Von Frank Müller
Für die Leser des Cóndor hat der Autor Frank Müller eine Zusammenfassung seines Buches «Die legendäre Flucht des Dampfers Erlangen – Ein Mythos» geschrieben. Im ersten Teil (Cóndor vom 13. März) wird die Mannschaft des deutschen Dampfers aus Dunedin in Australien vom Krieg überrascht. Der Kapitän beschließt Kurs Richtung Auckland Islands zu nehmen – später wird es nach Chile weitergehen.
Grams ließ den Dampfer um die Musgrove Halbinsel drehen, nun von westlichen auf nördlichen Kurs, auf Circular Head zu, noch tiefer in die Fjordlandschaft hinein. In der Dämmerung des 30. August 1939 erreichten sie das Ende der Bucht, vor ihnen der Mount Easton und achteraus der Mount Dick. In 13 Meter Wassertiefe und gutem Ankergrund ließ Grams die Anker fallen. In das Logbuch trägt er die Position ein: 50° 46′ Süd — 166° 6′ Ost.
In seinem Tagebuch vermerkt Alfred Grams später: «… An Bord herrschte Zuversicht. Hier sollte man uns erst einmal finden. Niemand ahnte, dass uns ein 38 tägiger Aufenthalt bei schwerster Arbeit bevorstand, und dass wir anschließend eine fast 5.000 Seemeilen lange Abenteuerreise zu unternehmen hatten, die uns das Letzte abverlangen würde…»
Jagd auf Wildgänse
Als die Mannschaft am nächsten Morgen auf Landerkundung gehen soll, gibt es unter den Chinesen plötzlich helle Aufregung. Sie befürchten auf der Insel wilde Tiere und geben erst nach, als die Offiziere sie bewaffnet begleiten.
Die Ergebnisse des ersten Tages in der Bucht stimmen relativ optimistisch: Die «Landexpedition» berichtet vom zwar steinigen, aber festen Ufer, von kleinen und verkrüppelten Bäumen, aber auch von der Unzahl von Wildgänsen und einer reichen Ausbeute an Miesmuscheln. Außerdem war reichlich Trinkwasser zu finden, so dass es offensichtlich insgesamt keine Sorgen in der Kombüse geben würde. Der leitende Ingenieur konnte in kurzer Zeit auch den Heizwert des Holzes bestimmen, so würden drei Tonnen Holz einer Tonne Kohle entsprechen, ein recht gutes Ergebnis. Die verbliebene Mannschaft an Bord hatte alles Notwendige zur Selbstzerstörung des Schiffes installiert, eine weniger optimistisch stimmende Arbeit.
Am nächsten Tag wurde sofort mit dem Fällen der Bäume begonnen, wobei man aber schon nach kurzer Zeit an die Grenzen der aktuellen Möglichkeiten gestoßen war. Das Holz war zu hart für die Äxte und die vorhandenen kleinen Zimmermannssägen, zu verkrüppelt zum Spalten und derartig schwer, dass zum Transport, selbst kurzer Stämme mindestens vier Mann benötigt wurden. Auch hatten die Wildgänse offensichtlich aus dem Schicksal ihrer Artgenossen am Vortag schnell gelernt. Die anfängliche Zutraulichkeit war verflogen und auch mit gezielten Schüssen war keine Wirkung durch das dichte Gefieder zu erzielen, hier wurden Jagdglück und allerlei Tricks gefordert.
Am Ende dieses Tages waren drei Tonnen Holz gebunkert und zum Abendessen gab es delikat gebackenen Miesmuscheln und die zwar etwas tranig, aber immerhin nach Fleisch schmeckenden Wildgänse.
