Erinnerungen an das Erdbeben in Valdivia
Von Erica Lunecke
Als das Erdbeben am 22. Mai 1960 begann, war ich 16 Jahre alt. An dem Tag waren meine Mutter, meine Schwester und unsere Nana in unserem Haus in Valdivia, in der Straße Avenida Picarte 1086, der Hauptstraße. Heute leben dort die Nonnen der María Auxiliadora.
Mein Vater und mein Bruder waren mit einem Freund und seinem Sohn zum Hafen Corral in ihrem Segelboot unterwegs und auf dem Meer als das große Erdbeben begann. Im gleichen Moment, lernte ich an meinem Schreibtisch. Ich erinnere mich noch genau an den entsetzlichen Lärm. Wir vier Frauen wollten sofort in den Garten laufen. Es war aber kaum möglich aufrecht zu gehen und wir fielen immer wieder um, weil der Boden so am Schwanken war. Im Garten hielten wir uns alle aneinander fest. Wir dachten, dass dies das Ende der Welt sei. Das Ganze dauerte zehn Minuten. Ich konnte sehen, dass außerhalb unseres Garten ganz viel Staub und Rauch aufstieg, auch dass es Feuer gab.
Es war auch nicht möglich, wieder das Haus zu betreten. Alles war umgekippt: Die Schränke, die Stühle, das Geschirr, die Gläser, die Bilder lagen teilweise zerbrochen durcheinander auf dem Boden herum. Es war schrecklich! Wir waren alle gelähmt vor Angst und Schrecken!
Dem Haus an sich war zum Glück nichts passiert, denn es war aus Holz und konnte dem Erdbeben standhalten. Dann kam die Ungewissheit, was mit meinem Vater und Bruder geschehen war. Denn es gab keine Möglichkeit, eine Nachricht zu erhalten. Schließlich kamen beide wohlbehalten um 22 Uhr abends zurück.
Als das Erdbeben begann, waren sie auf dem Schiff. Mein Vater fuhr mit dem Segelboot gegenüber von Niebla in Richtung Corral, als sich eine Welle von zwölf Metern Höhe bildete, die über dem Schiff zusammenschlug und die Männer und Jungen ins Meer warf und später an den Strand spülte. Sie retteten sich wie durch ein Wunder, weil sie immer im Winter beide Masten abnahmen. Mein Vater hatte das Boot in einer Garage gebaut, die neben unserem Haus stand.
Dort fanden wir nach dem Erdbeben Zuflucht, stellten Betten und Matratzen auf. Es bebte immer wieder sehr stark. Ich hing einen Regenschirm an ein Kabel der Masten, die in der Garage aufgehoben waren. Das einzige, was ich tat, war darauf zu achten, ob es bebte. Wir liefen dann jedes Mal davon. Seitdem gerate ich bei jedem Erdbeben in Panik, das ist mir für den Rest des Lebens geblieben.
Nach dem Erdbeben begann es zu regnen, obwohl der Tag vorher wunderschön gewesen war. Eine Woche später fuhren wir auf einem Lastwagen zum Lago Ranco zu einem Onkel von uns, wofür wir etwa acht Stunden brauchten. Daheim gab es nämlich weder Strom noch Wasser. Ebenso wenig konnte man Lebensmittel kaufen. Der Weg nach Süden war nur mühsam befahrbar, da überall Erdspalten und Schlamm waren. Meine Eltern blieben in Valdivia, um das Haus zu bewachen. Im Jahr danach waren wir in Puerto Montt und später zogen wir nach Santiago um.