Klassische Musik im Radio – Alternative für Raumangst-Opfer
Von Walter Krumbach
Wer mag das schon, sich wegen des Ausgehverbots nur im Haus herumzutreiben, besonders, wenn da nicht viel zu tun ist. Man schaltet den Fernseher an – außer dem Coronavirus scheint es hier kein anderes Thema zu geben. Ganz anders sieht es beim Radio aus.
Im Fernsehen jagt eine Hiobsbotschaft die andere, sei es in den Nachrichten-, Feature- oder Unterhaltungssendungen. Auf die Dauer hält das kein vernünftiger Mensch aus. Also schaltet man die Glotze am besten ab und macht etwas anderes. Aber was? Ein Spaziergang in den eigenen vier Wänden hilft nicht besonders viel. Das ewige Im-Kreis-herumlaufen ist bekanntlich zur Entspanung der Raumangst-Opfer nicht gerade förderlich. Außerdem könnte dieses Verhalten bei den restlichen Familienmit-gliedern den Verdacht aufkommen lassen, mit unserer geistigen Verfassung stimme etwas nicht.
Riesenhaftes Radioangebot
Also: Tief einatmen, Radio einschalten, hinsetzen, Augen schließen. Im Hörfunk findet man in der Regel Interessantes und Anregendes. Das Angebot ist riesenhaft, da heute sämtliche Sender einen Live-Auftritt im Internet haben. Die Be-nutzerfreundlichkeit ist immer gewährleistet, meistens genügt ein Mausklick und schon ertönt Musik in bester technischer Qualität (sofern der Computerlautsprecher imstande ist, sie angemessen wiederzugeben). Hier eine kleine Auswahl ausgesuchter Klassiksender, die uns in dieser verworrenen Zeit angenehme Stunden bescheren können:
•Radio Bayern Klassik, www.br-klassik.de, verfügt über ein hervorragendes Schallarchiv, von dem die Programm-gestalter nicht nur ihre aktuellen Tonträger präsentieren, sondern auch in ihrer historischen Schatzkiste kramen. Kürzlich wurde etwa der kanadische Pianist Glenn Gould (1932-1982) porträtiert und der deutsche Tenor Fritz Wunderlich (1930-1966) sang Beethovens Liederzyklus «An die ferne Geliebte».
Außer den Konzertsendungen bietet Radio Bayern Klassik regelmäßig Produktionen an, die spezifische Themen des Bereichs der E-Musik behandeln. «Album der Woche» stellt herausragende neue Platten vor, «Allegro» informiert über das aktuelle Musikleben und «Klassik-Stars» stellt große Künstler aus der Vergangenheit und der Gegenwart vor. Dazu kommt zur vollen Stunde eine fünfminütige Nachrichtensendung mit Wetterbericht.
•Radio Klassik Stephansdom, www.radioklassik.at, ist ein Sender der Erzdiözese Wien. Das Programm ist denkbar umfangreich, meist merkt der Hörer gar nicht, dass er einem konfessionellen Radio zuhört. Freilich wird regelmäßig die Messe aus dem Dom übertragen und besondere Festlichkeiten, wie die Karwoche und Weihnachten, werden in den Sendezeiten großzügig berücksichtigt. Einige Moderatoren sprechen in echter Wiener Mundart, was diesem Medium eine gute Portion «Echtheit» verleiht. Österreicher sind bekanntlich Vokalmusikliebhaber. Dem wird Radio Klassik Stephansdom nicht nur mit einem regelmäßigen Opernprogramm, sondern auch mit einem größeren Prozentsatz an Liedern, Oratorien und Kantaten im täglichen Programm gerecht.
Offenbar ist dieser Sender gut betucht: Er leistet sich sogar feiertags Live-Ansager. Kürzlich war an einem Sonntagvormittag zu hören, dass es am Stephansplatz empfindlich kalt sei, die Sprecherin gab dabei die genaue Temperatur und die Uhrzeit an!
•Der Norddeutsche Rundfunk unterhält auf www.ndr.de – kultur eine Frequenz, die außer Konzert- und Opernmusik auch Sendungen über Literatur, Malerei und Unterhaltungsmusik auf dem Programm hat. Ein Medium für kunstsinnige Hörer, die nicht nur an Musik interessiert sind.
•Radio Klassik 1, www.klassik1.de (Werbespruch: «Das Radio mit den besten Noten»), strahlt Werke vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart aus. Dabei werden moderne Genres wie jüngst etwa Danny Elfmans Filmmusik für «Spiderman» berücksichtigt. Der Sender gehört der Silvacast GmbH, einem unabhängigen Medienunternehmen mit Sitz in Berlin. Charakteristisch für seine Programmgestaltung ist, dass nur kurze Stücke (meist überschreiten sie keine fünf Minuten) ausgestrahlt werden. Hier hüllen sich die Moderatoren (falls es sie geben sollte) in ewiges Schweigen, nichts wird angesagt, auf dem Bildschirm erscheinen lediglich die Titel der Werke. Ihre Interpreten werden ignoriert. Der Sender richtet sich somit an Benutzer, die am PC arbeiten, Hintergrundmusik wünschen und sich von unliebsamem Gerede nicht unterbrechen lassen wollen.
•Der Deutschlandfunk Kultur, www.deutschlandfunkkultur.de, ist ein öffentlich-rechtlicher Sender, der außer klassischer Musik «Neuigkeiten aus Kunst, Wissenschaft und Kultur, politische und wirtschaftliche Hintergrundinformationen, Hörspiele und Radio-Features» bringt. Die Tonkunst ist somit nur ein Teil seines Angebots. Sein Hörerprofil ist der des gebildeten, gut informierten und vor allem kunstsinnigen Bürgers.
•An die gleiche Zielgruppe richtet sich das Kultursignal des Südwestfunks, www.swr.de/swr2/. Unter dem Leitsatz «Kultur neu entdecken» bietet er ein reichhaltiges Programm an, das von Bücherdiskussionen bis zu brandaktuellen Themen wie Kochen in der Corona-Kri-se zu Fragen Stellung nimmt, wie zum Beispiel, was vom Mythos Beatles, der berühmtesten Band der Welt, heute bleibt.
•WDR3, das Kulturradio des Westdeutschen Rundfunks, www1.wdr.de/radio/wdr3/index.html, versteht sich ebenso als aktuelles Kultursprachrohr. Seine Betonung liegt auf dem «Jetzt» und dem «Heute». Sendungen wie «Oper Dortmund: Die erste Geisterpremiere in NRW» oder «Konzertplanung in Zeiten von Corona» spiegeln den aktuellen Stand des deutschen Kulturlebens wider.
•In Santiago nahm Radio Beethoven, www.beethovenfm.cl, am 1. April seine Sendungen wieder auf, nachdem die Pontificia Universidad Católica (PUC) die Initiative ergriffen hatte, den einzigen Klassiksender der Hauptstadt zu retten. Im November vergangenen Jahres hatte sein damaliger Besitzer, der Medienkonzern Copesa, die UKW-Frequenz verkauft, worauf Radio Beethoven seine Übertragungen einstellen musste. Die Programmgestaltung ist so gut wie die gleiche wie vorher, ebenso sind die altbekannten Stimmen der einstigen Sprecher wieder zu hören. Vorerst läuft das gesamte Programm ohne Reklameunterbrechungen ab. In Santiago kann man Radio Beethoven nicht nur übers Internet hören, sondern auch auf der UKW-Frequenz 97,7 einschalten.