Von der rechten Weise, die Macht in der Politik einzusetzen
Der Florentiner Nikolaus Machiavelli hat wie kein anderer Humanist des 15. und 16. Jahrhunderts die Leser seines Werkes Il Principe (Der Fürst) gespalten. Für die einen war es die Anleitung zu Machtabsicherung, für andere wurde sein Handbuch zur Staatsführung als Auswuchs von Machtgier und zum politischen Gewaltaufruf als «Machiavellismus» kritisiert.
Peter Downes, Historiker
Vor 550 Jahren, am 3. Mai 1469, wurde Nicollò Machiavelli in Florenz geboren. Er kam in einer Zeit zur Welt als Lorenzo di Medici, der Prächtige, die Regierung in Florenz übernahm. Aus dem mittleren Florentiner Beamtentum stammend verschaffte er sich solide Kenntnisse in Latein und über die Literatur der römischen Antike. Leider weiß man nichts über seinen beruflichen Werdegang. Mit 29 Jahren, im Jahre 1498, tritt er aber dann in den Staatsdienst. Als Sekretär der «Zweiten Kanzlei», einer Art Kriegs- und Außenministerium und zugleich als Sekretär des «Rats der Zehn» betritt er die politische Bühne in turbulenten Zeiten. Florenz befand sich in einer innenpolitischen wie außenpolitischen Krise. Karl VIII. von Frankreich hatte seine Erbansprüche in Neapel angemeldet. Aber auch die Gebietsinteressen der Renaissancepäpste Alexander VI. und Julius II., wie auch kaiserliche Interessen, zogen die italienischen Republiken in zahlreiche Konflikte.
Es war eine Zeit des Übergangs. Florenz war in eine wirtschaftliche Krise geraten, die Franzosen hatten die Kapitulation der Republik erwirkt, und soeben hatte die vierjährige Theokratie des Dominikanermönchs Girolamo Savonarola in Florenz mit dessen Hinrichtung ihr Ende genommen. Die nächsten vierzehn Jahre stand die Republik Florenz nun unter der Leitung des Republikaners Piero Soderini, der die Außenpolitik in die Hände seines Vertrauten Nikolaus Machiavelli legte. Als Sekretär wurde Machiavelli mit diplomatischen Missionen beauftragt, mittels derer das mit Frankreich verbündete Florenz möglichst aus drohenden Kampfhandlungen herausgehalten und die Geschlossenheit seines Staatsgebietes entweder gesichert oder wiederhergestellt werden sollte. So musste er sich viermal an den Hof Königs Ludwigs XII. von Frankreich begeben, traf zweimal in der Romagna mit Cesare Borgia, dem Sohn Alexanders VI., zusammen, suchte zweimal den Papst Julius II. in Rom auf und wurde zweimal am kaiserlichen Hofe Maximilians I. vorstellig.
Diese politischen Erfahrungen spiegeln sich denn auch in seinem Werk nieder. Die stetigen Unruhen, Konflikte und Kriege, denen die italienischen Fürstentümer und Republiken ausgesetzt waren, bereiteten ihm große Sorge. Er sehnte sich nach einem vereinten Italien, ohne fremde Mächte. In diesem Sinne ist dann auch sein Werk Il Principe zu verstehen. Ein Ratgeber zur Errichtung stabiler Machtverhältnisse.
Vom Staatsmann zum Schriftsteller
Als die Spanier 1512 Florenz eroberten, kehrten die Medici wieder an die Macht zurück. Piero Soderini musste fliehen und Machiavelli verlor seinen Posten und musste sich ins Privatleben zurückziehen. Ihm wurde untersagt das Florentiner Gebiet zu verlassen. Dies ist die Zeit, in der er zum Schriftsteller wird.
Obwohl er Il Principe dem eher farblosen Lorenzo di Medici (1492 – 1519) widmet, sollte er nicht mehr in die hohe Staatspolitik zurückkehren. Er musste sogar die Folter ertragen, als im Februar 1513 ein junger Verschwörer eine Liste verliert, auf der sich der Name Machiavellis befand. Trotz dieser Widrigkeiten ersehnt er sich, wieder in den Staatsdienst treten zu können. Den Il Principe verfasste er in dieser Zeit. Die Schrift erschien allerdings erst fünf Jahre nach seinem Tod, im Jahre 1532. Sie spiegelt seine Hoffnungen, aber auch seine vielfältigen politischen Erfahrungen wieder. Eine ihrer Eigenarten besteht darin, dass er zwar über die rechte Politik eines Fürsten reflektiert, zugleich aber die Republik als die beste Staatsform preist und sich letztendlich ein vereintes, republikanisches Italien wünscht.
Als er dann 1520 eine Stadtgeschichte von Florenz herausgibt, scheinen in ihm wieder die Hoffnungen auf einen politischen Neuanfang aufzuflammen. In ihr glorifiziert er den Medici Lorenzo, den Prächtigen. Im darauffolgenden Jahr wird er politisch rehabilitiert und schafft es dann noch 1526 mit der Verstärkung der Festigungsmauer beauftragt zu werden. Das Blatt wendet sich dann aber wieder gegen ihn, als im darauffolgenden Jahr die Medici wiederum durch einen Aufstand aus Florenz verjagt werden. Wieder kehrte die Republik zurück. Nikolaus mochte wohl auf eine zweite Chance und auf einen hohen Posten hoffen, musste nun aber erleben, dass die Zeiten nicht mehr günstig für ihn standen. Seine Bewerbung wurde mit lediglich zwölf von 600 Wahlmännerstimmen eine Niederlage, denn mittlerweile galt er den Republikanern als eine Marionette der Medici. Inzwischen verarmt und krank stirbt er kurz danach am 22. Juni 1527 im Alter von 58 Jahren.
