Buchtipp «Magellan oder die Erste Umsegelung der Erde» von Christian Jostmann
Die Entdeckung der Magellanstraße und die erste Weltumsegelung markieren symbolhaft den Beginn der Neuzeit. Christian Jostmann schildert eindrücklich das dramatische Abenteuer zu See vor 500 Jahren, hinterfragt aber auch den Ruhm um Ferdinand Magellan.
Von Arne Dettmann
Mit Kanonendonner war die Expedition unter Ferdinand Magellan am 10. August 1519 von Sevilla aus gestartet. In der Kirche Santa María de la Vitoria hatte der Statthalter des Königs dem Kommandanten die königliche Standarte überreicht. Nach der Messe war die Besatzung zum Hafen gezogen, wo die fünf Schiffe am Ufer des Guadalquivir lagen – herausgeputzt, die Flaggen gehisst, die Geschütze eingeölt. Schließlich hatte eine Nao nach der anderen abgelegt, flussabwärts, dem Ozean entgegen. Ihr Auftrag: Eine Passage zu den Molukken im Fernen Osten finden, wo unermesslicher Reichtum in Form von Nelken, Muskat und anderen Gewürzen wartete.
Doch nun, im Oktober 1520, schien bereits Schluss zu sein. Nach der Überquerung des Atlantiks waren die 240 Männer an der südamerikanischen Küste entlang gesegelt, Kurs Süden, immer auf der Suche nach einem erhofften Korridor. Der Aufenthalt in dem nahezu unberührten Rio de Janeiro mit der reizvollen Schönheit der tropischen Natur stand im krassen Gegensatz zu dem, was die Seefahrer jetzt erlebten. Wochenlang nur die öde Küste Patagoniens, hin und wieder ließ sich ein Guanako blicken, ansonsten Stürme, Kälte und Hunger. Einige Matrosen hatte es bereits dahingerafft, andere verloren ihr Leben nach einer niedergeschlagenen Meuterei; ein Schiff war untergegangen, ein anderes verschollen.
Geplante Ruhmestat – Auf der Suche nach Reichtümern in der Neuen Welt
Dass die Expedition dennoch nicht scheiterte, sondern die Meerenge bei 52 Grad Süd fand und durchfuhr, bezeichnete die Nachwelt als Ruhmestat. Alexander von Humboldt erhob Magellan zum Protagonisten einer «Geschichte der Wissenschaften», andere verklärten den Portugiesen als Helden der Geographie. Stefan Zweig verherrlichte den Generalkapitän der Schiffsflotte gar als den «größten Seefahrer der Geschichte».
Der Historiker Christian Jostmann hat sich glücklicherweise nicht von derartiger Lobhudelei anstecken lassen, sondern Originalquellen zu Magellan und dessen sagenhafter Expedition studiert, um möglichst sachlich und distanziert zu beschreiben.
Entgegen der langläufigen Meinung, bei der abenteuerlichen Reise vor 500 Jahren habe es sich um ein Himmelfahrtskommando gehandelt, verweist Jostmann auf den Wissensstand der damaligen Zeit. Seit Kolumbus und den nachfolgenden Entdeckungen war klar, dass es im Westen eine riesige Landmasse geben musste, die Amerigo Vespucci als die «Neue Welt» bezeichnete und die auf einem Globus erstmals «America» genannt wurde. Deren Grenzen waren noch nicht vollständig erkundet. Es bestand also die Möglichkeit, sie zu umrunden, denn der Theorie nach war die Welt schließlich eine Kugel.
Einen Plan B in der Tasche, falls es keine Magellanstraße gibt
Zu jener Zeit kursierten bereits Karten und Vermutungen, die wohl eher der Fantasie ihrer Urheber entsprachen, dass es irgendwo eine Verbindung zwischen den beiden Meeren geben müsste. Für den gegenläufigen Fall hatte Magellan bereits einen Plan B in der Tasche: Sollte die amerikanische Landmasse nach Süden in eine antarktische Landmasse nahtlos übergehen, sich nach Osten und weiter nach Norden ziehen und mit Asien verbinden – Atlantik und Indischer Ozean wären demnach ein zusammenhängendes Binnenmeer –, so würde er an dieser Küste einfach entlang segeln, bis er in Asien ankäme. «Die Magellanstraße war schon 1515 erfunden», so Jostmann. Jetzt musste sie nur noch gefunden werden.
