Der Cóndor veröffentlicht in unregelmäßigen Abständen Portraits über Frauen, die eine Pionierrolle oder besondere Leistungen in Chile erbracht und einen deutschen Hintergrund haben.
Von Stefanie Hornung

Gabriela Bussenius wurde 1887 geboren, in einer Zeit, als Frauen in aller Welt beinahe ausschließlich die Rolle der Hausfrau und Mutter zugeschrieben war. Die junge Chilenin brach aus dem Frauenbild jener Epoche aus, als sie sich entschied, Filmemacherin zu werden. In diesen frühen Jahren der Filmindustrie – das Patent für die Erfindung einer ersten filmfähigen Kamera datiert auf das Jahr 1888 – waren Regisseurinnen so gut wie unbekannt. Die Entscheidung für diesen Beruf kam dennoch nicht ganz unerwartet, denn ihr Bruder Gustavo arbeitete bereits als Dokumentarfilmer und Kameramann und führte sie in die Materie ein. Über ihn lernte sie auch ihren Ehemann kennen, den italienischstämmigen Filmproduzenten Salvador Giambastiani. Mit ihm gründete sie 1915 die Firma Chile Film Co. Die Verbindung mit Bruder und Ehemann ermöglichte Gabriela, ihren ersten eigenen Spielfilm zu machen. Sie schrieb das Dehbuch für den rund zweistündigen Stummfilm, organisierte die Drehorte in ganz Chile und übernahm die Regie, während Gustavo und Salvador technische Unterstützung leisteten.
Am 26. April 1917 war es soweit: «La Agonía de Arauco» kam in den Sälen des Alhambra-Kinos und des Union Central-Theaters zur Uraufführung. Der auch unter dem Titel «El olvido de los muertos» bekannte Film um die junge Witwe Isabel, deren neuem Glück Mario und den jungen Mapuche Catrileo wurde von Publikum und Kritik gleichermaßen begeistert aufgenommen. Es handele sich um ein «filmisches Ereignis, das den Vergleich mit europäischen Werken nicht scheuen dürfe», urteilte «Cine Gazeta» aus Valparaíso. Und obwohl Gabrielas Werk mit viel Lorbeeren bedacht wurde, sollte es doch ihr einziger Film bleiben. Denn mittlerweile war sie Mutter von zwei Kindern geworden und hatte einen kranken Ehemann. Salvador starb im Juli 1921, nur vier Jahre nach der Hochzeit, und hinterließ seiner Witwe die gemeinsame Filmfirma. Gabriela sah sich außerstande, die Geschäfte zu übernehmen und auch der Eintritt ihres Bruders Gustavo als Kompagnon konnte den früheren Erfolg des auf die Herstellung von Stummfilmen spezialisierten Unternehmens nicht dauerhaft erhalten. Der Tod ihres Bruders 1932 – er war während Filmaufnahmen von sozialen Protesten von einer verirrten Kugel getroffen worden – gab dem Unternehmen den Todesstoß.
Gabriela hatte bereits nachdem ihr Mann gestorben war, begonnen als Journalistin zu arbeiten und gab seit den 1930er Jahren zwei Kino-Zeitschriften heraus. 1954 veröffentlichte sie einen ersten Roman «Mis amigos los cisnes», den sie ihrer Mutter widmete. Zwischendurch verdiente sie Geld bei der Sozialversicherung und bei der Post. Sie erwarb ein kleines Häuschen, reiste in den fünfziger Jahren alleine durch Europa und hielt anschließend Vorträge über ihre Erfahrungen. Ob sie auch Deutschland besuchte, ist unbekannt. Ihr Vater, der Ingenieur Luis Bussenius – einige Quellen erwähnen den Familiennamen von Bussenius – war in den 1850er Jahren als Fachmann für den Bau der ersten Bahnlinie aus Deutschland nach Chile gekommen und hatte darauf bestanden, dass alle seine fünf Kinder sowohl Deutsch als auch Englisch sprechen lernten.
Gabriela Bussenius‘ Name ging der Filmwelt lange verloren und ihr einziger Film erlitt das Schicksal vieler auf Zelluloid gefilmter Werke – das Material löste sich im Laufe der Zeit auf. 2015 – 30 Jahre nach ihrem Tod – wurde sie in das Buch «Women Screenwriters» aufgenommen, als erste Regisseurin Chiles. Damit bleiben ihr Werk und ihr Name unvergessen.