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Eine deutsch-deutsche Völkerwanderung

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Seit der Wiedervereinigung fanden 4,8 Millionen Umzüge zwischen Ost und West statt

Umzüge Ost nach West: Bis 2035 wird die Einwohnerzahl in Deutschland laut einer Prognose auf 83,1 Millionen steigen. Allerdings wächst die Bevölkerung nicht überall. Ballungsräume wie Berlin und Hamburg werden in den kommenden Jahren spürbar Einwohner hinzugewinnen. In sieben der 16 Bundesländer wird die Einwohnerzahl aber schrumpfen. Besonders betroffen ist der Osten der Republik.

Bis 2035 wird die Einwohnerzahl in Deutschland laut einer Prognose auf 83,1 Millionen steigen. Allerdings wächst die Bevölkerung nicht überall. Ballungsräume wie Berlin und Hamburg werden in den kommenden Jahren spürbar Einwohner hinzugewinnen. In sieben der 16 Bundesländer wird die Einwohnerzahl aber schrumpfen. Besonders betroffen ist der Osten der Republik.

Jahrzehntelang trennte eine unüberwindliche Grenze die Deutschen. Als die Mauer fiel, setzte eine Binnenwanderung ein, die bis heute anhält.

Von Arne Dettmann

Im Zuge der friedlichen Revolution in der DDR und der Wiedervereinigung brachen im Osten Industrien ein, marode Betriebe wurden geschlossen, Arbeitsplätze gingen massenweise verloren. Vor allem junge, gut ausgebildete Menschen entschlossen sich zum Umzug in den Westen, wo Arbeitskräfte fehlten. Insgesamt 4,8 Millionen Umzüge fanden zwischen 1989 und 2017 vom Osten in die alten Bundesländer statt.

Im Gegenzug gab es aber auch in den vergangenen drei Jahrzehnten Menschen, die es vom Westen weg in die neuen Bundesländer und nach Ostberlin zog: 2,9 Millionen Umzüge wurden in die Gegenrichtung verbucht. Insgesamt wickelte sich damit eine deutsche Binnenwanderung mit fast acht Millionen Umzügen ab – eine deutsch-deutsche Völkerwanderung, die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund von Stacheldraht und Mauer unmöglich war.

Wanderungsverlierer bleiben die ostdeutschen Flächenländer

Wie die Daten des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung zeigen, hat sich der Trend der Umzüge von Ost nach West 2017 erstmals umgekehrt, wenn auch nur zaghaft. In jenem Jahr sind 93.415 Menschen von West- nach Ostdeutschland gezogen, aber nur 89.418 von Ost- nach Westdeutschland. Dennoch bleibt festzuhalten, dass zu den Wanderungsverlierern nach wie vor die ostdeutschen Flächenländer zählen. Vor allem hier hat es junge Erwachsene im Alter zwischen 18 und 25 Jahren nach Westen gezogen – zurück bleiben die anderen Altersgruppen. Überalterung des Ostens bei gleichzeitig wirtschaftlicher Schwäche ist ein Grundproblem in diesem Teil des Landes.

Hinter diesen Zahlen stehen aber natürlich Individuen. Praktisch jeder Mensch in Ostdeutschland kennt jemanden aus der eigenen Verwandtschaft und dem Freundeskreis, der wegging. Und im Westen dürfte jeder mit den neu Zugezogenen irgendwann in Kontakt gekommen sein – als Nachbar, Kollege oder im Supermarkt an der Kasse.

Identitätsgefühl: Persönliche Erfahrungen prägen das Bild von Wessis und Ossis

Die dabei gemachten Erfahrungen prägen das Bild der Deutschen untereinander: Da ist der sogenannte Ossi, der im Westen Karriere machte, dort heiratete, glücklich wurde und vielleicht doch eines Tages als Rentner in die alte Heimat zurückkehren wird. Die dort Gebliebenen trafen nach der Wende auf westdeutsche Vorgesetzte, die entweder sehr nett waren oder glaubten, die Ossis von oben herab belehren zu müssen.

Und da ist der Ossi, der es beruflich nicht schaffte und für den die deutsche Einheit eine nicht erfüllte Versprechung bedeutet. Für manchen Wessi prägte sich das Bild vom «Jammer-Ossi». Diese «Härten des Umbruchs», wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kürzlich sagte, dieser Eindruck, abgehängt worden zu sein, haben sicherlich Enttäuschung sowie Groll erzeugt, was sich auch klar im ostdeutschen Wahlverhalten zu Gunsten der AfD niederschlägt.

Die große Binnenwanderung hat viel vermischt, aber eben nicht alles. Laut einer Untersuchung des Instituts für Demoskopie Allensbach hat sich ein spezifisches ostdeutsches Identitätsgefühl verfestigt: Während sich 71 Prozent der Westdeutschen in erster Linie als Deutsche und nicht als Westdeutsche sehen, identifizieren sich viele Ostdeutsche nach wie vor mit ihrem früheren Staatsgebiet. 44 Prozent sehen sich in erster Linie als Deutsche, 47 Prozent aber als Ostdeutsche.

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