Auf dem Weg an die Spitze
«Skifahren ist mein Leben», sagt Henrik von Appen mit Nachdruck. «In Südamerika bin ich der beste Skifahrer. Mein Ziel ist es der Beste auf der Welt zu werden.» Zurzeit liegt er im weltweiten Ranking auf Platz 68.
Von Silvia Kählert
Wie ernst dem Sportler dieses Ziel ist, zeigt eine vernarbte Verletzung am Handgelenk. Nur einige Wochen vor den Olympischen Spielen in Korea im Februar 2018 zog sich der damals 23-Jährige beim Trainieren einen schwierigen Bänderriss zu. Die Ärzte verordneten ihm ein halbes Jahr Ruhepause. Als er trotzdem die Qualifikation für Olympia erhielt, gab es für den ehrgeizigen Skiläufer kein Halten mehr: Trotz der Verletzung wollte er starten.
Daher lautete seine Frage an die Mediziner nur: «Wie kann ich in vier Wochen Ski fahren?» Das Problem: Beim Abfahrtski müssen alle Teilnehmer Stöcke verwenden. Henrik von Appen konnte aber mit der verletzten Hand nichts festhalten. So entschied er: Mit Hilfe eines Klettverschlusses am Handschuh wurde ihm der Stock quasi um die Hand festgewickelt.
Trotz dieses Handicaps verbesserte der Skifahrer seine Zeit und erreichte in den zwei Disziplinen Super G und Abfahrt den 22. und 34. Platz. Es gab noch etwas, was er bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Pyeongchang gehalten hat, wie er stolz erzählt: Als Träger der chilenischen Fahne führte er seine Delegation ins Stadion. Das empfand er als große Ehre.
Als Dreijähriger erstmals auf Skiern
Diese Episode zeigt: Der junge Mann weiß, was er will, und das strahlt er aus. Diese Selbstsicherheit hat auch damit zu tun, dass sein sportlicher Weg nicht von klein auf – wie bei vielen Profi-Skifahrern in Österreich oder Deutschland – vorgezeichnet war. Zwar stand er als Dreijähriger bereits zum ersten Mal auf Skiern, aber selbst als Jugendlicher war er auf der Deutschen Schule Santiago eher mit Basketball beschäftigt.
Zum ersten Mal als 14-Jähriger merkte er im vierwöchigen Skiurlaub in Österreich, dass ihm dieser Sport richtig Spaß und er schnelle Fortschritte machte. Angespornt hat ihn auch ein anderer Umstand: «Das ist in Chile eine Sportart, die nicht alle machen. Ich gehörte schnell zu den besten.» Als 15-Jähriger wurde er Mitglied der chilenischen Nationalmannschaft und viele sportliche Erfolge folgten. Von Appen bestritt sein erstes internationales Rennen 2009 bei einem Wettbewerb des Internationalen Skiverbands. Bis 2015 nahm er viermal an den Juniorenweltmeisterschaften teil. Sein bestes Weltcupresultat war der 32. Platz der Gröden-Abfahrt im Dezember 2015.
Bei den Olympischen Winterspielen sauste der Ski-Profi erstmals in Sochi 2014 mit 19 Jahren die Berge hinab und vier Jahre später in Korea. Er startete bei vier alpinen Skiweltmeisterschaften. Eine wichtige Rolle für seine Karriere spielte sein italienischer Trainer, der auch die chilenische Nationalmannschaft trainiert. «Wir sind wie eine Familie.»
Sportliche Eltern
Vorbild ist auch seine sportliche Familie: Sein Vater hat als Segler bei den Olympischen Spielen teilgenommen, seine Mutter ist eine leidenschaftliche Marathonläuferin. Auch sein Bruder und seine Schwester sind Skirennläufer. Die Eltern haben ihn bei seinen Vorhaben immer unterstützt, nichtsdestotrotz hieß es aber auch: «Wenn du etwas machst, dann richtig.»
Das gilt auch für sein Studium. Henrik von Appen entschied sich nach dem Abitur neben dem Sport ein Studium der Betriebswirtschaft zu beginnen. Irgendwann möchte er in die Fußstapfen seines Vaters Dag und seines Großvaters Sven von Appen treten und im von der Familie aufgebauten Unternehmen Ultramar arbeiten. Sein Urgroßvater Albert, ein Marinekapitän aus Blankenese in Hamburg, kam mit Ehefrau Inge Behrmann, dem dreijährigen Sven und dessen zwei Monate alten Bruder Wolf 1937 nach Chile. «Mein Großvater hat immer Deutsch mit mir gesprochen», meint Henrik von Appen, der selbst gut diese Sprache beherrscht.
Studium an der Universidad de Chile und Skiweltmeisterschaften
Mit einem Stipendium studiert er jedes Jahr ein Semester an der Universidad de Chile – noch zwei fehlen ihm. Fast zwei Drittel des Jahres trainiert der Profisportler. Als nächstes steht der Ski-Weltcup ab Oktober 2019 auf seinem Programm. Einen Rückschlag musste er im Februar auf dem Höhepunkt der Skisaison bei den alpinen Skiweltmeisterschaften in Schweden einstecken. Mehrere Seiten im Internet zeigten das Video des Sturzes:
Der 24-Jährige startet oben am Berg, in großen Schwüngen nimmt er Fahrt auf – über 100 Kilometer pro Stunde. Beim dritten Slalom hebt er ab, verliert die Kontrolle und rast in die rote Abzäunung. Die Sache ging noch glimpflich aus: Der Kreuzbandriss ist inzwischen verheilt.
Seine Erfahrungen, «wie man sich selbst stärken kann, um Rückschläge zu verkraften und sogar daran zu wachsen» möchte er anderen weitergeben. Gerade bei seiner Generation, den Millenials, hat er festgestellt, dass es an Durchhaltvermögen fehlt. Daher geht er an Schulen und hält Vorträge. Auch mit seinem Ziel, an die Spitze im Skisport zu gelangen, verbindet er eine Absicht:«Ich möchte, dass in Chile Skifahren zu einem Breitensport und der Nachwuchs besser gefördert wird.».