Auf dem Weg in die Klimaneutralität
Im Jahr der COP 25, die im Dezember in Santiago ausgerichtet wird, hat sich Chile vorgenommen, zum Vorbild für klimaneutrales Wirtschaften unter den Schwellenländern zu werden. Der Ausbau der erneuerbaren Energien spielt dabei eine bedeutende Rolle.

Mit Blick auf die UN-Klimakonferenz COP 25 kündigte Präsident Sebastián Piñera Anfang Juni den Ausstieg aus der Kohleenergie im Jahr 2040 an, und 2050 will Chile klimaneutral sein. In den kommenden fünf Jahren sollen acht der bestehenden 28 Kohlekraftwerke aus dem Betrieb genommen werden. Dieser mit der Industrie abgesprochene freiwillige Prozess ist in der Presse als bahnbrechend gefeiert worden. Bis 2024 sollen die ältesten acht Kohlekraftwerke mit insgesamt 1.047 MW vom Netz gehen. Dekarbonisierung lautet der Fachbegriff für diesen Prozess, der als Ziel die Klimaneutralität (carbono neutralidad) haben kann.
Klimaneutralität bedeutet, dass ein Land nur so viele Treibhausgase freisetzt wie es kompensieren kann. Dazu ist es einerseits notwendig, die industriellen Prozesse und die Energieerzeugung sowie Energienutzung so umzustellen, dass immer weniger klimaschädigende Emissionen entstehen. Andererseits werden Maßnahmen zur Kompensierung vom CO2-Ausstoß in die Atmosphäre benötigt. In diesem Punkt sieht der Plan der chilenischen Regierung u.a. die Aufforstung von Wäldern vor, da Bäume während des Wachstums Kohlenstoff binden.
Elektrizität aus sauberer Energie
Der Präsident des Dachverbandes der Stromerzeuger (Asociación de Generadoras), Claudio Seebach, begrüßte, dass Chile das erste Schwellenland sei, welches sich die Klimaneutralität per Gesetz vornehmen will. Dies sei ein ehrgeiziges, aber notwendiges Ziel. Dem elektrischen Strom komme dabei eine bedeutende Rolle zu. Um das Ziel zu erreichen, sei eine Steigerung des Anteils der erneuerbaren Energien sowie die Nutzung von sauber erzeugter Elektrizität im Transportwesen, in den privaten Haushalten und in der Industrie notwendig.
In Chile gelten als erneuerbare, nicht konventionelle Energien (ERNC, Energías Renovables No Convencionales) die Solar- und Windenergie sowie Energie aus Biomasse, aus Kleinwasserkraftwerken (bis 20 MW), die Geothermie und die Gezeiten- oder Meeresenergie. Ende 2018 betrug der Anteil der ERNC in Chile 45 Prozent des erzeugten Stroms. Neueste Studien deuten darauf hin, dass er bis 2030 auf 75 Prozent steigen wird.
Größter Anteil: Solar- und Windenergie
Den größten Anteil an den Erneuerbaren haben die Solar- und die Windenergie in Chile. Gerade der Sektor der Solarenergie ist in den vergangenen Jahren bedeutend gewachsen. Die hohe Sonneneinstrahlung im Norden des Landes sorgt für ein enormes Potenzial. Die direkte Sonneneinstrahlung von rund 3.500 kWh/m2 pro Jahr ist die höchste weltweit. Deshalb gilt die Atacama-Wüste als natürliches Labor für die Innovation und Entwicklung (I+D) von Solartechnologie. Die Regierung, die ein Komitee für solarenergetische Innovation eingerichtet hat, hat die Verdoppelung der Investitionen in diese Technologien angekündigt.
Gleichzeitig ist die Eröffnung eines Forschungszentrums für saubere Energien geplant. Dieses ist insbesondere im Zusammenhang mit dem Ausbau der Solarenergie für die Versorgung des Bergbaus von Bedeutung. Um den internationalen Umweltstandards im Bergbau (Green Mining) nachzukommen, benötigt Chile dringend Innovationen im Bereich der Energieversorgung und dem nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Bislang wird die Bergbau-Industrie noch zu einem großen Anteil aus fossilen Energien versorgt. 70 Prozent der Kohlekraftwerke sind im Norden des Landes angesiedelt. Doch nach und nach werden mehr Minen mit Solaranlagen ausgerüstet.
Ausbau der Elektromobilität
Um auf dem Pfad der Dekarbonisierung weiter voran zu kommen, sind neben dem Umbau der Energieversorgung aber auch noch andere Modernisierungen notwendig. Einen hohen Anteil am Schadstoff-Austausch hat der Verkehr. Deshalb hat sich die Regierung auch den Ausbau der Elektromobilität auf die Fahnen geschrieben. Nach Angaben des Energieministeriums ist die Zahl der elektrisch betriebenen Fahrzeuge in Chile im vergangenen Jahr um das Doppelte gestiegen. Sie beträgt derzeit 752 Fahrzeuge, darunter 214 E-Busse, die im Stadtverkehr eingesetzt sind.
Im September dieses Jahres sollen zusätzliche 183 Elektrobusse in die Flotte des Transantiago aufgenommen werden. Sie sollen auf der exklusiven Busspur der Avenida Grecia zum Einsatz kommen und diese in die erste Strecke mit ausschließlich elektrisch betriebenen Fahrzeugen verwandeln. Seit Dezember 2018 sind im öffentlichen Nahverkehrssystem von Santiago 203 E-Busse eingesetzt. Ihre Operationskosten sind laut Auskunft des Verkehrsministeriums um 76 Prozent günstiger als die von Dieselbussen. Bis 2022 sollen rund 30 Prozent aller Busse des Transantiago elektrisch betrieben sein.
Das Energieministerium hat bis zur UN-Klimakonferenz COP 25 vom 2. bis 13. Dezember in Santiago noch zahlreiche Vorhaben auf der legislativen Agenda. So soll das Gesetz der Stromübertragung weiter verbessert werden. Auch soll die dezentrale Stromeinspeisung weiter flexibilisiert werden. Diese beiden Vorhaben kommen dem Ausbau der erneuerbaren Energien zugute. Ein problematisches Thema, an dem Chile nun schon seit mehr als einer Dekade arbeitet, ist die Lösung der Luftverschmutzung durch unzureichend getrocknetes Brennholz. Biomasse gehört zu den erneuerbaren Energieträgern und wird im Süden Chile in großem Umfang zum Heizen und Kochen verwendet. Doch damit dieser Energieträger als sauber eingestuft werden kann, müssen mehrere Kriterien erfüllt werden, die bis heute noch nicht gelöst sind: Das beginnt mit einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung, geht über die angemessene Trocknung des Brennholzes oder Verarbeitung zu Pellets und endet bei der Nutzung der adäquaten Technologie zur Verbrennung.