Interview mit Dražen Maloča
Im Mai diesen Jahres kündigte Präsident Piñera für die kommenden Jahre hohe Investionen in Infrastruktur, Logistik und Verkehr an. Auch Österreich ist bereits an vielen Großprojekten in Chile beteiligt. Der Cóndor hat Dražen Maloča, Direktor von Advantage Austria, der österreichischen Wirtschaftsdelegation in Santiago, zu den aktuellen und zukünftigen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Chile und dem Alpenland befragt.
Condór: Herr Maloča, Sie sind seit 2018 Direktor von Advantage Austria. Wie hat sich die Wirtschaftsbeziehung zwischen Chile und Österreich in den letzten Jahren gestaltet? Kann man schon etwas für die Zukunft absehen?
Die
chilenische Wirtschaft hat sich in den vergangenen zehn Jahren sehr
professionalisiert. Das Engagement Österreichs in Chile würde ich allgemein
eine Erfolgsgeschichte nennen. Die Exporte aus meiner Heimat nach Chile sind
vergangenes Jahr um satte 8,8 Prozent gestiegen und haben sich innerhalb von
zehn Jahren verdreifacht. Insgesamt exportierte Österreich Waren im Wert
von 150 Milliarden Euro in die ganze Welt. Das ist mehr als Chile, Argentinien
und Peru gemeinsam im Jahr 2018 exportierten. Der Großteil sind
Maschinenbauprodukte. Nach Chile gingen fast 200 Millionen Euro. Das ist ein Spitzenwert
bei den österreichischen Exporten nach Chile. Nach Brasilien bleibt Chile
zweitwichtigster Handels-
partner in Südamerika.
Welche Güter und Produkte liefern sich die Länder gegenseitig?
Österreich ist ja ein rohstoffarmes Land, ganz im Gegenteil zu Chile, das mit seinen natürlichen Kupfer-, Litium- und Molybdänvorkommen bevorteilt ist. Diese Rohstoffe sind es auch neben der Zellulose aus der Holzwirtschaft , die nach Europa und eben auch nach Österreich exportiert werden. Österreich selbst hat ein breites Spektrum an Exportleistungen. Neben Hochtechnologie seien hier auch Halb- und Fertigwaren ebenso wie Servicleistungen genannt.
Wie viele österreichische Unternehmen bzw. Niederlassungen sind in Chile? Wie hat sich diese Zahl über die Jahre verändert?
Die Entwicklung im Hochtechnologie-Sektor ist für Österreichs Firmen immens wichtig. Hier haben sich etliche Firmen in Chile etabliert. Der größte Baukonzern Österreichs Strabag und das Familienunternehmen Doppelmayr sind nur zwei von mehr als 470 Unternehmen, die im chilenischen Markt agieren. Wir als Exportförderungs- und Innovationagentur stehen insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen beratend zur Seite, wenn es darum geht, hier Fuß zu fassen oder Investitionen zu tätigen.
Welche Großprojekte stehen derzeit an oder sind in Planung?
Wer von Santiago nach Valparaíso unterwegs ist, hat vielleicht schon das elektronische Maut-System «Free Flow» genutzt. Die Firma Kopsch ist Betreiber eines Großteils der Anlagen. Ein anderes Beispiel ist die Seilbahnverbindung zwischen der Metro Tobalaba und der Ciudad Empresarial. Hier konnte die Firma Doppelmayr mit langjährigen Erfahrungen mit Seilbahnsystemen in La Paz in Bolivien punkten. An diesem Großprojekt ist Doppelmayer mit einem Investitionsvolumen von 80 Millionen US-Dollar beteiligt. Man kann also dann ab 2022 mit dem «Teleférico Bicentenario» von einem Plateau über dem Río Mapocho einsteigen und über der Stadt in Richtung Huechuraba starten.
Die Erfahrungen unserer Unternehmen mit den natürlichen Gegebenheiten der Alpen kommen auch hier in Chile zum Tragen. Den Bauauftrag für einen Großteil der Tunnel- und Ingenieurbauarbeiten des 531 Megawatt-Wasserkraftwerks Alto Maipo hat sich der Strabag-Konzern sichern können. Insgesamt beträgt das Auftragsvolumen rund 1,6 Milliarden US-Dollar. Tunnels von 73 Kilometern Länge werden gebaut. Durch die Übernahme des Auftrags werden über 4.000 Arbeitsplätze gesichert.