Der Zweck heiligt die Mittel
Was an seinem Werk Il Principe besonders heraussticht, ist die scheinbare Umkehr der Moral. So rät er aufstrebenden Fürsten, sich der Gewalt, List, Lügen und Grausamkeit zu bedienen, wenn sie sich dadurch ihre Herrschaft sichern können. Es klingt geradezu wie ein Bruch mit den antiken Tugenden eines Aristoteles oder der theologischen Werke eines Thomas von Aquino, in denen das Gute stets zum höchsten Gut zählte. Das Gute und Böse verschwimmen bei Machiavelli zu relativen Handlungsweisen. So scheint es ihm durchaus angebrachter zu sein, sich durch ein gezieltes und zeitlich begrenztes machtvolles Handeln, eingeschlossen des Einsatzes von Gewalt oder Grausamkeit, Autorität zu verschaffen.
Das Ziel muss es stets sein, eine stabile Herrschaft zu errichten oder zu bewahren und dazu rechtfertigen sich eben auch Mittel, die geläufig als moralisch verwerflich erscheinen. Man muss die rechten Maßnahmen zur rechten Zeit anwenden. Tatendrank und Willenskraft sind die Tugenden, die Machiavelli betont. Heute würde man wohl von Führungskompetenzen sprechen. Durchsetzungswille und Entschiedenheit stehen über moralische Werte.
Der Fürst müsse die Zeichen der Zeit erkennen und dann die Gelegenheit nutzen, die sich ihm bietet, um die geeigneten Maßnahmen für seine Ziele einzusetzen. Glück und Tatendrang bestimmen das Schicksal eines Regierenden. Allerdings bemerkt er auch kritisch, dass es einer Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit bedarf, um dann sein Handeln den zeitlichen Veränderungen entsprechend erfolgreich auszuführen. Tatsächlich aber hält Machiavelli den Menschen für unfähig, sich in seinem Wesen zu wandeln, so dass sein Erfolg am Ende doch eher vom Glück der Umstände bestimmt oder zumindest zeitlich begrenzt ist.
Die Grausamkeit von Cesare Borgias
Seine Bewunderung für die Grausamkeit Cesare Borgias bei dessen Eroberung der Romagna erscheinen uns eher befremdlich, sind aber im Kontext der Verhältnisse Italiens im frühen 16. Jahrhundert wohlmöglich verständlich. Machiavelli lobt dabei nicht die Gewalt und Grausamkeit an sich, sondern rechtfertigt sie als punktuelle und gezielte Maßnahmen um etwas Positives, nämlich den Frieden und die Ordnung herzustellen.
Das Endziel des Fürsten muss es aber sein, dem Wohl des Volkes zu dienen. Er muss es vermeiden vom Volk gehasst zu werden. Furcht aber kann durchaus ein geeignetes Mittel sein, um sich Autorität zu sichern. Am Ende geht es immer wieder um Entscheidungswillen und Tatendrang mit Blick auf das Wohl des Volkes.
Die Relativität des moralischen Handelns steht bei Machiavelli unter einer pragmatischen Zielsetzung. Die verwendeten Mittel verlieren ihre moralischen Kategorien, wenn sie zu einem guten und angestrebten Ergebnis führen. So kann Lügen notwendig erscheinen, um ein Übel zu verhindern und Ehrlichkeit töricht sein, wenn es zum Verderben führt.
Machiavelli ruft also nicht zur Gewalt um der Gewalt willen auf, sondern rechtfertigt deren Einsatz, wenn sie zu etwas Guten führt. Man muss dabei noch beachten, dass er ein pessimistisches Menschenbild hat. Er unterstellt den Menschen eine grundsätzliche Neigung zum Bösen, weshalb ein Fürst sich vor ihnen in Schutz nehmen muss und entsprechend gegenzusteuern hat.
Machtausübung in der Politik
In der gegenwärtigen Weltpolitik wird häufig mit Macht und Gewaltandrohungen hantiert. Strafzölle, Sanktionen, Kriegsandrohungen und ähnliche Maßnahmen sind regelmäßige Mittel der Politik geworden. Auch Lügen ist in der Politik in Mode gekommen.
Ob diese Verhaltensweisen aber Regierungen stärken und an der Macht halten können, hängt letzten Endes davon ab, ob sie Rückhalt im Volk haben. Denn die entscheidende Lehre Machiavellis ist, dass sich ein Fürst (Staatsführer) niemals den Hass des Volkes zuziehen sollte, denn dann ist seine Macht nur eine Frage der Zeit.
Das Volk zu spalten scheint ebenfalls gefährlich, denn die Stärke eines Staates ergibt sich aus ihrem Zusammenhalt, und dazu braucht es eine starke Führungskraft, oder mit den Worten Machiavellis einen tatkräftigen Fürsten.
Il Principe bietet stets zahlreiche interessante Vergleiche mit der Gegenwart, die zum Überdenken der geeigneten Mittel in der Politik anregen. Heiligt der Zweck wirklich die Mittel? Oder sollte man politisches Handeln doch besser an moralischen, ethischen und humanistischen Werten orientieren?
Vortrag im DCB
Am Donnerstag, den 30. Mai, hält der Historiker Peter Downes um 19.30 Uhr im DCB, Av. Vitacura 5875, Vitacura, den Vortrag «Nicolás Machiavelli: la cuestión del uso del poder en la política. (A los 550 años de su nacimiento; 3 de mayo de 1469)».