Richard von Weizsäcker – ein großer Redner und politischer Mahner
Von Peter Downes
Vor 100 Jahren, am 15. April 1920, wurde Richard von Weizsäcker geboren. Über ein halbes Jahrhundert prägte er die deutsche Politik. Er war CDU-Abgeordneter, dann Berliner Bürgermeister und schließlich der sechste Bundespräsident Deutschlands.
Seine zehnjährige Amtszeit fiel in für die Geschichte Deutschlands besonders bedeutende Jahre: in die Zeit der Wende, des Mauerfalls und der Wiedervereinigung. Seine Familie und besonders sein Vater spielten eine wichtige Rolle für seinen Werdegang.
Licht und Schatten einer Familie
Keine andere Familie stellte über Generationen hinweg so viele Staatsdiener und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Richards Großvater, Carl Hugo von Weizsäcker (1853-1926) wurde Ministerpräsident im Königreich Württemberg, sein Vater, Ernst Heinrich von Weizsäcker (1882-1951) war Kaiserlicher Korvettenkapitän, Diplomat und stieg zum Staatssekretär im Auswärtigen Amt des NS-Regimes auf, sein Bruder Carl Friedrich war ein herausragender Wissenschaftler (Atomphysiker und Philosoph) und er selbst war Bürgermeister von Berlin (1981-1984) und von 1984 bis 1994 Bundespräsident. Die Familie verkörperte ein traditionelles Bildungsbürgertum und stieg 1916 in den Adel-stand als Freiherren auf. Aber der Weg der Weizsäckers ist nicht immer durch Licht und Glanz, sondern auch die Schatten der NS-Zeit bestimmt. Die Rolle von Richards Vater während des NS-Regimes als Staatssekretär sollte für den jungen Juristen am Ende des Krieges bedeutsam werden.
Der Zweite Weltkrieg und die Weizsäckers
Geboren wurde Richard von Weizsäcker am 15. April 1920 in Stuttgart. Nach seinem Abitur 1937 reiste er nach Oxford und Grenoble, um dort philosophische und historische Vorlesungen zu hören, wurde aber 1938 zum Reichsarbeitsdienst eingezogen. Mit seinem älteren Bruder, dem Leutnant Heinrich Viktor, marschierte er 1939 in Polen ein, dabei kam sein Bruder ums Leben. Richard wurde während des Krieges sowohl an der Westfront als auch an der Ostfront eingesetzt und zum Offizier ausgebildet. Sein Bruder Carl Friedrich war Wissenschaftler und an der Entwicklung der Atombombe beteiligt. Er selbst wurde im Verlauf des Krieges immer skeptischer und pflegte Kontakte zu Widerstandsgruppen, ohne jedoch selbst aktiv zu werden. Der Krieg und seine Folgen sollten sein Leben für immer beeinflussen, vor allem in seinen Reden kommt immer wieder die moralische Verantwortung zum Tragen. Nach Kriegsende studierte er Rechtswissenschaften und Geschichte in Göttingen und wurde 1955 zum Dr. Jur. promoviert. Noch als Jurastudent unterstützte er 1948 den Rechtsanwalt Helmut Becker bei der Verteidigung seines Vaters, der in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen als ehemaliger Staatssekretär des NS-Staates angeklagt worden war. Es kam am Ende zur Verurteilung seines Vaters, der aber 1950 vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wurde.
Politik als Herausforderung
Obwohl ihm sein Vater stets davon abriet, in die Politik zu gehen – sicherlich aufgrund dessen eigener negativer Erfahrung und Rolle während des NS-Regimes – trat Richard von Weiszäcker 1954 in die CDU ein. Zunächst aber war er bei verschiedenen Firmen und Unternehmen tätig: von 1950 bis 1958 bei der Mannesmann AG in Gelsenkirchen und Düsseldorf, wo er 1957 zum Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung aufstieg; dann Ende 1958 bis 1962 als persönlich haftender Gesellschafter beim Bankhaus Waldthausen & Co. in Essen und Düsseldorf und schließlich von 1962 bis 1965 in der Geschäftsleitung des Pharmakonzerns Boehringer in Ingelheim. Neben seinen beruflichen Tätigkeiten, pflegte er sein christliches Engagement in der Evangelischen Kirche. Dort wurde er 1964 Mitglied des Präsidiums des Evangelischen Kirchentages und 1970 dessen Präsident.
