Jahr nach Chile gehen und den Teil der Familie kennenzulernen, den ich bislang nur von Ferne kannte», erinnert sich Nicole. Die Pläne der zeitweiligen Auswanderung stießen innerhalb der Familie auf Vorbehalte, denn die junge Wienerin war gerade einmal 18 Jahre alt. Die resolute Großmutter fällte dann die Entscheidung. «Meine Oma hat ein Machtwort gesprochen. Entweder sie geht mit mir und zwar mit ihren Katzen oder ich bleibe in Wien.» Gesagt, getan: Beide kamen 2010 in Santiago an, genau eine Woche vor dem großen Erdbeben, das Concepción erschütterte.
Nicoles Großmutter kehrte damit zu ihren Wurzeln zurück. Denn die gebürtige Santiaguina Clara Nora Mayorga Cascales hatte Mitte der 1970er Jahre Chile verlassen, um mit ihrem zweiten Ehemann Romeo, einem Herzspezialisten, der Militärdiktatur Pinochets zu entfliehen. Die österreichische Botschaft habe damals die Autos geschickt, um sie ausfliegen zu lassen, erinnert sich Nicole an die Familiengeschichte.
«In Chile angekommen, haben die Omi und ich dann zusammengewohnt. Wir sind uns sehr ähnlich und das hat gut geklappt. Ich musste ja auch erst einmal den chilenischen Schulabschluss nachholen, damit ich dann studieren kann, denn mein österreichischer Titel „Business Management“ wurde in Chile nicht anerkannt.» Für Nicole ein Sprung ins kalte Wasser, denn sie hatte in Wien kein Spanisch gelernt. Innerhalb der Familie war immer Deutsch gesprochen worden. Nach einem Jahr in der Deutschen Schule Santiago und dem Abschluss an einem Liceo in Providencia ging sie an die Universidad Andres Bello, um Betriebswirtschaft zu studieren.
«Dort gab es dann die Initialzündung für meine Geschäftsidee einer Konditorei», erinnert sich Nicole. Im praxisorientierten Projektunterricht gab es die Gruppenaufgabe, eine vertriebsorientierte Firma zu gründen, die wenigstens 500.000 Peso im Semester verdienen sollte. Nicole überzeugte ihre Mitstudenten, dass eine Konditorei mit Leckereien aus Österreich genau das richtige Geschäftsmodell sei und benannte diese «Dulce Eden». Die Abschlussarbeit schrieb Nicole ebenfalls über die Unternehmensgründung, ließ aber die Idee vorerst für ein Masterstudium hinten anstehen. Während ihres Studiums arbeitete sie erst einmal für eine Sprachschule als Lehrerin und brachte Schülern aus Wirtschaftsunternehmen Deutsch und Englisch bei.
Ihren Mann Pato – Patricio – lernte sie ebenfalls über die Arbeit als Sprachlehrerin kennen, als sie in seiner Firma Englisch-Unterricht gab. «Wir kamen über das Essen zusammen. Er wollte mir zeigen, wie man Pesto macht und mich zum Essen einladen. Sehr durchsichtig, dieses Manöver», erzählt Nicole lachend über die Anfänge ihrer Beziehung vor vier Jahren. Offensichtlich hatte die Taktik Erfolg – schon nach einem Jahr hielt er um ihre Hand an. Und ebenso schnell ging es weiter: Eine Woche nach dem Heiratsantrag war klar, dass sie demnächst zu dritt sein würden. Oder vielmehr zu viert, denn Halb-Italiener Patricio hatte schon eine Tochter aus einer früheren Ehe in die Beziehung mitgebracht, die aber mittlerweile bei der Mutter lebt. Der Altersunterschied von Nicole und ihrem Mann – immerhin 22 Jahre – fällt nicht ins Gewicht: «Ich bin einfach ur-glücklich.» Mit diesem typisch österreichischen Ausdruck beschreibt sie auch ihre Mutterrolle. Der quirlige Wirbelwind Cristóbal ist zwei Jahre alt und wuselt während des Interviews im Hintergrund durch das Wohnzimmer.
Nachdem die Arbeit als Sprachlehrerin nicht weiterging, erinnerte sich Nicole an ihre Idee aus Studienzeiten. Sie experimentierte mit Rezepten ihrer Großmutter: Linzer Torte, Apfelstrudel, Krapfen, Spitzbuben und natürlich die berühmte Sacher-Torte entstanden in der Küche ihrer Wohnung in Nuñoa. Seit 2018 betreibt die 28-Jährige ihre Heim-Konditorei «Viena Delikatessen». Weil Nicole wegen eines angeborenen Fehlers im Lungenkreislaufsystem nicht voll belastbar ist – die geplante und dringend notwendige Operation am Herz-Lungen-Trakt wurde wegen der Coronakrise
vorerst verschoben -, übernimmt ihr Mann die Lieferung der süßen Leckereien. «Ich war seit Beginn der Quarantäne nicht mehr vor der Türe, weil eine Ansteckung für mich schlimmste Folgen haben könnte», erzählt Nicole. «Dass ich zusätzlich zu einem bereits bekannten angeborenen Defekt im Verdauungstrakt und beim Nierenzugang noch ein weiteres Problem mit dem Herzen und der Lunge habe, hat man aber erst während der Schwangerschaft entdeckt, weil ich kaum noch atmen konnte.» Von einer natürlichen Geburt rieten die Ärzte daher damals ab.
Dass die Zukunftsplanung vom Erfolg der Operation ebenso abhängt wie vom Abflauen der Pandemie, kann sie nicht davon abhalten, Ideen zu entwickeln. «Eine eigene Konditorei zu eröffnen, ist mein Traum. Und ich bin ja von Natur aus kreativ, optimistisch und positiv eingestellt, also wird sich das schon realisieren lassen. Vielleicht ist das die verrückte Mischung aus Wien und Chile, die mich so sein lässt.»