Go West!
In seinem Buch «Erinnerungen 1945-1953» schildert der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer die Gründung und Westintegration der Bundesrepublik Deutschland vor 70 Jahren.
Von Arne Dettmann
Politik und Diplomatie stecken oft voller Symbole, insbesondere bei feierlichen Zeremonien. Das wussten auch die westlichen alliierten Siegermächte Frankreich, Großbritannien und die USA, als deren höchste Vertreter – die sogenannten Hohen Kommissare – am 21. September 1949 das Besatzungsstatut Konrad Adenauer überreichten.
Erstmals nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs (1939-1945) hatten diese drei Siegermächte in ihren Besatzungszonen freie Wahlen stattfinden lassen. Am 14. August 1949 ging dabei die CDU/CSU als stärkste Partei hervor. Der Deutsche Bundestag wählte am 15. September Konrad Adenauer zum Bundeskanzler.
Hier der Sieger, dort der Besiegte
Der Ablauf sah nun vor, dass die Hohen Kommissare den Deutschen empfangen würden, indem sie auf einem Teppich stünden, während dieser davor warten sollte. Nach einer Ansprache und dem Inkrafttreten des Besatzungsstatutes dürfte dann Adenauer den Teppich betreten. Die unmissverständliche Botschaft: Die westlichen Alliierten übertragen zwar einen großen Teil von Verantwortung und Entscheidungsbefugnis in deutsche Hände. Doch die Hierarchie bleibt bestehen: Hier der Sieger, immer noch im Besitz der obersten Gewalt; dort der Verlierer, weiterhin militärisch besetzt.
Doch Adenauer verfügt über genügend Selbstbewusstsein und ebenfalls das Gespür für eine symbolhafte Geste. Die drei Hohen Kommissare stehen am betreffenden Tag auf dem Teppich, den Vorsitz führt André François-Poncet. Der Franzose geht einen Schritt nach vorn, um den Deutschen zu begrüßen. «Ich machte mir diese Gelegenheit zunutze, ging ihm entgegen und stand somit gleichfalls auf dem Teppich. Keiner der Hohen Kommissare wendete sich dagegen», schreibt Konrad Adenauer in seinen «Erinnerungen 1945-1953».
Ein kleiner Schritt für den damaligen Bundeskanzler, und doch ein riesiger Fortschritt für das besetzte Deutschland. Es ist im Grunde ein unglaublicher Neubeginn, denn gerade einmal vier Jahre zuvor hatte die Situation noch ganz anders ausgesehen.
Granaten auf den zukünftigen Bundeskanzler
Das Kriegsende erlebt Konrad Adenauer bei seiner Familie im nordrhein-westfälischen Rhöndorf. Und anstatt mutig auf einen Teppich den Alliierten entgegenzutreten, muss sich der zukünftige Bundeskanzler im Garten seines Hauses schutzsuchend vor amerikanischem Feuer auf den Boden werfen. Die erste Granate schlägt zwölf Meter von ihm entfernt ein, die zweite sieben, die dritte fünf – «Danach rannte ich ins Haus zurück.». Insgesamt zwölf Einschläge prasseln herab, drei von ihnen treffen sein Haus an der Vorderseite und richten erhebliche Zerstörungen an, während die Rückseite deutsches Granatfeuer erhält.
Acht Tage lang wartet die Familie Adenauer im Weinkeller die Beschießungen und den Vormarsch der US-Armee über den Rhein ab. Dann ist es durchgestanden. «Die Anordnungen der Amerikaner waren zwar hart und drückend, aber für uns war der Kampf, der Krieg und der Nationalsozialismus vorbei, und das tröstete über manches hinweg. Auf der Rheinuferstraße rollten die amerikanischen Panzer, eine riesige Kolonne, in Richtung Köln.»
Eine demokratische Verfassung muss her
Und es sind die US-Amerikaner, die bei der zukünftigen Verwaltung von Köln auf Adenauers Erfahrungen setzen, der bereits von 1917 bis 1933 Oberbürgermeister war. Doch sein altes und neues Amt führt der Rheinländer nur fünf Monate lang bis Oktober 1945 aus. Bedeutender ist sein Wirken in der CDU, deren Führung Adenauer in der britischen Zone übernimmt. Anfang September 1948 wird er Präsident des Parlamentarischen Rates, der in Bonn tagt und eine Verfassung für einen zukünftigen westdeutschen Staat ausarbeiten soll.
