Erlebnisse eines jüdischen Mädchens
Am 12. Juni jährte sich der Geburtstag von Anne Frank zum 90. Mal. Sie starb mit 16 Jahren kurz vor Kriegsende im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Ihr Vater veröffentlichte ihre Erlebnisse nach ihrem Tod als «Tagebuch der Anne Frank».
Wenn man heute nach Bergen-Belsen in der Lüneburger Heide fährt, sieht man bei dem ehemaligen Konzentrationslager zunächst ein Dokumentationszentrum mit Wandtafeln, die Informationen zum Ort und dem Schicksal der hier inhaftierten Kriegsgefangenen und Juden. Bedrückend ist dann aber vor allem der Gang auf dem KZ-Gelände selbst, vorbei an Hügelgräbern mit Inschriften: «Hier ruhen 1.000 Tote», «Hier ruhen 5.000 Tote». Die violett blühende Heide überdeckt die Massengräber der Opfer des NS-Regimes. Viele der Toten verstarben Anfang 1945. In einem dieser Gräber liegen auch die Überreste der Geschwister Margot und Anne Frank. Heute erinnert ein Grabstein an die beiden jungen jüdischen Mädchen, die stellvertretend für die Tausenden Opfer des Holocausts, vor allem aber auch die jüdischen Kinder stehen.
Annelies Marie Frank wurde vor 90 Jahren am 12. Juni 1929 in Frankfurt am Main geboren. Ihre Eltern Edith und Otto entstammten wohlhabenden jüdischen Familien. Otto Frank leitete die familieneigene Darlehensbank, die aber schon in den 1920er Jahren zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten kam. Diese wurden noch durch die Weltwirtschaftskrise 1929 verstärkt, und ihre Rentabilität verlor die Bank schließlich durch die Judenboykottaufrufe des NS-Regimes ab 1933. Die Familie musste deshalb mehrfach die Wohnung wechseln und auch bei der Verwandtschaft unterkommen.
Durch seinen Schwager vermittelt, konnte Otto Frank im September 1933 eine Niederlassung der Kölner Geliermittel-Firma Opekta in Amsterdam eröffnen, so dass die Franks Anfang 1934 nach Holland umzogen. Als im Mai 1940 die deutschen Truppen die Niederlande besetzten, folgten zunächst noch zwei relativ ruhige Jahre. Margot und Anne lernten schnell Niederländisch und Anne besuchte eine Montessori-Schule. Ab 1942 änderte sich aber die politische Lage. Die deutsche Besatzungsmacht implementierte die anti-jüdische Reichspolitik nun auch in den Niederlanden. Anne musste ins neu gegründete Jüdische Lyzeum wechseln.
«Ich werde mit dem Augenblick beginnen, als ich dich bekommen habe, das heißt als ich dich auf meinen Geburtstagstisch liegen gesehen habe … Kurz nach sieben ging ich zu Papa und Mama und dann ins Wohnzimmer, um meine Geschenke auszupacken. Als erster warst du es, die ich zu sehen bekam und was wahrscheinlich eines von meinen schönsten Geschenken ist.» So lautet eines der ersten Einträge Annes in ihrem Tagebuch (vom Sonntag, 14. Juni 1942). Dieses Tagebuch bildet den Anfang der persönlichen Geschichte Anne Franks. Ein Geschenk, das letzten Endes der gesamten Menschheit zum Geschenk wurde, denn es bietet uns einen Einblick in das Leben eines jüdischen Mädchens während des Zweiten Weltkrieges. Insgesamt wird sie drei persönliche Tagebücher führen, zwei in Buchform und eines als Blättersammlung. Neben ihren Tagebüchern verfasste sie aber auch Erzählungen, die mittlerweile ebenfalls veröffentlicht wurden.
In ihrem Tagebuch, dem sie den Namen «Kitty» gab, schrieb sie ihre persönlichen Gedanken auf. Erst kürzlich entdeckte man in einem der Originaltagebücher mit Papier überklebte Seiten, die sexuelle Themen und Witze behandeln. Sexuelle Themen besprach sie auch mit ihrem Freund und Mitbewohner im Hinterhaus, Peter. Neben den persönlichen Themen, sind es aber auch Nachrichten aus dem Radio und Beobachtungen, die uns den Einlass in Annes Gedanken- und Gewissenswelt gewähren. Ihre Tagebücher legen ihre Sensibilität für die Situation ihrer Familie, der Wohngemeinschaft im Hinterhaus und der Juden im Allgemein offen.
Anfang Juli 1942 erhielten etwa 4.000 Juden – vorwiegend Holländer und deutsche Flüchtlinge in Amsterdam – die schriftliche Aufforderung, sich zum Arbeitsdienst im Osten im Durchganslager Westerbork einzufinden. Auch die 16jährige Margot erhielt am 5. Juli 1942 diese Aufforderung. Dies war der Zeitpunkt, in dem Otto den Umzug seiner Familie ins Hinterhaus seiner Firma vollzog. Der Geschäftspartner Hermann Pels zog kurz darauf mit Frau und Sohn ebenfalls in die kleine Behausung. Angestellte der Firma versorgten fortan die Familien mit Nahrungsmitteln. Im November wurde dann noch der Zahnarzt Fritz Pfeffer aufgenommen, so dass nun acht Personen auf kleinem Raum zusammenleben mussten. Die Opteka-Niederlassung wurde auf die Mitarbeiter Victor Kugler und Johannes Kleiman übertragen, um einer Enteignung entgegenzuwirken.
Lesen Sie in der kommenden Woche über den Transport der Familie Frank nach Auschwitz und Bergen-Belsen.