Schüler zu Weltbürgern ausbilden
Seit acht Monaten ist die neue Schulleiterin Andrea Moreno im Amt. Welche Herausforderungen und neue Projekte anstehen, verrät sie dem Cóndor.
Seit Februar fährt sie wochentags die knapp 30 Kilometer von ihrem Wohnsitz Las Condes nach Chicureo und zurück. Vorher war der Arbeitsweg deutlich kürzer: Andrea Moreno war sieben Jahre lang Leiterin der Grundschule der Deutschen Schule in Vitacura, quasi ums Eck von Zuhause. Dass sie sich dazu entschloss, die bequeme Nähe gegen den in den Kordilleren gelegenen Ort zu tauschen, liegt unter anderem daran, dass ihr die deutsche Sprache so wichtig ist.
«Sprache ist erst dann lebendig, wenn man sie spricht! In Chicureo ist da noch viel zu tun. Wir sind gerade dabei, die deutsche Sprache viel mehr in den Alltag unserer Schüler zu integrieren. In der Zukunft stehen hier viele Veränderungen an, für die wir die deutsche Sprache stärken müssen», erklärt sie. Dass sich Andrea Moreno fast akzentfrei mit ihren Schülern unterhalten kann, wurde ihr trotz familiärer «deutscher Vorbelastung» nicht in die Wiege gelegt. Sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits sind zwar deutsche Vorfahren vorhanden, aber zuhause wurde Spanisch gesprochen. Die deutsche Sprache lernten sie und ihre drei Schwestern erst in der Deutschen Schule Santiago.
Ausschlaggebend für ihre Berufswahl war dann auch ein Deutschlehrer, der sehr innovativ unterrichtete. Offenbar mit nachhaltiger Wirkung: «Meine älteste Schwester hat ebenfalls ein Lehrerstudium absolviert und 25 Jahre lang an der Sankt Thomas Morus Schule gearbeitet. Die anderen beiden haben sich dann zwar für einen anderen Beruf entschieden, aber wir haben alle die Liebe zur deutschen Sprache und deutschen Kultur beibehalten. Wir pflegen dies auch mit unseren Kindern, die alle die Deutsche Schule besucht haben.»
Dass weder ihre Tochter Javiera (27) noch die drei Jahre jüngere Sofia Lehrerinnen wurden, liegt sicherlich nicht an den fehlenden Vorbildern: Auch Andreas Mann unterrichtet an der Deutschen Schule und im Club Manquehue Sport. «Sofia hat gerade ihren Abschluss als Zahnmedizinerin gemacht und Javiera ist Ernährungsberaterin in Osorno», erzählt Andrea Moreno stolz von ihren Töchtern.
Ihr eigenes Studium als Grundschullehrerin war fächerübergreifend angelegt und bezog auch die technischen Fächer, wie Mathematik und Naturwissenschaften, mit ein. Fächer, die in der eigenen Schullaufbahn nicht ihre liebsten waren: «Ich fand sie schwierig, mochte Deutsch und Sport am liebsten!» Dennoch wurde sie später Fachleiterin an der Grundschule in Vitacura für eben jene Unterrichtsinhalte und mit dem Anspruch, Naturwissenschaften auf eine moderne Art zu unterrichten. Dass dazu später als Leiterin der Unidad Técnico-Pedagógica auch die organisatorische Verantwortung für Lehrpläne und Qualitätsmanagement hinzukam, bereitete sie auf die erste Reihe in der Führungsriege vor.
Als dann im vergangenen Jahr der Direktorenposten in Chicureo vakant wurde, ergriff Andrea Moreno die Chance – auch, wenn sie dafür ihre Unterrichtsverpflichtung vorerst aufgeben musste. Denn an der Deutschen Schule Chicureo wird fächerübergreifend gelehrt. «Das war anfangs meine größte Herausforderung. Ich musste mich mit einem anderen Lehrsystem, einer anderen Vision von Schule und Unterricht auseinandersetzen. Das sogenannte IB-System orientiert sich stärker an den Schülern. Es gibt vorgegebene Themen und alle Fächer müssen sich an diesen orientieren und damit verknüpft werden. Es ist ein modernes Lehr- und Lernkonzept.» An der deutschen Schule Santiago werde es zwar ebenfalls angewendet, aber zusätzlich mit Fachunterricht in Mathematik, Deutsch und Naturkunde. Weitere Schulen in Chile haben sich diesem in der Schweiz entwickelten Lehrkonzept angeschlossen, darunter Osorno, Puerto Montt und Puerto Varas. Wichtig ist ihr vor allem: «Es ist für die Kinder viel motivierender, auf diese Art und Weise zu lernen und zu arbeiten.»
Motivation braucht die Mittfünfzigerin ebenfalls, wenn es um die Herausforderungen und Projekte der schulischen Zukunft geht: Die noch relativ junge Schule – gegründet 2013 – wächst organisch mit ihren Jahrgängen mit und soll 2025 Unterricht bis zur 12. Klasse anbieten können. Ein Um- und Neubau samt moderner Labore für Naturwissenschaften steht an. Dessen Grundsteinlegung fiel bereits in ihre Amtszeit. Die Akquise und Bindung von hochqualifizierten Lehrern ist ebenfalls eine Herausforderung, zumal nicht jeder den längeren Arbeitsweg von Santiago aus in Kauf nehmen möchte. Aber Andrea Moreno hat das langfristige Ergebnis vor Augen: «Was sollen unsere Schüler erreicht haben, wenn sie die 12. Klasse abgeschlossen haben? Welche Standards wollen wir setzen, vor allem als trilinguale Schule? Schließlich bilden wir Weltbürger aus. Diese Vision soll während der ganzen Schullaufbahn gelten. Wir wollen die beste Schule in Chicureo werden und das ist eine tolle Herausforderung!».