Mit anderen Worten: Zwischen Panama und den Molukken, den äußersten Punkten im Westen und Osten, die den Europäern damals bekannt waren, warteten 40 Prozent des Erdumfangs darauf, entdeckt zu werden.
Die Gründe für das Unternehmen sind dennoch nicht im rein idealistischen Entdeckergeist zu suchen, sondern in sprichwörtlicher Gier. Im Vertrag von Tordesillas 1494 hatten die beiden damals vorherrschenden Seemächte Portugal und Spanien die Welt in zwei Hälften zugewiesen. Alles östlich dieses Meridians sollte Portugal, alles westlich davon Kastilien gehören. «Nie zuvor in der Geschichte war das Fell eines größeren Bären aufgeteilt worden, bevor man ihn erbeutet hatte, ja bevor man auch nur eine Ahnung hatte, wie groß die Beute am Ende ausfallen würde!»
Gewinnbeteiligung gegen Mühsal und Gefahr
Der junge spanische König Karl I. finanzierte daher Magellans Reise, um innerhalb der Demarkation neue Länder in Besitz zu nehmen und hoffentlich auf weitere Gewürzvorkommen zu stoßen. Chronische Geldnöte am königlichen Hof, die Aussicht auf hohe Einnahmen und die portugiesische Konkurrenzexpansion im Osten gaben den Ausschlag. Dem Seefahrer und seinen Leuten wiederum winkten als Entlohnung für «Mühsal und Gefahr» eine angemessene «Entlohnung». Gewinnbeteiligung, Anteil an zukünftigen Steuereinkünften aus den zu entdeckenden Gebieten und die Aussicht, in die oberste Schicht der Gesellschaft aufzusteigen – das war der Brennstoff, der die mutigen Seefahrer vorantrieb. Die christliche Heilsgeschichte lieferte dazu die Rechtfertigung für die Unterwerfung der Welt.
Ohne Gewalt ging es jedenfalls nicht ab. Schon die erste Begegnung zwischen Patagoniern und Europäern endete mit einer Entführung von zwei Ureinwohnern. Die dunkle Seite des «Zeitalters der Entdeckungen» kam zum Vorschein. Nachdem die Iberer die Meerenge passiert hatten und über den Pazifik gesegelt waren, kam es auf Guam zur Konfrontation mit Inselbewohnern. Die Neuankömmlinge steckten ein halbes Dorf in Brand und töteten sieben oder acht Menschen. Auf der Insel Mactan des philippinischen Archipels ging die Rittertaktik des Drauflosstürmens einmal nicht auf: Magellan starb dort bei einem gescheiterten Angriff am 27. Januar 1521.
Doch ansonsten konnten die Europäer mit ihren übermächtigen Feuerwaffen ihren anmaßenden Anspruch auf die Beherrschung der Welt rigoros durchsetzen. Nach Magellans Tod kaperten die Überlebenden auf ihrer Fahrt durch die Sulusee wie Piraten fremde Schiffe, nahmen Besatzungen als Geisel und mordeten.
Rückkehr nach fast drei Jahren Fahrt durch die Welt
Naturgewalten, Krankheiten wie Skorbut und Erschöpfung forderten auf der Heimreise über Borneo, den Molukken, Timor und das Kap der guten Hoffnung ihren Tribut. Am 6. September 1522 kehrte von den fünf Schiffen der einst so stolzen Flotte nur die «Victoria» unter Kapitän Juan Sebastián Elcano nach Sanlúcar de Barrameda an die Mündung des Guadalquivir zurück. Von ursprünglich 240 Männern erreichten 18 wieder die Heimat. Die Fahrt hatte fast drei Jahre in Anspruch genommen.
Rein ökonomisch betrachtet war das Unternehmen wahrscheinlich eine einzige Pleite. Christian Jostmann rechnet vor, dass die Nelkenfracht, die das spanische Handelshaus aus dem Frachtraum des Schiffes holte, zwar einen ordentlichen Gewinn abwarf. Doch berücksichtigt man Gehälter, Verluste und andere Ausgaben, dürfte das gesamte Projekt mit einem Defizit zu verbuchen sein.
Trotzdem war die Nao «Victoria», die einmal den Erdball umrundet hatte, zunächst einmal in Europa eine Sensationsmeldung. Immer wieder taucht in diesem Zusammenhang die Behauptung auf, die Weltumsegelung sei von Magellan beabsichtigt gewesen. Doch Christian Jostmann widerspricht: Keine Aussage sei von dem Seefahrer überliefert, die auf dieses Ziel hindeutet. «Ein solches Unterfangen hätte auch gänzlich seinem Plan widersprochen, eine Handelsroute nach Ostasien durch die kastilische Erdhälfte zu erschließen.» Und nicht einmal dieses Vorhaben sei Magellans Hirn entsprungen. «Der Ritter aus Porto war lediglich zur rechten Zeit am richtigen Ort.»