Ein weiterer Name, den ich nennen möchte, ist die Firma Andritz. Der seit 2004 auch in Chile aktive Maschinenbauer ist in allen Technologiesparten vertreten. Ein Großauftrag war zum Beispiel die Lieferung von drei Rauchgasreinigungsanlagen, vier Entsalzungsanlagen und einer katalytischen Entstickungsanlage im Kohlekraftwerk Guacolda in Huasco.
Das sind ja große Namen, die weltweit agieren. Sie haben die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen angesprochen. Können Sie uns auch hier Namen nennen?
Es gibt gerade im Bereich der Zukunftstechnologien einige neue Akteure. Wenn wir uns beispielsweise das Thema Umweltschutz und Nachhaltigkeit ansehen, sind hier besonders kleine, innovative Firmen aktiv. Dort werden Ideen entwickelt, die kreative Köpfe brauchen. Im Süden Chiles hat das mittelständische Familienunternehmen Bauer eine Beregnungsanlage auf die dortigen Bedingungen maßgeschneidert. Diese kann auch kargen Böden höhere Erträge abtrotzen. Deren Firmen-Motto «Wir machen die Erde fruchtbar» wird in Patagonien in der Nähe von Primavera auf rund 50 Hektar Schafsweiden umgesetzt.
Aber nicht nur in der Landwirtschaft ist ein Umdenken auf mehr Nachhaltigkeit gefragt. Österreich nimmt eine wichtige Vorreiterrolle im Bereich des sogenannen «Green Building» ein.
«Green Building“» – was genau ist das?
Energieeffizientes Bauen ist in Chile noch nicht so verbreitet wie in Europa. Green Building ist das Gesamtpaket aller Maßnahmen, die ein Gebäude so umweltverträglich wie mögilch machen. Das kann bei einer Solaranlage auf dem Dach anfangen, einer besseren Isolierung und intelligenten Klimasteuerungssystemen. Oder aber in groß gedacht, wie der Bau einer Müllverbrennungsanlage im 9. Wiener Bezirk innerhalb des Stadtzentrums.
Eine Müllverbrennungsanlage im Stadtzentrum klingt erst einmal sehr überraschend…
Ja, das hört sich zuerst erschreckend an. Aber mit einer entsprechend konsequenten Mülltrennung privater Haushalte, sinnvollem Recycling von Rohstoffen und einer modernen Technologie ist das keine Belastung der Bevölkerung, sondern eine Energiequelle und Fernwärme zum Heizen im Winter. Die Müllverbrennungsanlage Spittelau ist überdies ein architektonisches Highlight, weil sie vom Künstler Friedensreich Hundertwasser geschaffen wurde.
Was müsste in Chile passieren, damit nachhaltiger gebaut wird und der Umweltschutz stärker im Vordergrund steht?
Wenn nicht in Chile, wo dann! Chile hat schon angefangen umzudenken. In der Schaffung und Umsetzung von gesetzlichen Rahmenbedingungen zum Thema Nachhaltigkeit und Umweltschutz hat sich hierzulande in den vergangenen Jahren viel getan. Unsere Aufgabe bei Advantage Austria ist es natürlich auch, Verständnis dafür zu wecken, dass österreichische Unternehmen aus diesen Technologiebereichen dabei unterstützen können.
Die Anzahl an österreichstämmigen Chilenen ist mit circa 4.000 Menschen im Vergleich zur deutschstämmigen Gemeinschaft deutlich kleiner. Wie sehen Sie den Einfluss von österreichischen Einwanderen auf die Ansiedlung von Firmen aus dem ehemaligen Vaterland?
Diesen Einfluss sehe ich eher gering. Wichtiger ist tatsächlich die deutschsprachige Community, die sich ja aus Schweizern, Österreichern und Deutschen zusammensetzt und mit vielen Vereinen und Clubs das Gemeinschaftsgefühl gibt. Hier lassen sich leicht Kontakte knüpfen. Man hat oft die gleiche Wellenlänge und ähnliche Mentalitäten. Für österreichische Unternehmen ist die große Gemeinschaft der Deutschsprachigen ein Vorteil und ein gutes Argument für eine Ansiedlung in Chile..
Vielen Dank, Herr Maloča. Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Die Fragen stellte Stefanie Hornung.