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Versailler Vertrag trat vor 100 Jahren in Kraft

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Demütigung aus Prinzip

Vor 100 Jahren, am 10. Januar 1920, trat der Versailler Vertrag in Kraft. Der Kriegsverlierer Deutschland lehnte diesen ab, ein neues Nationalgefühl entstand und mündete schließlich im Zweiten Weltkrieg.

Von Peter Downes

Es sind nicht so sehr die Reparationskosten und der Diktatfrieden vom Juni 1919, der diesen Friedensvertrag kennzeichnet, sondern der Faktor der öffentlichen internationalen Demütigung.

Versailles – ein symbolischer Ort

An den Verhandlungen über den Vertrag im Schloss Ver-sailles war Deutschland nicht beteiligt. Das Schloss repräsentiert seit Ludwig XIV. (1638-1715) das Symbol der Macht Frankreichs; war ein Ort des Glanzes der absolutistischen Monarchie. Im Spiegelsaal von Versailles wurde 1871 Wilhelm I. zum Kaiser der Deutschen Reiches ausgerufen, nachdem Frankreich den Krieg verloren hatte. Es war ein symbolhaltiger Akt am symbolträchtigen Ort.

Anders nun aber am 28. Juni 1919, als genau am selben Ort, Deutschland den Friedensvertrag unterschreiben musste und die Siegermächte des Ersten Weltkrieges dem Verlierer die Schuldfrage besonders vor Augen führten. Vor etwa tausend versammelten Gästen im Saal wurden auch fünf Kriegsversehrte so platziert, um den anwesenden Deutschen ihr «barbarisches Greul» vorzuhalten. Der Reichsaußenminister Hermann Müller und der Verkehrsminister Johannes Bell betraten an jenem Samstagnachmittag den Spiegelsaal, schauten totenbleich zur Decke und unterschrieben dann mit ihren eigens mitgebrachten Füllfederhaltern den vorgelegten Vertrag, gegen den sie sich bis zur letzten Minute gewehrt hatten. Versailles hatte sich als ein dunkler Schatten auf die deutsche Geschichte gelegt, der nachhaltig die Zukunft der Staaten prägen sollte.

Kriegsschuld

Etwa 20 Millionen Menschen starben während des Ersten Weltkriegs, dazu kamen eine Unzahl von Invaliden, teils mit entsetzlichen Verstümmelungen in Gesicht und am Kopf – insgesamt 19 Millionen, davon 4,2 Millionen Deutsche – und dann das Trauma der heimkehrenden Soldaten. Frankreich hatte unter den Grabenkämpfen am meisten gelitten, was auch die verhärtete Haltung von Frankreichs Regierungschef Georges Clemenceau bei den Friedensverhandlungen erklärt.

In Flandern und Nordfrankreich, vor allem an der Somme und um Verdun, hatte der Krieg eine Schlammwüste hinterlassen, riesige landwirtschaftliche Flächen und Waldgebiete waren verödet; 250.000 Häuser lagen in Trümmern. Zudem hatte der Krieg Unsummen für Waffen verschlungen. Alle Beteiligten am Krieg waren verschuldet und daher waren beide Seiten auf einen Sieg ausgerichtet und ließen sich nicht auf Friedensverhandlungen ein. Die Alliierten setzten auf ihre numerische und ökonomische Überlegenheit, vor allem seit dem Eintritt der USA in den Krieg, am 6. April 1917. Die Schwächung Russlands durch die Oktoberrevolution und den am 15. Dezember erfolgten Waffenstillstand machte wiederum den deutschen Generälen Hoffnung auf einen baldigen Sieg auch im Westen. So ließen Erich Ludendorff und Paul von Hindenburg die Truppen aus dem Osten verlegen und planten eine kriegsentscheidende Westoffensive. Diese Lageveränderung wurde jedoch strategisch nicht sinnvoll durchdacht, so dass der Grabenkrieg sich in Frankreich noch ein Jahr fortzog. Die mangelnde Bereitschaft, das Kriegsende mit Friedensverhandlungen zu beschleunigen, führte zu weiteren großen Menschenverlusten in den letzten Kriegsjahren.