Magellan und Polynesier – Helden der Seefahrt
Der gebürtige Portugiese Fernão de Magalhães brachte durch seine vorherigen Jahre in Indien Erfahrungen, Wagemut und Zähigkeit mit. Zudem hatte er sich nautische Kenntnisse erworben. Während die Mehrheit der Besatzungen sich damals aus Land- und Mittellosen rekrutierte, denen gar nichts anderes übrig blieb, als die Strapazen und Gefahren der Überfahrt auf sich zu nehmen, übte die Seefahrt auf Magellan wahrscheinlich einen gewissen Reiz aus.
«Er muss eine unverwüstliche Konstitution besessen haben, war zielstrebig, hartnäckig und gerissen. Mit diesen Eigenschaften und einer gehörigen Portion Glück gelang es ihm, eine Armada auf Kiel zu legen und allen Widerständen zum Trotz bis zu den Philippinen zu führen.»
Dennoch gibt der Autor zu bedenken, dass es in der Menschheitsgeschichte wahrscheinlich unzählige Magellane gegeben habe: Polynesier, die sich einst ins Unbekannte hinauswagten und den Horizont menschlicher Existenz erweiterten. Die meisten dieser Helden, die auf ihren Reisen den Pazifik besiedelten, blieben namenlos. Und dass sie nicht die Welt umrundet haben, heiße nicht, dass sie weniger «geniale» Seefahrer waren als Magellan.
Eine fantastische Reise zu unbekannten Orten
Auf die Mehrheit seiner damaligen Zeitgenossen, den ärmlichen Bauern auf der iberischen Halbinsel, muss Magellans Expedition jedenfalls wie ein Märchen geklungen haben. «Von den Molukken hatten diese Leute nie reden gehört, und hätte ihnen jemand verraten, was Magellan und seine Begleiter planten, es hätte in ihren Ohren fantastischer geklungen als heutzutage ein Weltraumausflug zu einer anderen Galaxie.»
Doch auch heute, 500 Jahre später, fasziniert diese dramatische, ja fast märchenartige Entdeckungstour noch immer, die für Stefan Zweig «die herrlichste Odyssee in der Geschichte» darstellte.
Mal begleitete die Seefahrer das Elmsfeuer, elektrische Ladungen in der Luft, die sich um die Mastspitzen setzten. Dann trafen sie angeblich auf wilde Riesen, die mit ihren großen Füßen (patones) durch das Ödland «Patagoni» streiften und rohes Fleisch verzehrten. Ob es nun eine sprachschöpferische Anspielung auf die Füße oder die Assoziation auf eine barbarische Kreatur namens «Patagón» in einem damaligen Ritterroman war – Patagonien trägt bis heute diesen Namen.
Von Bord aus beobachteten die Matrosen nachts lodernde Flammen, worauf sie diesen unheimlichen Ort «Feuerland» nannten. Für die Durchquerung der windigen und gefährlichen Meerenge, an deren Existenz die Seefahrer bereits gezweifelt hatten und die nach Magellan benannt wurde, kämpften sie sich an den Segeln einen geschlagenen Monat und eine Woche ab.
Und am Ende fehlte ein Tag im Logbuch…
Was dann folgte nach der Magellanstraße, war endloses Blau, tagein, tagaus nur Wasser und kein Land in Sicht. Die Flotte glitt auf dem Humboldtstrom gen Norden und erreichte unweit der Juan-Fernández-Inseln den Südostpassat. Die Fahrt wurde freundlicher und beständiger. Daher bezeichneten Magellan und seine Gefährten dieses Meer als den «Friedfertigen». Im gigantischen Pazifik trafen sie erst nach 14 Wochen auf eine Insel.
Als der klägliche Rest der Truppe mit der «Victoria» schließlich die Südspitze Afrikas umrundet und die Kapverdischen Inseln erreicht hatte, wunderten sich die ersten Weltumsegler, das für die Leute auf der Insel bereits Donnerstag war, während für die Heimkehrer erst Mittwoch in den Logbüchern vermerkt wurde. Und sie zerbrachen sich die Köpfe darüber, wo bloß der verlorene Tag abgeblieben war.