«Wir leben in einer Zeit des Wandels»

Stella Zervoudaki ist seit knapp drei Jahren die Botschafterin der Europäischen Union in Chile. Neben ihrer Heimat Griechenland ist Deutschland das Land, dessen Kultur sie in ihrer Kindheit und Jugend besonders prägte.
Von Silvia Kählert
«Meine eigene Familie spiegelt den großen Fortschritt in der Europäischen Union wider», erklärt Stella Zervoudaki nicht ohne Genugtuung. Die gebürtige Griechin ist seit September 2016 Botschafterin der Europäischen Union (EU) in Chile.
«Als mein Vater, von der Insel Kreta im Süden des Landes stammend, und meine Mutter aus Thessaloniki, einer Stadt im Norden, heirateten, galt das als ein großes Drama in meiner Familie», erzählt die Botschafterin und meint: «Meine Kinder sind heute mit Partnern aus aller Welt liiert ist – und das ist gar kein Problem».
Bemerkenswert sei vor allem, dass ihr Sohn, dessen Partnerin eine Guatemaltekin ist, ohne die französische Nationalität als Lehrer in Paris arbeiten könne. «Das ist durch die Anerkennung Universitätsabschlüsse in der EU möglich geworden», erklärt die Botschafterin. Auf ihre multikulturelle Familie und vier Kinder ist sie stolz: «Eine meiner Töchter lebt in Belgien und ist mit einem Franzosen verheiratet, die andere in Australien mit einem Australier. Meine jüngste Tochter wohnt in den USA.»
Da Stella Zervoudakis Mann aus Uruguay stammt und ihre Kinder in Belgien aufgewachsen sind, sprechen diese vier Sprachen: Griechisch, Englisch, Französisch und Spanisch.
Deutsche Schule in Thessaloniki
Auch schon ihre Mutter war eine offene Frau: «Griechenland wurde im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen besetzt. Dennoch entschied meine Mutter, dass ich auf die Deutsche Schule von Thessaloniki gehen sollte. Deutschland bedeutete für sie vor allem die deutsche Kultur, und sie war der Meinung, dass die Deutsche Schule ihren Kindern die beste Bildung bietet.»
Diese Entscheidung habe ihr in vielerlei Hinsicht später geholfen. «Während der Diktatur in Griechenland von 1967 bis 1974 war die Deutsche Schule eine Oase von Meinungsfreiheit und Demokratie.» Aufgrund ihrer eigenen Erfahrung ist die Botschafterin überzeugt:«Entscheidend für ein gutes Miteinander der Völker ist der Respekt der Kulturen gegenüber anderen Weltanschauungen und der damit einhergehende Humanismus.»
Das deutsche Abitur habe ihr außerdem während ihrer beruflichen Laufbahn manche Tür geöffnet, erklärt sie. Sie studierte Philosophie und klassische Philologie sowie internationalen Beziehungen. In besonders guter Erinnerung ist ihr das an der Kunstschule der Architektur in Berlin verbrachte Semester.
Beim Sprachdienst der EU
Nach dem Studium bewarb sich die junge Frau beim Sprachendienst der EU. 1981 startete sie ihre Karriere mit 22 Jahren als eine der jüngsten Mitarbeiterinnnen und eine von wenigen Frauen bei der EU. Dafür pendelte sie über einige Jahre zwischen Brüssel, Straßburg und Luxemburg hin und her, um dann ganz nach Brüssel zu ziehen. Hier wurden ihre drei Töchter und ihr Sohn geboren.
«Die zehn Jahre beim Sprachendienst waren für mich ideal, um Arbeit und das Aufziehen der Kinder zu verbinden», meint sie im Rückblick. Sie war am Schluß für 60 Übersetzer verantwortlich. Parallel baute die vielseitig interessierte Frau in Brüssel mit ihrem Mann eine Kunstgalerie auf.
Während ihrer weiteren beruflichen Laufbahn habe sie sich stets weitergebildet. Ihrer Meinung nach, «sollte man im Leben nie aufhören zu lernen.» Sie studierte internationale Beziehungen, machte einen Master an der Universität in Trier. An mehreren europäischen Universitäten, unter anderem an der Universität Oxford, studierte sie später Mediation, Konfliktmanagement und Internationale Verhandlungen. Für ihre Karriere habe sie immer wieder an strengen Auswahlverfahren der EU teilnehmen müssen.
Botschafterin in Uruguay, Paraguay und Guatemala
Eine weitere wichtige Etappe ihrer Berufslaufbahn war die Arbeit bei der Abteilung für Regionalpolitik der EU-Kommission. Diese wurde von der deutschen EU-Komissarin Monika Wulf-Mathies von 1995 bis 1999 geleitet. Hier habe sie selber dabei mitwirken können, dass auch in strukturschwachen Regionen ein Fortschritt möglich wurde. «Es ist einfach beeindruckend, was allein in meinem Heimatland die europäische Regionalpolitik bewirkte: Straßen, Häfen, Krankenhäuser – alles konnte durch die Strukturfonds wesentlich verbessert oder erst aufgebaut werden», erklärt die Griechin.
Sie war ab dem Jahr 2000 vier Jahre Botschafterin in Uruguay und Paraguay und von 2012 bis 2016 Botschafterin von Guatemala. «Ich fühle mich in Lateinamerika zuhause», stellt sie fest. Es habe vor allem geschichtlich bedingt immer viele Verbindungen zwischen Europa und Lateinamerika gegeben. Während ihrer Zeit in Uruguay war Stella Zervoudaki auch an den Verhandlungen für den Vertrag zwischen der EU und Mercosur beteiligt. «Ich freue mich sehr, dass dieser wichtige Vertrag gerade jetzt, wo es immer mehr protektionistische Tendenzen gibt, abgeschlossen werden konnte», erklärt sie.
Zur aktuellen Lage der Europäischen Union meint die Botschafterin: «Wir leben in einer Zeit des Wandels. Es kann keine einfachen Lösungen für komplexe Entwicklungen geben, wie Klimawandel, Immigration oder technische Entwicklungen.» Die überzeugte Europäerin betont: «Die Veränderungen betreffen uns alle. Die EU als ambitioniertes Friedensprojekt und integrierter Wirtschaftsraum ist ein lebendiger Beweis dafür, dass wir gemeinsam im Bereich Global Governance und Wirtschaftswachstum für alle mehr erreichen können.»