Drastische Sanktionen

Als dann Deutschland am 11. November 1918 den Waffenstillstand von Compiègne mit Frankreich und Großbritannien schloss, waren die Kriegshandlungen endlich beendet; das formale Ende war dann aber der Friedensvertrag in Versailles im Juni 1919 beziehungsweise dessen Inkraftsetzung am 10. Januar 1920. Frankreich, Großbritannien und die USA bestimmten die 440 Artikel des Vertrages. Während US-Präsident Woodrow Wilson (1913-1921) an einem «ewigen Frieden» arbeitete, indem er die Welt in einem Völkerbund – der vor 100 Jahren, auch am 10. Januar 1920 seine Arbeit aufnahm – vereinen wollte. Deutschland war zunächst ausgeschlossen und trat erst 1926 bei. Frankreich und Großbritannien sprachen sich für hohe Reparationszahlungen und drastische Sanktionen gegen den Schuldigen an diesem «ersten totalen Krieg» aus. Sie mussten schließlich auch den Opfern und Wählern in ihren Ländern mit harten und vernichtenden Maßnahmen gegen Deutschland Rechnung tragen.

Diese Maßnahmen erschienen aber den Deutschen als so «unerträglich», dass der Reichsministerpräsident Philipp Scheidemann am 12. Mai 1919 zurücktrat, um den Vertrag nicht unterschreiben zu müssen. Vor allem der «Kriegsschuldartikel» 123 wurde mit Entsetzen aufgenommen. Scheidemann klagte daher: «Welche Hand müsste nicht verdorren, die sich und uns in diese Fesseln legt?». Der Vertrag bestimmte eine Abtretung aller deutschen Kolonien (in Afrika und Asien), zudem die Trennung Ostpreußens durch den polnischen Korridor, die Abtretung des Rheinlandes, insgesamt eine Verkleinerung des Territoriums um ein Siebtel, was zugleich einem Bevölkerungsverlust von etwa zehn Prozent bedeutete. Wirtschaftlich wurden Reparationskosten auf 30 Jahre bestimmt, die ein Drittel der Kohle- und drei Viertel der Erzvorkommen umfassten, zudem musste ein großer Teil der Handelsflotte übergeben werden.

Militärisch sollte Deutschland dauerhaft geschwächt werden: In der Weimarer Republik war die Wehrpflicht verboten und eine Einschränkung des Berufsheers auf 100.000 Mann verordnet worden.

Befriedung statt Rache

Mit der Inkraftsetzung des Friedensvertrages am 10. Januar 1920, begannen die Strafmaßnahmen spürbar zu werden. Statt eines politischen und wirtschaftlichen Neustarts erfolgten wachsende Arbeitslosigkeit und steigende Inflation, die zum Verlust von großen Summen an Privatvermögen führte. Dann folgte noch 1923 bis 1925 die Besetzung des Ruhrgebiets durch Belgier und Franzosen, die eine weitere wirtschaftliche Schwächung erzeugte und keinesfalls der jungen Demokratie förderlich war, sondern im deutschen Volk das Gefühl der Demütigung noch zu verstärken verstand.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte man gelernt, dass ein Friedensvertrag zwar sanktionieren, aber ebenso Befriedung und nicht Rache oder Demütigung zum Ziel haben sollte. Es geht nicht darum, ein Volk kollektiv zu bestrafen, sondern die Verantwortlichen für den Krieg und dessen Greul zur Verantwortung zu ziehen wie man es dann in den Nürnberger Prozessen (1945-1949) und in späteren Einzelprozessen tat.

Der Umgang mit Verlierern (hier Kriegsverlieren) und Unterlegenen – etwa bei Wahlen mit Parteien der Opposition oder in anderen Wettkämpfen – muss auf Versöhnung und zukünftige Kollaboration zum Wohle der Gemeinschaft ausgerichtet sein. Demütigungen und Erniedrigungen führen eher zu einem Klima von Hass und die Sehnsucht nach Rache oder Wiedererlangung der Ehre bilden damit einen Nährboden von neuen Konflikten, die am Ende wieder in Katastrophen münden können. Heute gilt es daher Eskalationen zu vermeiden und statt Ehrgefühle und persönliche Interessen oder auch nationale Emotionen zu beleben, sich um das allgemeine Landeswohl und Maßnahmen eines friedlichen Miteinanders zu bemühen. Ein Frieden ist immer mühsam und zielt auf Versöhnung (nicht auf Demütigung!), während ein Krieg schnell vom Zaum gebrochen werden kann und immer eine Katastrophe darstellt..

Leseempfehlungen:

Eberhard Kolb, Der Frieden von Versailles, 3. Aufl. München: Beck 1919.

Gerd Krumeich, Die unbewältigte Niederlage: Das Trauma des Ersten Weltkriegs und die Weimarer Republik, Freiburg: Herder, 1918.

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