Es gab Zeiten, da freuten sich die Kinder darüber, wenn ihnen die Oma vor dem Schlafengehen noch ein Märchen erzählte. Oft war es darin sogar der Kleinste, der das Glück hatte, die Königstochter zu heiraten. Und angeblich lebten sie dann glücklich bis an das Ende ihrer Tage. Doch warum wünschen wir uns alle so sehr, glücklich zu sein?
Ein Essay von Alois Schmidt
Politiker werden nicht müde, den Menschen bei Wahlen zu erklären, dass es ihnen noch nie so gut gegangen sei wie heute. Sie hätten Arbeit und verdienten genug, um sich etwas leisten zu können. Geld allein mache sowieso nicht glücklich, heißt es. Und man fügt hinzu: aber es beruhigt! Doch wie kommt es dann, dass die Parteien, welche dem Unternehmer den Wohlstand und dem Facharbeiter den Sprung aus der niedrigeren in eine höhere Tarifklasse erkämpft haben, nicht mehr gewählt werden? Dass man in einer Demokratie leben kann, wird allerdings als Glücksfall betrachtet.
Glück ist nach Ansicht von Wissenschaftlern ein subjektives Gefühl. Es entspringt einem unmittelbaren oder auch langfristigen Wohlbefinden. Aber Vorsicht! Die materiellen Faktoren, die gerade aufgezählt wurden, können auch schnell zur Routine werden.
Allerdings steht das soziale Netz, welches die Familie bietet, sehr hoch im Kurs. Im Idealfall kümmern sich Eltern um ihre Kinder und diese versorgen dann Opa und Oma im Alter. Aber wir erleben im Augenblick, wie immer öfter lockere Partnerschaften der Familie vorgezogen werden. Sollte das Band der Familie endgültig reißen, wird die Welt für den Einzelnen einsamer.
Glück empfinden Menschen, wenn von ihnen gehegte Erwartungen in Erfüllung gehen. Massenmedien und Werbung sorgen dafür, dass es an Wünschen nicht mangelt. Leider werden dann aber nicht mehr Nachbarn oder Arbeitskollegen zum Vergleich herangezogen, denn mit denen könnte man sich schon messen, sondern Topmodels, Spitzensportler und Filmstars. Die Unzufriedenheit der Menschen entsteht, weil sie ihre Lebensumstände mit jenen von Menschen in USA oder Europa vergleichen. Wohin das führen kann, haben wir gerade in Chile erlebt.
Nach Ansicht von Biologen hängt unser subjektives Wohlbefinden nicht so sehr vom Einkommen oder von sozialen Beziehungen ab, sondern von unserem Nervensystem und den damit in Verbindung stehenden Botenstoffen wie Serotonin, Dopamin oder Oxitocin. Der Körper fährt aber je nach Umständen erhöhte Gaben bald wieder auf ein niedrigeres aber konstantes Niveau zurück. Doch nicht alle Wissenschaftler sind der Ansicht, dass Glück allein eine Funktion unserer Biochemie ist. Glück sei mehr als ein angenehmes Gefühl.
Poeten, Philosophen und Priester sollen auch zu Wort kommen. Sie meinen, dass sich ein Glücksgefühl einstellt, wenn wir die Überzeugung haben können, dass unser Leben im Ganzen als sinnvoll und lohnend angesehen werden kann. Dies hänge mit der Anerkennung objektiver Maßstäbe für das Gute, Schöne und Wahre zusammen. Da heute die Ansichten des liberalen Humanismus vorherrschen, wird meistens angenommen, dass solche Werte allein vom subjektiven Empfinden eines jeden Menschen abhängen.
Wie keine andere Religion hat sich der Buddhismus eingehend mit dem Wesen und der Ursache des menschlichen Glücks beschäftigt. Budda meint, dass die Jagd nach beliebigen subjektiven Empfindungen die Ursache des Leids ist. Verwirrung und Unzufriedenheit seien die Folge. Christen können sich mit ihren Sorgen und Nöten im Gebet an den Herrn wenden, um Trost und Zuversicht zu erlangen. Selbst wenn im Alter Krankheit und Leid zunehmen oder gar die letzte Stunde naht, dürfen sie auf kommende Glückseligkeit hoffen.
Unsere Wissenschaft beschäftigt sich erst seit wenigen Jahren mit der Erforschung der angeführten Fragen. Seien wir gespannt auf die Ergebnisse! Oder haben wir selbst schon eine Wahl getroffen?