Objekt der Machtpolitik des Papstes
Lucrezia Borgia (1480-1519), Tochter von Papst Alexander VI., wurde bereits im Alter von 13 Jahren zum Objekt der Familienpolitik. Sie wurde dreimal verheiratet, um die Interessen der Borgias zu sichern.
Der erste Gatte von Lucrezia Borgia wurde Giovanni Sforza, ein Cousin des Herzogs von Mailand und des Vizekanzlers Kardinal Ascanio. Es war Ausdruck eines Zweckbündnisses. Am 12. Juni 1493 wurde dann ein neuer Skandal ausgelöst. Die Hochzeit fand in den päpstlichen Räumen des Vatikan statt. Es wurde ausgelassen gefeiert, teure Geschenke stellten Luxus zur Schau, und dann wurde noch Wein in die Ausschnitte der 150 geladenen Damen gegossen. Das war etwas völlig Neues! Als dann aber bereits ein Jahr später die Allianz zwischen den Borgia und Sforza ausgedient hatte, wurde die Ehe kurzerhand annulliert, angeblich weil sie nicht nichtvollzogen worden war. Lucrezia war nicht mit der Entscheidung zufrieden, denn sie hatte Zuneigung zu Giovanni empfunden. So zog sie sich zunächst in ein Kloster zurück.
Im Jahr 1498 wurde eine neue Ehe eingefädelt, dieses Mal war Alfonso, der Fürst von Bisceglie, Sohn des Königs von Neapel, der Auserwählte. Als 1500 in Rom Spannungen gegen Alfonso aufkamen, floh der Fürst aus der Stadt in Richtung Neapel. Lucrezia konnte ihn dann aber doch noch überzeugen, zurückzukehren. Dort wurde er aber dann Opfer Cesare Borgias, der den Tod seines Schwagers als Selbstverteidigung rechtfertigte. Die Umstände des Todes Alfonsos bleiben widersprüchlich. Cesare würde noch zahlreiche andere Morde auf sein Konto verbuchen. Lucrezia war entsetzt und zog sich zunächst zur Trauer zurück.
Im darauffolgenden Jahr aber sollte sie nochmals verheiratet werden. Dieses Mal heiratete sie in eine der ehrwürdigsten Familien Italiens ein: Alfonso d’Este, der Thronfolger des Herzogs von Ferrara krönte nun die Familie Borgia mit höchstem Ansehen. Fünf Kinder gingen aus dieser Ehe hervor, und Lucrezia wurde als Landesmutter verehrt. Die gebildete und hübsche Frau förderte die Kunst in ihrem Herzogtum.
Noch vor ihrer Hochzeit mit Alfonso wurde sie im Sommer 1501 von ihrem Vater als seine Stellvertreterin in weltlichen Angelegenheiten in den Vatikan beordert. Alexander und Cesare waren in politischen Verhandlungen unterwegs. Eine Frau als Stellvertreterin des Papstes. Ein weiterer Skandal füllte nun die Liste Alexanders. Alles schien möglich und erlaubt. Es entsprach aber ganz dem Stil der Borgias. Papst war eben die gesamte Familie. Warum sollte daher nicht die eigene Tochter für ihren Vater die Staatsgeschäfte führen, so mag Alexander gedacht haben.
Opfer der schwarzen Legende
Alexander und Cesare gingen bei ihren Ambitionen über Leichen. Von Giftmorden ist die Rede, und die Symptome einiger Opfer sprechen dafür, dass es so war. Kardinäle wurden beseitigt, andere wurden in den Tiber geworfen. Cesare hatte eh den Ruf, seine Gegner zu beseitigen oder in Hinterhalte zu locken. Vater und Sohn waren Meister im Täuschen und spielten bestens ihre jeweiligen Rollen. Es ging beiden um den Aufstieg der Familien und die Absicherung für die Zukunft. Alles schien erlaubt. Da Alexander altbewährte Grenzen überschritt, traute man ihm alles zu. Orgien, Giftmorde und sogar Inzest. Unmoralisches Handeln ist ihm und Cesare ohne Zweifel zu bescheinigen, auch Damenbegleitung im Vatikan war wohl eine Realität. Was den Vorwurf des Inzests und der Orgien angeht, so scheinen diese jedoch den Fantasien der Gegner des Papstes entsprungen zu sein. Lucrezia aber muss eher als Opfer der schwarzen Legenden gelten. Sie liebte ihre Gatten und trauerte über deren Verlust. In Ferrara wurde sie nach ihrem Tod, am 24. Juni 1519 – vor 500 Jahren – jedenfalls in guter Erinnerung gehalten.
Ihr Bruder Cesare und ihr Vater aber bleiben wohl zurecht in düsterer Erinnerung. Der venezianische Botschafter nahm in seinem Staatstagebuch sogar einen «unheimlichen» Brief auf, der Papst Alexander VI. als Gehilfen den Antichristen charakterisiert: «Lucifer, der ganzen Hölle König, Herzog des Hades und anderer Abgründe, entbietet seinem geliebten Sohn, Papst Alexander VI., seinen Gruß. Zu uns und unseren Statthaltern sind in den letzten Tagen, geliebtester Sohn, unzählige Seelen geströmt, und zwar mit lautem Heulen und Wehklagen, welche uns von deinen Sitten und deiner uns erwiesenen Treue wahre Wunderdinge berichten. So behaupten sie, nicht wegen ihrer Taten, sondern vielmehr durch deine Anleitung in unser Königreich gelangt zu sein … Wir wissen diese Dienste um so mehr zu schätzen, als du, der Statthalter Christi auf Erden mit den Schlüsseln zu lösen und zu binden, an sich der anderen Seite verpflichtet bist – und dennoch so eifrig der Vermehrung unserer Untertanen zuarbeitest … Petru, der erste Papst, hatte eine Gattin, du aber hast deren mehrere, die dir viele Söhne und Töchter geboren haben, welche den ganzen Weltkreis zieren. Wir sehen mit Wohlgefallen, daß du des Gebots ‘Seid fruchtbar und mehret euch‘ eingedenk handelst, und hoffen in diesem Sinne, daß du alle dir anvertrauten Schafe zu unserer Herde geleiten wirst. Binnen kurzem werden wir die Expedition des Antichristen ausrüsten und sind zuversichtlich, daß du ihm in bewährter Weise den Weg bereitest: auf daß er die ganze Herde der Christen bald den höllischen Reichen zuführen möge. Wenn du dich in diesem Sinne bewährst, werden wir dir bei uns einen Wohnsitz einrichten, wie ihn außer Judas noch niemand bekommen hat. Gegeben in der Unterwelt, am 1. Januar 1502.»
Buchempfehlungen
- Sarah Bradford, Lucrezia Borgia. Life, Love and Death in Renaissance Italy. London: Viking 2004
- Friederike Hausmann, Lucrezia Borgia. Glanz und Gewalt. München: Beck Verlag 2019.
- Volker Reinhardt, Der unheimliche Papst. Alexander VI. Borgia, 1431-1503, München: Beck Verlag 2005.