Erklärvideos statt Experimente
Von Silvia Kählert
Helmuth Biernoth kam vor drei Jahren aus Deutschland als Mathe- und Chemieleh-
rer an die Deutsche Schule Santiago. Besonders gerne unterrichtet er Chemie – vor allem auch wegen der
Experimente, um den Schülern sichtbar und hörbar Formeln und Zusammenhänge klar zu machen. Das geht nun seit Mitte März aufgrund der Coronakrise nicht mehr.
«Der Unterricht hat sich plötzlich vollkommen gewandelt: Ich betreue nun online 170 Schüler aus sieben Klassen und bin nach wie vor für die nun virtuelle Koordination der Fachgruppe Chemie und der Mittelstufe zuständig. Die unglaublich zeitaufwändige Aufgabe besteht nun darin, dass man als Lehrer wöchentlich zur Arbeit aller 170 Schülern individuelles Feedback per Chat oder Mail gibt und virtuell Kontakt aufnimmt, wenn es Probleme jeglicher Art zu lösen gilt. Wir Lehrer kommen derzeit einfach nicht vom Computerbildschirm weg.»
Selbständige Schüler im Vorteil
Erstaunlich findet er die Leistung der Deutschen Schule Santiago, blitzschnell auf die neue Situation reagiert zu haben: «Am Freitag, 13. März, sind die Schüler nach Hause gegangen in der Meinung, dass sie am Montag wiederkommen. Am Wochenende wurde entschieden, dass auf virtuellen Unterricht umgestellt wird, die Lehrer wurden informiert und am Montagmorgen begann der Fernunterricht für alle Schüler der Klasse 7 bis 12 in Las Condes auf der Basis der google-classrooms.
Diese schnelle Umstellung war möglich, da in den vergangenen Jahren Mitarbeiter der Informatikabteilung zur didaktischen Unterstützung des Kollegiums (Dieduc) der Deutschen Schule das Thema Digitaler Unterricht implementiert, die digitalen Lernplattformen für die Abteilung Las Condes eingerichtet und die Lehrer hierzu ausgebildet und unterstützt hatten. So konnten die Lehrer sofort auf diese Strukturen zugreifen, Aufgaben verschicken und mit ihren Schülern in Kontakt bleiben.
«Im synchronen Online-Unterricht via Bildschirm geht es vor allem darum, offene Fragen zu beantworten, schwierige Zusammenhänge, die Schüler alleine nur schwer oder nicht bewältigen können zu veranschaulichen oder die Schüler etwas vortragen zu lassen», beschreibt Biernoth den Unterschied zum Präsenzunterricht. Daher kann der Stundenplan auch nicht eins zu eins vom Präsenzunterricht übernommen werden, da nun der Schwerpunkt des Lernprozesses in der individuellen, asynchronen Arbeit der Schüler liegt. «Das ist lernpsychologisch auch sinnvoll, weil jedem die Möglichkeit gegeben wird, sein eigenes Lerntempo zu veranschlagen. Das funktioniert allerdings nur, wenn die Schüler selbständig arbeiten und insbesondere jüngere Schüler haben hier natürlich Probleme, konzentriert Aufgaben alleine zu bearbeiten und nicht abgelenkt zu werden. Ihnen fehlt die orientierende Struktur des Präsenzunterrichts am meisten, was uns viele Eltern bestätigen.»
Leichter lernen mit Videos
Forschend entwickelnder Unterricht, Diskussionen zu bestimmten Fragestellungen kommen derzeit zu kurz. Gleichzeitig stellt der Pädagoge aber fest, dass es auch Schüler gibt, denen die neue Art des Lernens entgegen komme: «Einige, denen es vorher schwerfiel, den Stoff zu verstehen, denen es manchmal im Unterricht zu schnell ging, kommen plötzlich besser zurecht. Ein Grund sind die nun verstärkt genutzten und oft selbst erstellten Erklärvideos. Diese können nun mehrmals abgespielt werden, bis man das Thema verstanden hat.» Diese Erkenntnis will Helmuth Biernoth auf alle Fälle auch nach der Coronakrise nutzen, um die Vermittlung des Stoffs zu verbessern. Erstaunlich findet der Lehrer, die Qualität vieler Erklärvideos, die Schüler selber als Hausaufgabe erstellen: «Sie entwickeln hier immer mehr technische und didaktische Fähigkeiten und einige werden zu echten Erklärvideo-Profis.»
Nach einigen Wochen Erfahrung haben er und seine Kollegen festgestellt, dass sich Mathematik und die Naturwissenschaften – auch wenn die experimentellen Erfahrungen schmerzlich vermisst werden – relativ gut virtuell unterrichten lassen, dass es aber für Sprachenlehrer schwieriger ist: «Es fehlen viele der Sprechanlässe des Präsenzunterrichts.»
Wichtig sei ihm während der Coronakrise, die Beziehungen zu den Schülern so gut wie möglich zu pflegen und – wenn auch nur online – präsent zu sein: «Die Situation ist für alle belastend. Daher finde ich es wichtig, sich die Zeit zu nehmen, die Kinder oder Jugendlichen ihre Sorgen ausdrücken zu lassen und zu zeigen, dass sie damit nicht allein sind.»
Rückhalt für ihn selber sei in dieser Krise seine Familie, aber auch die Schüler: «Wenn sie sich vertrauensvoll an mich wenden oder positive Rückmeldung geben, gibt mir das auch Kraft zum Weitermachen.»