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Literaturtipp «Früchte des Zorns» von John Steinbeck

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Wo nicht Milch und Honig fließen

Unbeugsamer Überlebenswille der einfachen Menschen: John Steinbecks «Früchte des Zorns» wurde 1940 mit Henry Fonda in der Hauptrolle verfilmt.
Unbeugsamer Überlebenswille der einfachen Menschen: John Steinbecks «Früchte des Zorns» wurde 1940 mit Henry Fonda in der Hauptrolle verfilmt.

Aktuelle Flüchtlingsströme in Richtung USA und Europa: John Steinbeck beschrieb in dem Klassiker «Früchte des Zorns» vor 80 Jahren, dass solche Schicksale auch innerhalb der eigenen Landesgrenzen möglich sind.

Von Arne Dettmann

Bodenerosion, Dürre und verheerende Staubstürme zwingen die Familie Joad dazu, ihre Farm in Oklahoma zu verlassen. So ergeht es Hunderttausenden von Landwirten im «Dust Bowl» («Staubschüssel») in den 1930er Jahren, die überschuldet und verarmt ihr letztes Hab und Gut auf altersschwachen Lastwagen verschnüren und sich auf der Route 66 gen Westen machen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben.

Doch schnell kommt herbe Enttäuschung auf. «Dies ist nicht das Land, wo Milch und Honig fließen», stellt Sohn Tom Joad bei der Ankunft in Kalifornien verbittert fest. Die Entwurzelten – sie wurden damals als «Okies» bezeichnet – stehen während der Weltwirtschaftskrise in Konkurrenz zu den anderen vielen Wanderarbeitern und werden gnadenlos von den Plantagenbesitzern mit Niedriglöhnen ausgebeutet. Sie hausen nun in erbärmlichen Zeltcamps, hungernd und immer auf der Suche nach kläglichen Löhnen als Erntehelfer. Obendrein werden sie noch der feindlich gesinnten Bevölkerung vor Ort drangsaliert. Im Gefängnis lebte es sich besser, murrt der vor Kurzem freigelassene Tom, der wegen Totschlags einsaß.

John Steinbeck und seine Recherchen im Milieu

Der deutschstämmige John Ernst Steinbeck (1902-1968) hatte für eine Zeitungsserie über das Schicksal der Farmer recherchiert und ließ seine Erfahrungen 1939 in den sozialkritischen Roman «Grapes of Wrath» («Früchte des Zorns») einfließen. Aber auch seine eigenen Gelegenheitsjobs als Student auf Baustellen, Bauernhöfen und in Fabriken dürften ausschlaggebend für die eindringliche Schilderung des Milieus und Elends gewesen sein. Bereits 1940 erhielt der Autor für sein Werk den begehrten Pulitzer-Preis. Das Buch wurde von John Ford verfilmt, aber vielfach auch als klassenkämpferisch abgelehnt, teilweise sogar verboten und öffentlich verbrannt. 1962 ging der Nobelpreis für Literatur an John Steinbeck.

Herzzerreißend und authentisch beschreibt der Autor den Niedergang der Familie. Der Großvater stirbt bereits kurz nach dem Aufbruch, weil er es nicht verkraftet, die Heimat in Oklahoma verlassen zu haben. Auch die Großmutter überlebt die beschwerliche Fahrt nicht. Für die Beerdigung der Alten ist kein Geld mehr da.

Sohn Noah versucht im Alleingang sein Glück; Schwiegersohn Connie lässt die schwangere Rose of Sharon einfach im Stich. Einzig die Mutter verliert nicht die Hoffnung, zeigt einen schier ungebrochenen Lebensmut und übernimmt die Führungsrolle, während der Vater zunehmend resigniert.

Die Früchte des Zorns gehen auf…

Trotz der Demütigungen und Entbehrungen bewahren sich die Joads ihre moralische Integrität, Würde und Güte. Ihnen stellt John Steinbeck die vom Profit getriebenen Grundbesitzer und Banken gegenüber, deren Maschinen – die Traktoren – nun die heimatliche Erde umpflügen. Die «Früchte des Zorns» – ein Verweis auf die biblische Offenbarung des Johannes – gehen schließlich auf: Der Wanderprediger Jim Casey schließt sich streikenden Arbeitern an und wird von Hilfstruppen der Grundbesitzer erschlagen. Tom Joad wiederum tötet einen der Handlanger und übernimmt das Gedankengut des Wanderpredigers.

Am Ende verlieren sich die Wege der Unterdrückten aber in Einzelschicksalen. Kein Plädoyer also für den Sozialismus, wohl aber ein Hinweis auf soziale Missstände und eine Kritik am entmenschlichten Kapitalismus. Am Schluss gibt Rose of Sharon, die eine Fehlgeburt erlitt, einem halb verhungerten, völlig entkräfteten Farmer die Brust – ein letzter Triumph von Nächstenliebe und Mitleid.

John Steinbeck stellte jedem Kapitel eine Synopse voran, der das Romangeschehen in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang einordnet. Zudem webte er Nachrichten im Zeitungsstil ein – Meldungen, wie wir sie auch heute über Flüchtlinge fast jeden Tag konsumieren. Mutter Joad lässt keinen Zweifel daran, dass deren Existenzkampf anhalten wird. «Du musst Geduld haben, Tom. Du weißt doch, wir werden immer leben, wenn die andern schon längst nicht mehr da sind. Wir sind die Leute, die leben. Sie können uns nicht kaputtkriegen. Tom, wir sind die richtigen Leute – wir leben weiter».

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