Erfinderisch beim Holztransport
Es wurde beschlossen, dass täglich am Abend der Schiffsrat tagt, denn die Anzahl der zu lösenden Probleme schien endlos zu sein. Zu dem ohnehin schwierigen Transport des verkrüppelten Holzes (die zwei kleinen Rettungsboote waren zu einem Floß zusammengebunden und wurden ebenso wie die beiden großen Boote zum Schiff gerudert) machten die unterschiedlichen Uferbedingungen bei den verschiedenen Tidenhuben das Beladen sehr kraft- und zeitaufwendig. Das Gewicht des an Bord gebrachten Holzes wurde mit Hilfe einer Balkenwaage erfasst, später aber relativ genau auf Grund der Größe der Hieve geschätzt.
Um Brennstoff zu sparen wurde die Lichtmaschine außer Betrieb genommen, damit fiel allerdings auch der Kühlraum aus, alle Fleischvorräte wurden eingesalzen. Als Ersatz für das Werkzeug an Land entwickelte der Leitende Ingenieur Schrotsägen aus Windenabdeckungen, die auch brauchbar genug waren. Etwas länger wurde um die Entscheidung gerungen, die Dampfwinde für das Einholen des Holzes im Betrieb zu lassen, was zwar wiederum den täglichen Brennstoffbedarf belasten würde, aber andererseits Arbeitskräfte für die Arbeit im Wald freisetzte.
Um die Beschädigungen an den Booten beim Anlanden und Beladen an dem steinigen Ufer zu reduzieren oder ganz zu vermeiden, wurden Pieranlagen gebaut, die die Chinesen zur besseren Orientierung mit Pier-Number «one» bis «five» bezeichneten.
Die Erlangen musste an Land
Durch alle festgelegten Maßnahmen aus den täglichen Besprechungen wurde die tägliche Menge Holz auf zehn Tonnen gesteigert. Bei drei Tonnen Holzbedarf für den täglichen Verbrauch landeten immerhin sieben Tonnen in den Bunkern!
Das Glücksgefühl über die Erfolge reichte genau bis zum 10. September. England, und damit auch Neuseeland hatten Deutschland den Krieg erklärt. Allen an Bord war klar, dass das weitere Abwarten in den Auckland Islands aussichtslos geworden war und allen war auch klar, dass sich der nächste neutrale Hafen in Chile befindet, 4.800 Seemeilen entfernt. An diesem 10. September wurde dem Schiffsrat das erschütternde Ergebnis aus der Brennstoffberechnung für die Überfahrt nach Chile vorgelegt: Sie würden zusätzlich zu den verbliebenen 155 Tonnen Kohle weitere 400 Tonnen Holz benötigen. Diese Zahl stand im krassen Gegensatz zu der Tatsache, dass ihr Proviant vor der Zeit, die sie für das Schlagen des nun notwendigen Holzes brauchen würden, aufgebraucht wäre.
In die Dunkelheit der spärlichen Petroleumlampenbeleuchtung präzisierte der Leitende Ingenieur noch, dass sie angesichts des Proviantvorrates noch genau 25 Tage Zeit hätten, in denen sie täglich 20 Tonnen Holz an Bord bringen müssten. Es erübrigte sich zu ergänzen, dass dies so ziemlich genau die doppelte Menge der momentanen täglichen Anstrengungen war…
Nun war Kapitän Grams gefordert über seinen seemännischen Schatten zu springen. Allein schon aus der Tatsache heraus, das mit dem zunehmenden Abholzen des Waldes am Ufer die Wege zum Schiff immer länger und beschwerlicher geworden waren, ließ sich die Ausbeute an Holz nur durch eine entscheidende Transportwegverkürzung realisieren: Das Schiff musste auf Land gesetzt werden – eine für einen Seemann ungeheuerliche Vorstellung!
Es gab allerdings eine weitere Idee, die den Kapitän wieder begeisterte: Das Schiff unter Verwendung seiner Masten und Ladebäume segelfähig zu machen, um somit einen Teil der Strecke bei günstigen Windverhältnissen unter Segel zurückzulegen.
Fortsetzung folgt.