Seine eigentliche politische Karriere begann 1966, als er Mitglied des Bundesvorstands der CDU wurde. Drei Jahre später wurde er als Abgeordneter in den Bundestag gewählt, dem er dann bis 1981 angehörte. Wegweisend wurde sein Umzug nach Berlin 1978, wo er als Oppositionsführer wirkte, bis er 1981 zum Regierenden Bürgermeister der Stadt gewählt wurde und dieses Amt bis zu seiner Wahl zum Bundespräsidenten 1984 ausübte.
Bei Bürgern beliebter Bundespräsident
Der Bundespräsident Richard von Weizsäcker verdankte zwar seinen Aufstieg innerhalb der Partei dem Parteivorsitzenden und späteren Kanzler Helmut Kohl, der ihn als Art Mentor ins Präsidium der CDU beförderte, aber ihr Verhältnis blieb zunehmend gespannt. Was Weizsäcker aus-zeichnete, war seine enorme Redegewandheit. Vor allem seine Rede zum 8. Mai 1985 in Erinnerung an das Kriegsende 40 Jahre vorher, wurde zu einem Meilenstein der deutschen Geschichtsbewältigung. Offen wurde die Verantwortung Deutschlands für den katastrophalen Krieg und den Holocaust ausgesprochen. Es war ein Bekenntnis und die Abrechnung mit der dunkelsten Vergangenheit der modernen Geschichte Deutschlands.
Seine Reden, seine zahlreichen internationalen Staatsbesuche oder die Gespräche mit DDR-Politikern, förderten das Vertrauen der Welt zu diesem neuen Deutschland und erleichterten sicherlich den Weg zur Wiedervereinigung. Richard von Weizsäcker wertete das Amt des Bundespräsidenten auf. Seine Reden waren von Gewissenhaftigkeit geprägt. Er wagte auch der eigenen Parteiführung und Regierung zu widersprechen. Es ging ihm nicht um Harmonie, sondern um Werte, wie Menschlichkeit, Verantwortung und die Erinnerung an Verfehlungen und das rechte Handeln. Ihm ging es nicht um Ausübung von Macht, sondern um die moralische Verantwortung, um einen Konsens auf Basis von Argumenten.
Für «behutsames» Zusammenwachsen
Als im November 1989 die Mauer fiel und 1990 die Wie-dervereinigung vollzogen wurde, forderte er ein «behutsames» Zusammenwachsen von Ost und West, einen sensiblen und graduellen Prozess. In dieser Zeit entfremdeten er und der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl, sein einstiger Förderer, sich endgültig. Im Gegensatz zu ihm wollte Kohl eine schnelle Wiedervereinigung. Die Journalistin Marion Gräfin Dönhoff würdigte 1994 in der «Zeit» Weizsäcker als einen Präsidenten für alle Bürger. Weiszäcker wollte verhindern, dass der Zusammenbruch Ostdeutschlands die Distanzierung der Ost- und Westdeutschen, der «Ossis» und «Wessis», zur Folge hatte.
Auch zum Thema der Zuwanderung und Integration nahm Richard von Weizsäcker als Bundespräsident Stellung. Diese Debatte dominierte während seiner zweiten Amtszeit die Politik in Deutschland, ähnlich wie aktuell die Flüchtlings- und Migrantendebatten. Er vertrat hier eine deutliche Position zur Integration und der Zulassung von Zuwanderung und kritisierte damit offen die politischen Parteien.
Auch nachdem er 1994 aus dem Amt ausschied, blieb er noch über Jahre ein politischer Mahner und übte durch seine Stellung als Vorsitzender zahlreicher Gremien noch Einfluss in den politischen Debatten aus. Die große Anzahl an Ehrendoktorwürden und Auszeichnungen bringen seine hohe Wertschätzung, auch international, zum Ausdruck. Er starb im Alter von 95 Jahren am 31. Januar 2015 in Berlin.