Digitale Zeitzeugengalerie 2.0
Testaufnahme eines Zeitzeugeninterviews mit Johannes Schinzel als Testperson, Sebastian Pérez als Kameramann und Jorge Lehnebach als Interviewer
Daniela Hofmann und Fernanda Lagos beim Einrichten des Greenscreenstudios
Von Johannes Schinzel
Als Deutschfachunterrichtslehrer der Deutschen Schule «Carl Anwandter» Valdivia begleitet Johannes Schinzel das Projekt «Digitale Zeitzeugengalerie 2.0». Damit gehört die DS Valdivia zu den 58 Auslandsschulen, die beim Wettbewerb «Erinnern für die Gegenwart» des Auswärtigen Amtes für eine finanzielle Förderung ausgewählt wurden.
Unser Projekt befand sich zum Ausbruch des Corona-Virus in einer entscheidenden Phase. Drei Tage vor Aufnahme des ersten Zeitzeugenvideos wurde die Entscheidung zur Schließung der Schulen getroffen. Unser Zeitzeuge, der Direktor der DS Valdivia von 1981 bis 1986, musste nun den Heimweg antreten, bevor wir das Interview aufnehmen konnten. Wir bleiben trotzdem optimistisch und hoffen, dass wir dank einer Projektverlängerung seitens der Zentralstelle für Auslandsschulwesen, das Projekt trotzdem realisieren können. Momentan laufen erste Gedankenspiele, Interviews per Videokonferenz durchzuführen.
Diktatur aus verschiedenen Perspektiven
Das Projekt «digitale Zeitzeugengalerie 2.0» soll mehrere aktuelle Entwicklungen in Chile und an der Schule aufgreifen und in einem schülerorientierten Produkt zusammenführen. Primäres Projektziel ist es, das Thema «Diktatur in Chile in den 80er Jahren» an der Schule aus unterschiedlichen Perspektiven sichtbar zu machen und Verbindungen zur Lebenswelt der Schüler/innen («ihrer» Schule) herzustellen und den Einfluss Deutschlands auf die Schule (zum Beispiel durch deutsche Lehrer oder Schulleiter) während der Diktatur vor Augen zu führen. Daneben sind der Umgang mit Zeitzeugen, fächerübergreifendes Arbeiten und die Digitalisierung zentrale Arbeitsbereiche des Projekts.
Arbeit mit Zeitzeugen
Die am Projekt beteiligten Schüler/innen der 11. Klasse arbeiten zum Projektzeitpunkt am Themenkomplex «autoritäre Staaten» und in diesem Rahmen mit der Quellengattung «Zeitzeugenberichte». Die Projektarbeit bietet ein lebendiges Beispiel dafür, welche Möglichkeiten und welche Grenzen die Arbeit mit Zeitzeugen für einen Historiker mit sich bringen. Das Projekt wird fächerübergreifend erarbeitet, es werden folgende Fächer mit einbezogen:
– Geschichte auf Deutsch
(Fokus: quellenkritische Analyse von Zeitzeugenberichten, Merkmale autoritärer Staaten)
– Geschichte auf Spanisch (Fokus: Kontextwissen zur Diktatur Pinochets, Besuch des Stadtarchivs)
– Deutsch als Fremdsprache (Fokus: Spracharbeit, zum Beispiel Erstellung von Untertiteln)
– Kunst (Fokus: Herstellung der Bilderrahmen, Fotografien).
– eine Technik-AG für die technische Umsetzung (Fokus: Videobearbeitung, Arbeit mit der App «HP-Reveal»)
Als Produkt entsteht eine digital-analoge Zeitzeugengalerie. Die Schüler/innen wählen nach der Erarbeitung von Kontextwissen und entsprechender Methodik (quellenkritische Analyse von Zeitzeugenberichten) Themenschwerpunkte zur zentralen Fragestellung «Wie erlebten Mitglieder der Schulgemeinschaft der deutschen Schule Valdivia in den 80er Jahren die Diktatur unter Pinochet?»
Die Schüler/innen suchten auf dieser Basis Kontakt zu chilenischen/deutschen Zeitzeugen und stellen durch Auswahl der Zeitzeugen das Thema multipers-
pektivisch dar. Die Darstellung selbst erfolgt in Videos, die durch eine Technik-AG in Zusammenarbeit mit der Kerngruppe aufgenommen wird.
Lebensecht durch «augmented reality»
Um die Berichte an die aktuelle, digitalisierte Lebenswelt anzupassen, werden die Videos mit Hilfe von «augmented reality» (Werkzeug: App «HP-Reveal») präsentiert. Insgesamt werden an verschiedenen Orten an der Schule große Bilderrahmen mit Bildern der Zeitzeugen gehängt. Die Besucher der Ausstellung können mit von der Schule bereitgestellten iPads oder mit eigenen Geräten die Bilder durch die Kamera des Geräts betrachten. Die App «HP-Reveal» erkennt die Bilder und startet an deren Stelle den Zeitzeugenbericht in Form des aufgenommenen Videos, die Zeitzeugen werden in der Gegenwart praktisch «zum Leben erweckt». Zu diesem Zweck wurde ein Greenscreen-Studio an der Schule eingerichtet. Am Ende der Ausstellung können die Besucher zukünftig mit Hilfe der App «Flipgrid» in einem 90-sekündigem Video ihre Meinung oder ein allgemeines Feedback in einem digitalen Gästebuch hinterlassen. Das Feedback kann durch einen «Flipcode» weltweit abgegeben werden und alle Videos sind unabhängig vom Ort der Ausstellung verfügbar. Die Technik-AG bewirbt die Ausstellung durch ein Teaser-Video.
Das Produkt wird dauerhafter Bestandteil der Lernumgebung. Die Ausstellung kann komplett und ohne Aufwand digital verbreitet werden, indem die Fotos per Mail an andere Institutionen verschickt werden und sich die Aussteller die App herunterladen.