«Ich bin chilenischer geworden»
Von Stefanie Hornung
Aufgrund glücklicher Zufälle und ihrem Wirtschaftsstudium kam Elena Wipfler von Konstanz nach Santiago an die Cámara Chileno–Alemana de Comercio e Industria (Camchal), wo sie heute die berufliche Zukunft von anderen gestalten möchte.
Eigentlich wollte Elena Wipfler nach dem Abschluss ihres Studiums nur für ein Praktikumshalbjahr nach Chile kommen. Drei Monate in Santiago und drei Monate im Süden waren ab Oktober 2018 geplant. Heute ist sie immer noch in Chile und möchte auch bleiben. «Ursprünglich wollte ich nach dem Praktikum noch ein bisschen durch Südamerika reisen und dann nach Deutschland zurückkehren», erzählt sie. Doch einige Zufälle sorgten dafür, dass sie ihre Pläne änderte. Die frischgebackene Absolventin des Masterstudiengangs Wirtschaftspädagogik an der Universität Konstanz lernte während ihres Praktikums bei Cecinas Llanquihue in Puerto Varas nämlich nicht nur die Herstellung feiner Wurst- und Fleischerzeugnisse, sondern viele Mitarbeiter der Firma kennen, die ihr ein herzliches Willkommen bereiteten. «Ich habe mich sofort wohl gefühlt und wurde eingeladen, sie und ihre Familien besser kennenzulernen. Hier habe ich gemerkt, dass es eine gewisse Verbindung zwischen der chilenischen und deutschen Mentalität gibt», sagt Elena.
Diese Kombination hat es ihr auch im ganz privaten Bereich angetan: Ihren chilenischen Freund lernte die zierliche Frau in Valparaíso auf der Party einer deutschen Freundin kennen. Diese Begegnung sollte ebenfalls eine Rolle für die weiteren Planungen spielen. «Natürlich war das auch mit ausschlaggebend für die Entscheidung, neben dem privaten auch das berufliche Glück in Chile zu suchen», erzählt Elena und zögerte dann auch nicht lange, als sie zufällig von einer bei der Camchal ausgeschriebenen Stelle als Trainee für die Duale Ausbildung erfuhr. Sie bewarb sich, hatte schnell die Einladung zu Vorstellungsgesprächen und fast ebenso schnell die Zusage. Vor dem Antritt der Stelle stand aber noch der notwendige Visumsprozess und eine Reise durch Chile, gemeinsam mit ihren Eltern. Diese standen dem Auswanderungsgedanken der Tochter – ihrem einzigen Kind – gar nicht ablehnend gegenüber, was Elena ein wenig überraschte. «Sie haben mir gesagt, dass sie immer wussten, dass ich mal im Ausland leben würde», erinnert sie sich. «Aber natürlich nicht, dass es so weit weg gehen würde.» Sie hätten eher mit Europa gerechnet, auch, weil Elena schon während ihres Studiums ein Auslandssemester in Spanien verbracht hatte.
Die spanische Sprache bereitete ihr daher keine größeren Probleme. Mittlerweile spricht sie fließend Spanisch mit Freunden wie auch Kollegen bei der Camchal, wo sie seit Mai 2019 arbeitet: «In Abstimmung mit den in Deutschland geltenden Regelungen der dualen Ausbildung und den verantwortlichen Institutionen – das ist für die berufliche Bildung im Wesentlichen der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) – arbeite ich mit Insalco, der bislang einzigen kaufmännischen Berufsschule mit deutscher dualer Ausbildung in Chile, daran, die Qualität dieses Ausbildungsmodells zu verbessern und diese an die notwendigen Anforderungen des DIHK anzupassen.»
Chile wurde vor einiger Zeit in das internationale Förderprojekt «Skills Experts» des Bundesministeriums für Wirtschaft in Deutschland aufgenommen. Ziel des Projektes ist es, Fachkräfte für deutsche Unternehmen im Ausland auszubilden und zu sichern. «In dem Projekt sind zum Bespiel Länder wie Kenia und Indonesien und jetzt auch Chile vertreten. Für Chile heißt das konkret, weitere duale Projekte nach deutschem Vorbild zu initiieren. Darüberhinaus ist es wichtig, die Mitgliedsunternehmen der Camchal mit Rat und Tat zu unterstützen», führt Elena aus. Im Rahmen des Projektes wurde auch ihre neue Stelle als Projektleiterin Duale Ausbildung bei der Camchal geschaffen. «Das Projekt ist für drei Jahre geplant und ich kann das tun, was mir sehr viel Freude macht: Voraussetzungen schaffen und Prozesse entwickeln, damit die duale Ausbildung eine Zukunft in Chile hat.»
Ihre eigene berufliche Zukunft über das Projekt an der Camchal hinaus ist noch offen. Sie könne sich durchaus vorstellen, doch noch in den Lehrerberuf einzusteigen. Mit ihren gerade einmal 27 Jahren bleibt für etwaige Planänderungen auch noch viel Zeit. Außerdem sei sie «chilenischer» geworden, wie sie lachend sagt. «Ich lasse mich heute gern mal auf den Kopf stellen und bin spontaner geworden.» Chile habe außerdem viel zu bieten, betont Elena, die in ihrer Freizeit gern wandert und Fahrrad fährt. Das einzige Hobby, das die aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Ulm stammende Schwäbin bislang nicht in Chile ausübe, sei das Musizieren: «In Deutschland habe ich in meinem Dorf im Musikverein Trompete geblasen. Und da ja anfänglich nur ein Praktikum in Chile geplant war, habe ich mein Instrument natürlich dort gelassen.» Vielleicht bringt ihr ja ein glücklicher Zufall eine Trompete nach Chile, wenn das Reisen wieder möglich ist.