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martes, 21. enero 2025
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Dr. Andrea Kottow – Professorin für Literatur

Zwischen zwei Kulturen – auf der Suche nach der eigenen Identität

Von Stefanie Hornung

Ihre Arbeit bringt zwei Welten zusammen: Als Literaturprofessorin für Wirtschafts- und Ingenieurstudenten zeigt sie Verbindungen zwischen den Fachrichtungen auf. Im Privatleben vereint sie zwei Nationalitäten.

Die Koordination von Alltagspflichten, Arbeit und Kindern ist unter Quarantänebedingungen nicht eben leicht. Davon kann auch Andrea Kottow ein Lied singen: «Glücklicherweise bekomme ich familiäre Unterstützung, sodass ich in Ruhe meine Online-Vorlesungen vorbereiten und halten kann.» Sie bewohnt mit ihren Kindern, dem zehnjährigen Aaron und der fünfjährigen Lia, ein Haus im Süden von Santiagos Zentrum. So können die Kinder im Hof spielen, während Andrea arbeitet. Denn ihre Mutter unterrichtet im Rahmen des internationalen Programms «Core Curriculum» der Universität Adolfo Ibañez Studenten im Pflichtfach der «Artes liberales», der freien Künste.
«Ich versuche, die Studenten davon zu überzeugen, dass und warum ein Buch für sie wichtig ist», erklärt die Sprach- und Literaturwissenschaftlerin. «Das können Bücher mit ewig aktuellen Themen sein, die für unsere Kognition der Wirklichkeit hilfreich sind. Die Universität möchte damit das analytische und kritische Denken fördern.»

Ihre eigene Studiengeschichte indes brachte sie dazu, sich mit ihrer Identität kritisch auseinanderzusetzen. Andrea, Jahrgang 1975, hat die deutsche und chilenische Nationalität. Schon die Familiengeschichte ist geprägt von verschiedenen Herkunftsländern. Andreas Vater, jüdisch-deutscher Abstammung, wurde 1939 in Tel Aviv geboren. Seine Familie, die kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten aus Deutschland dorthin geflohen war, siedelte bald darauf nach Chile um. Andreas Großvater zog es nach dem Krieg allerdings wieder nach Deutschland zurück, in seine alte Heimat. Dort gründete er noch einmal eine Familie, während Andreas Vater in Chile blieb und Medizin studierte. Der junge Arzt verlor sein Herz an Helga Keim, die viele noch aus der Zeit ihrer Lehrerinnentätigkeit an der Deutschen Schule Santiago und an der Sankt Thomas Morus Schule im Gedächtnis haben. Eine Scheidung und eine Hochzeit später wurden Andrea und ihr Bruder in schwierige Zeiten hinein geboren. Die Eltern lebten zum Zeitpunkt des Putsches gerade in Chicago, kehrten aber kurzzeitig nach Chile zurück. 1977 zog die Familie schließlich nach Deutschland. Dort, in Stuttgart, lernten die Kinder die neue Sprache im wahrsten Sinne des Wortes spielend – im Kindergarten und später in der Grundschule. Andrea erinnert sich: «Wir lebten uns schnell ein. Kinder sind ja ohnehin sehr flexibel, außerdem fand ich schnell Freunde und nahm auch ein wenig den schwäbischen Dialekt an.»

1988 kehrte die Familie nach Chile zurück, ein harter Schnitt für die damals 13-jährige Andrea, die zwar in Santiago geboren ist, aber überhaupt keinen Bezug zu ihrer neuen Heimat hatte: «Das erste Jahr war für mich sehr schwierig. Ich hatte kurze Haare, trug Brille und war so ganz anders als die langhaarigen Mädchen in meiner Schulklasse. Außerdem sprach ich kaum Spanisch und wollte es eigentlich auch nicht sprechen.» Doch sie lebte sich wieder ein und nach ihrem Abschluss auf der Deutschen Schule Santiago entschied sie sich, an der Universidad de Chile Literatur und Sprachen zu studieren. Die Auseinandersetzung mit Sprache brachte sie auch dazu, sich erneut die in ihrem Leben immer unterschwellig mitschwingende Frage zu stellen: «Was habe ich eigentlich mit Deutschland zu tun? Welche Identität habe ich – die chilenische oder die deutsche?» Eine Antwort wollte sie in Deutschland suchen und ging 1999 nach Berlin. «Ich habe mich ganz bewusst gegen Stuttgart entschieden, wollte unbedingt nach Berlin.» Sie erinnert sich an eine Anekdote, die ihr erneut zeigte, wie schwierig die Identitäten als Deutsch-Chilenin zu vereinen waren. «Ich war gerade in Berlin angekommen, als meine Mitbewohnerin mir erzählte, dass ein Bekannter sie nach dem schwarzhaarigen Mädchen gefragt habe, mit dem sie jetzt zusammenwohnen würde. Ich wurde in Deutschland als Südamerikanerin wahrgenommen, während man mich in Chile als blond und hellhaarig wahrnahm! Eine seltsame Diskrepanz.» Sie ging erneut zurück nach Chile, machte ihren Abschluss an der Unversidad de Chile. Doch die Verbindung zur deutschen Hauptstadt ließ sie nicht los und so bewarb sie sich 1999 für ein Auslandsstipendium beim DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) für Doktoranden. Sie landete als Doktorandin am Lehrstuhl für Medizingeschichte der medizinischen Fakultät der Freien Universität Berlin: «Möglicherweise ist ja der Arztberuf meines Vaters Schuld, aber ich habe mich immer schon für die Kombination aus naturwissenschaftlichen und geschichtsphilosophischen Inhalten interessiert.» So kam es auch, dass sie 2004 ihre Doktorarbeit mit dem wohlklingenden Titel «Der kranke Mann. Medizin und Geschlecht in der Literatur um 1900» vor «lauter Weißkitteln» verteidigte, wie sie lachend erzählt. Die Entscheidung, 2007 erneut nach Chile zurückzugehen, sei nicht leicht gefallen, aber es hätten sich bessere Aufstiegschancen geboten.

Die Suche nach der Identität zwischen Deutschsein und Chilenin habe sie mittlerweile übrigens aufgegeben, sagt Andrea Kottow. Ihre Arbeit und Familie füllten sie jetzt aus und sie fühle sich seitdem viel befreiter und leichter.

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