Adenauer drängt die Teilnehmer dazu, zügig zu arbeiten und zu einem schnellen Abschluss zu kommen. Denn einige Nachbarstaaten schicken sich bereits an, eine europäische Föderation zu gründen. Der Europarat wird am 5. Mai 1949 ins Leben gerufen. Und zuvor war am 4. April 1949 in Washington die Unterzeichnung des militärisch-politischen Atlantikpaktes erfolgt. Bei all diesen richtungsweisenden Entwicklungen darf Deutschland als gleichberechtigtes Mitglied nicht fehlen oder gar den Anschluss verlieren, drängelt Adenauer. Auch bei der für die deutsche Wirtschaft so wichtigen Demontage-Frage und vielen anderen Angelegenheiten sollen die Besatzungsmächte nicht achtlos vorübergehen, sondern berücksichtigen, was eine deutsche Bundesregierung dazu zu sagen hat.
Der Parlamentarische Rat einigt sich schließlich an einem ebenfalls symbolhaften Datum. Adenauer: «Gegen Mitternacht des 8. Mai 1949 war die langwierige Prozedur der Abstimmungen beendet. Es war der vierte Jahrestag des Kriegsendes.»
Die formelle Bewilligung des Grundgesetzes durch die Militärgouverneure erfolgt am 12. Mai. Am 23. Mai wird die neue Verfassung in einem feierlichen Akt durch die Ministerpräsidenten und Landtagspräsidenten, in Anwesenheit von Vertretern der drei Westmächte, unterzeichnet.
Westintegration als Rettung vor der Sowjetunion
Deutschland ist zurück. Zwar immer noch in Trümmern, Not und Hunger leidend, überfüllt mit Flüchtlingen und Vertriebenen. Und zudem geteilt. Doch für Adenauer ist der demokratische Neubeginn Westdeutschlands die einzige Möglichkeit, dem sowjetischen Diktat zu entkommen, unter dem nun der Ostteil des untergegangenen Deutschen Reiches steht.
Aus heutiger Sicht scheint die von Konrad Adenauer (1876-1967) angestrebte Westintegration als plausibel und alternativlos. Doch in seinen Memoiren – entstanden in den Jahren nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Bundeskanzlers 1963 – erinnert er daran, dass Geschichte keinesfalls immer eine Einbahnstraße darstellt. Und schon gar nicht logisch ist.
Das große US-amerikanische Hilfsprogramm für das kriegsgebeutelte Europa, der so genannte Marshall-Plan, war nicht ohne eklatante Widersprüche. «Auf der einen Seite brachte, wie man anerkennen muss, der neue Industrieplan für die britisch-amerikanische Zone große Erleichterungen, aber die Demontagen und Zerstörungen großer Industrieanlagen wurden weiter fortgeführt.»
Die französische Seite hatte ohnehin starke Vorbehalte oder auch Angst gegenüber einem Wiedererstarken der Deutschen. Die Aussöhnung mit Frankreich wurde daher ein Kernelement der Politik Adenauers. Er unterstützte 1950 den Plan des französischen Außenministers Robert Schuman zur Gründung einer Zusammenlegung der deutschen und französischen Kohle- und Stahlproduktion, der über die Montanunion schließlich zum Vorläufer der Europäischen Gemeinschaft wurde.
Adenauer und seine Furcht: Deutschland eingekeilt zwischen zwei Machtblöcken
Die Einbindung der amerikanischen, britischen und französischen Zone in den Westen schien – zumindest kurz nach Kriegsende – ebenfalls nicht als vorgezeichnet. Während die Russen laut Konrad Adenauer von Anfang an eine klare Politik in Bezug auf Deutschland betrieben – «Ihr Ziel war, ganz Deutschland in ihren Machtbereich einzubeziehen.» –, erkannten die Westalliierten diese Gefahr offenbar nicht und zeigten keine Einigkeit. «Wir befanden uns durch unsere geographische Lage zwischen zwei Machtblöcken, die völlig gegensätzliche Lebensideale verfochten. Wir mussten entweder zur einen oder zu anderen Seite, wenn wir nicht zerrieben werden wollten.»
Welche Seite das sein würde, darüber lässt Adenauer keinen Zweifel. Totalitarismus oder Demokratie? Satellitenstaat oder ein freies Land? Planwirtschaft oder Marktwirtschaft? Insbesondere ein möglicher russischer Angriff beunruhigte Adenauer. «Das Schicksal des unglücklichen Koreas wäre dann unser Schicksal.» Doch würde eine Westintegration der BRD nicht geradezu als eine Provokation verstanden und sogar einen Krieg herbeiführen? «Ich war fest überzeugt davon, dass das nicht der Fall sein würde.» – Er sollte Recht behalten.