Die wahren und erfundenen Abenteuer des Freiherm von Münchhausen
Von Peter Downes
Er selbst hat nie Geschichten aufgeschrieben, sondern fabulierte gerne in Gesellschaft: Wie kam es also, dass Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen ein berühmter Autor wider Willen und zu seinem größten Ärger als «Lügenbaron» berühmt wurde?
Geboren wurde Münchhausen am 11. Mai 1720 im niedersächsischen Bodenwerder an der Weser (in der Nähe von Holzminden). Er war das fünfte Kind von insgesamt sieben Kindern des adligen Gutsherrn Georg und dessen Frau Sibylle Wilhelmine, eine geborene von Reden.
Vom Gutshof an den Zarenhof
Mit dreizehn kam er als Page an den Hof der Fürsten von Braunschweig-Wolfenbüttel. Sein Vater war inzwischen verstorben und so hatte die Mutter die Verbindung zum Fürstenhof hergestellt. Der Junge wechselte mehrfach am Hof seinen Dienstherren. 1737 reiste schließlich der siebzehnjährige Hieronymus in Begleitung zweier Hofbeamter zum Prinzen Anton Ulrich von Braunschweig, der in Sankt Petersburg lebte.
Als Page des Prinzen zog er im Jahre 1738 in den Russisch-Türkischen Krieg. Die von Generalfeldmarschall Graf Münnich eroberte türkische Festung Otschakow, am Schwarzen Meer gelegen sollte in mehreren seiner Abenteuergeschichten auftauchen. 1741 wird Prinz Anton Ulrich, dessen kleiner Sohn bereits als Zar ernannt worden war, von der neuen Kaiserin Elisabeth entmachtet und gemeinsam mit seiner Frau Anna Leopoldowna gefangen genommen. Hieronymus überlebte diesen Schicksalsschlag, da er inzwischen in Riga stationiert war und vom Geschehen nur aus der Ferne etwas mitbekam. Im Baltikum lernte er auch seine Frau kennen: Am 2. Februar 1744 heiratete er Jakobine von Dunten, Tochter eines livländischen Landrichters. Ganze sechsundvierzig Jahre lebte das Paar zusammen, aber die Ehe blieb kinderlos.
1750 kehrte er mit seiner Frau nach Bodenwerder zurück, wo er bis zu seinem Lebensende als typischer Landadeliger lebte. Der Gutsherr pflegte ein geselliges Leben: ging auf die Jagd und erzählte seine Erlebnisse aus den Kriegstagen und von den Jagdausflügen bei Tabak und rotem Punsch. Es sind diese Erzählungen, die durch raffinierte Ausschmückungen zu unglaublichen Abenteuergeschichten wurden und seine Zuhörer in den Bann zogen.
Lügengeschichten oder Philosophie?
Seine Geschichten haben einen wahren Hintergrund, waren daher keine Lügengeschichten. Ein «Lügenbaron» war Münchhausen also keineswegs, sondern seine Übertreibungen richteten sich auch mal gegen angeberische junge Adlige, die er mit einer seiner Abenteurergeschichten schlichtweg übertrumpfte und so bloßstellte und damit zum Schweigen brachte.
Die Winterlandschaften in Russland kannte er ja wirklich und auch die Geschichten vom Krieg sind historische Ereignisse. Was seine Erzählungen jedoch berühmt machte, sind die absurden Pointen: ein Pferd, das etwa an einem Kirchturm hängt, der Freiherr, der auf einer Kanonenkugel durch die Luft reitet oder ein anderes Mal mit Enten fliegt. Was an seinen Erzählungen fasziniert, ist genau das überzogene Bild und der überraschende Ausgang. Der Fantasie wird hier kaum eine Grenze gesetzt und am Ende schmunzelt man über den komischen und glücklichen Ausgang jeder Geschichte. Eine fröhliche Unterhaltung, aber zugleich auch gesellschaftliche Kritik, eine hintergründige Philosophie wird einem erschlossen, wenn man die Geschichten als «aufklärerische Zeitkritik» betrachtet. Insofern sind die Geschichten des Baron Münchhausen keineswegs lustige Kindermärchen oder «Lügengeschichten», sondern eine lohnenswerte und sicherlich unterhaltsame Lektüre für Erwachsene. Sie sind inspirierend, die Fantasie anregend und zugleich mit einer «verborgenen» philosophischen Botschaft.
Der Autor, der keiner sein wollte
1781 erschien eine Ausgabe von Erzählungen im «Vademecum für lustige Leute», worunter auch einige Geschichten dem «Herrn von M-h-s-n» zugeschrieben wurden. Wer nun diese Geschichten aufgeschnappt hat und dann veröffentlichen ließ, bleibt ein Rätsel. Die Geschichten waren anscheinend so erfolgreich, dass schon zwei Jahre später weitere Erzählungen gedruckt wurden. Der literarische Ruhm des «Baron Münchhausen» aber begann mit der englischen Übersetzung und Herausgabe durch Rudolf Erich Raspe in London 1785 unter dem Titel «Baron Munchausen’s Narrative of his Marvellous Travels and Campaigns in Russia», ohne eine Autorenangabe. Das Werk hatte solch großen Erfolg, dass rasch Fortsetzungen folgten.
Im folgenden Jahr lernte Gottfried August Bürger das Buch kennen und übersetzte es ins Deutsche, wo es als «Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande, Feldzüge und lustige Abentheuer des Freyherrn von Münchhausen, wie er dieselben bey einer Flasche im Circel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt» erschien, wiederum ohne einen Verfasser zu nennen. Es folgten nun weitere Auflagen, allerdings mit Erzählungen angereichert, die nichts mehr mit dem historischen Münchhausen zu tun haben. Hieronymus war gar nicht davon begeistert, womöglich auch, weil seine Erzählungen abgewandelt wurden und mit seinem Namen fremde Geschichten verbunden wurden. Er sah sich hintergangen und verleumdet. Und seine Verbitterung verstärkte sich wohl auch noch durch den Tod seiner Ehefrau im Jahre 1790.
Das letzte Abenteuer
Nur vier Jahre später wollte der nun vierundsiebzigjährige Freiherr nochmals heiraten und zwar die siebzehnjährige Bernhardine von Brunn. Die junge Braut wollte ausgiebig feiern, was aber Hieronymus keinesfalls gefiel. Ihm kamen daher schon kurz nach der Hochzeit bedenken, dass die junge Ehefrau sein kleines Vermögen durch ihre Lebenslust durchbringen könnte und ihm wohlmöglich einen falschen Erben präsentieren mochte. So endete dieses kurze Abenteuer einer zweiten Ehe mit einer Scheidungsklage. Zur Sicherheit übertrug der kinderlose Gutsherr Münchhausen seinen gesamten Besitz in Bodenwerder einem Neffen. Aber die Anwälte der Baronin Bernhardine reichten eine Gegenklage ein und verweisen dabei auf das «unseriöse Fabulieren» und verleumden ihn als «Lügenbaron». Dieser Titel sollte ihm dann auf ewig anhaften. Hieronymus starb als einsamer und verbitterter Greis am 22. Februar 1797 und findet in der Klosterkirche zu Kemnade seine letzte Ruhestätte.
Leseempfehlung: Anna von Münchhausen, Der Lügenbaron. Mein phantastischer Vorfahr und ich, Hamburg: Rowohlt 2020.