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Regisseur Werner Herzog trifft Michail Gorbatschow

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Ein Gespräch auf Augenhöhe

Werner Herzog interviewt Michail Gorbatschow. Der Dokumentarfilm «Meeting Gorbachev» wurde im September 2018 beim Telluride-Filmfestival in Colorado/USA uraufgeführt.
Werner Herzog interviewt Michail Gorbatschow. Der Dokumentarfilm «Meeting Gorbachev» wurde im September 2018 beim Telluride-Filmfestival in Colorado/USA uraufgeführt.

Es gibt Politiker, die haben eine Ära geprägt – und sind dennoch bis heute ein Geheimnis geblieben. So Michail Gorbatschow.

Von Matthias Kählert

Als Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (1985 bis 1991) machte er mit seiner Politik der Transparenz (Glasnost) und der Umgestaltung (Perestroika) die deutsche Einheit und die Beendigung des Kalten Krieges möglich. Seine Reformen als Staatspräsident der UdSSR von März 1990 bis Dezember 1991 führten schließlich zur Auflösung der Sowjetunion. Obwohl seine Bemühungen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurden, führte ein Putsch im Jahre 1991 zu seiner weitgehenden politischen Entmachtung.

Details zu seiner Rolle in der Weltgeschichte und bei der Wiedervereinigung Deutschlands, geschweige denn zu seiner Person, kennen viele nicht, die im Deutschland nach der Wende geboren wurden. Dabei handelt es sich bei ihm bis heute um eine umstrittene Figur. Diese zu entschlüsseln – oder ihr zumindest näher zu kommen – macht sich Werner Herzog in seiner Dokumentation «Meeting Gorbachev»zur Aufgabe.

Faszinierende Dynamik zwischen Künstler und Politiker

Als Vertreter des Neuen Deutschen Films hat sich Herzog nicht nur in die Filmgeschichte eingeschrieben. Mit seinen preisgekrönten Werken wie «Grizzly Man» (2005) oder «Die Höhle der vergessenen Träume» (2010) hat er sich als einer der international einflussreichsten Dokumentar-Filmer etabliert. So handelt es sich bei «Meeting Gorbachev» nicht nur um die Aufarbeitung einer politischen Figur sowie ihres Einflusses auf die Weltgeschichte. Aus der Begegnung von Künstler und Politiker ergibt sich eine faszinierende Dynamik. Innerhalb von sechs Monaten interviewte Herzog den 87-jährigen Gorbatschow dreimal. Hier begegnen sich zwei Legenden auf Augenhöhe – auch wenn Herzogs Begeisterung für sein Objekt dem Film teilweise an Schärfe nimmt.

Dennoch ist der Wert der Einblicke, die vermittelt werden, nicht von der Hand zu weisen und gehen über die eines historischen Dokuments hinaus. Die Aktualität der Figur Gorbatschows zeigt sich nicht nur in dem Erfolg der dieses Jahr angelaufenen Serienproduktion «Chernobyl», die das Reaktorunglück zu Beginn seiner Amtszeit als Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion thematisiert. Der Tag der Deutschen Einheit wirft die Frage auf, wie Gorbatschows Rolle bei der Beendigung des Kalten Krieges zu bewerten ist. Handelt es sich bei ihm um eine tragische Heldenfigur, die mit diplomatischem Gespür und unbedingtem Reformwillen eine zuvor unvorstellbare Annäherung von Osten und Westen ermöglichte? Oder ist er ein gescheiterter Reformator?

Tieferes Verständnis für Gorbatschow und die politischen Ereignisse

Auch wenn sich diese Fragen wahrscheinlich nie eindeutig beantworten lassen, wenn sie nicht aus einer ideologisch eingefärbten Perspektive betrachtet werden, zeigt Herzogs Dokumentation Erkenntnisse und Zusammenhänge auf, die ein tieferes Verständnis der Person Gorbatschows und der politischen Ereignisse gegen Ende des 20. Jahrhunderts ermöglichen.

Dass es das vereinte Deutschland in dieser Form ohne Gorbatschows politischen Einfluss nicht gegeben hätte, lässt sich kaum anzweifeln. Aus diesem Grund dürfte «Meeting Gorbachev» gerade für die Generation, welche die Ereignisse um die Wende und Wiedervereinigung nicht live miterlebt hat, einen interessanten Einblick in die jüngere deutsche Geschichte bieten – ganz abgesehen von einem anregenden Gespräch zweier faszinierender Männer.

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