Abenteuer und Entdeckungen des Naturforschers in Chile – Teil 2
Der britische Naturforscher und Begründer der Evolutionstheorie Charles Darwin erreichte Chile 1834 auf seiner fünfjährigen Reise um die Welt mit dem Forschungsschiff HMS Beagle. Mit seinen in den Anden gewonnenen Erkenntnissen wird er die Welt in Aufruhr versetzen.
Von Alois Schmidt
Die Beagle hat sich inzwischen dem Hafen von Valparaíso genähert und wird in dem Küstenabschnitt für längere Zeit Vermessungen vornehmen. Darwin nutzt die Zeit, um sich in der Umgebung umzuschauen. Umschauen sollte auch ich mich nach den Orten, zu denen der Forscher in Mittelchile Exkursionen unternahm. Der Wissenschaftsjournalist Jürgen Neffe hatte nämlich über Vermittlungen zu mir Kontakt aufgenommen. Er war dabei, im Kielwasser der Beagle die Welt zu umrunden und dann eine neue Biografie über einen der erfolgreichsten Aufklärer aus Anlass dessen 200. Geburtstages zu schreiben: Charles Darwin.
Dieser Begegnung verdanke ich den Einblick in dessen Tagebücher, welche Jürgen auf seinem Laptop gespeichert hatte und die wir bei der Planung unserer Ortsbesichtigungen heranzogen. Es gefällt Darwin anscheinend, aus der Vogelperspektive auf die unter ihm liegende Landschaft zu schauen. Gern beschreibt er diese in seinem Tagebuch (1834). Also kraxeln wir zur La Campana, mit 1.880 Metern der höchste Berg der Küstenkordillere. Wir erreichen die Plakette, welche das Ereignis für die Nachwelt festhält.
Auf den Spuren eines Maultierpfades nach Argentinien
Der wichtigste Teil unseres Unternehmens soll aber in der Auffindung des damaligen Maultierpfades nach Argentinien bestehen. Dabei findet Darwin etwas ganz anderes als das, was er suchte. Was schreibt er in seinem Reisebericht, der 1839 erschien:
«Diese Berge existieren als große Barriere, und daher sollten wir zwischen den organischen Wesen auf den gegenüberliegenden Seiten der Anden keine größere Ähnlichkeit erwarten als zwischen jenen an den gegenüberliegenden Küsten eines Ozeans, es sei denn, wir gehen davon aus, dass dieselbe Art an zwei verschiedenen Orten entstanden ist.»
Der letzte Halbsatz war für die Kreationisten gedacht, welche an der wörtlichen Aussage des Schöpfungsberichtes festhielten und es bis heute tun. Also: Wenn zwei Gruppen einer Art durch räumliche Trennung den Kontakt verlieren, entwickeln sie sich auseinander und bilden schließlich zwei Arten.
Fossile Muscheln gegen Höhenkrankheit
«Die Kurzatmigkeit durch die dünne Luft wird von den Chilenen Puna genannt. Ich verspürte eine leichte Enge um Kopf und Brust. Die Bewohner empfehlen dagegen Zwiebeln. Bei mir wirkt nichts so gut wie die fossilen Muscheln.» Da spricht er es aus! Wie kommen Ablagerungen vom Meeresboden in eine Höhe von 4.000 Metern? Tagtäglich wird es dem Geologen vor Augen geführt, dass nichts, nicht einmal der Wind, so instabil ist wie die oberste Erdkruste! So sammeln sich in Darwins Denken über das Zusammenwirken des Geschehens Tatsachen an, die schließlich zu bahnbrechenden Erkenntnissen führen.
Nach der Rückkehr von Charles Darwin nach England, die Reise hat eben doch fünf statt der geplanten zwei Jahre gedauert, sucht der Weltreisende nach Anknüpfungspunkten für eine verständliche Darstellung seiner Gedanken über die Evolution. 1839 notiert er: “Natürliche Zuchtwahl”. Züchtet man Haustiere, wie Darwin es schon als Knabe bei seinen Tauben tat, kann man durch Paarung über mehrere Generationen bestimmte Merkmale verstärken. In der Natur erfolgt die Anpassung durch die beste Eignung an herrschende Lebensbedingungen. Die Idee bekommt einen Namen: Natürliche Zuchtwahl.
Selektion des Gewünschten
Noch fehlt ein zweiter Baustein zu seiner Erklärung der Evolution. Bei der Lektüre eines Buches von Thomas Malthus stößt er darauf: Die Folge einer ungebremsten Vermehrung der Menschen wird eine Hungersnot sein! Daher wird ein Kampf ums Daseineintreten. Der Stärkste überlebt! Den Letzten aber beißen die Hunde! Wendet man den Gedanken auf gezüchtete Lebewesen an, nennt man das die Selektion des Gewünschten, oder mit anderen Worten «die Vernichtung des Nachteiligen». Genau das passiert auch in der Natur.
Das Zusammengehen der beiden Ideen entspricht ganz der mechanistischen Denkvorstellung des Rationalismus. Darwins Hypothese zündet. Der Gedanke der Abstammung wird mit Händereiben oder Händeringen aufgenommen. Das hat sich bis heute nicht geändert.
Geht Darwins Theorie davon aus, dass der überlebt, welcher den gerade herrschenden Gegebenheiten am besten angepasst ist, so weist Lovelock darauf hin, dass umgekehrt Lebewesen die Bedingungen oft selbst geschaffen haben, welche ihnen die Existenz ermöglichen. Zwischen Tieren und Pflanzen findet ein Recycling von Sauerstoff und Kohlendioxid statt. Wälder stellen die Böden selbst her, auf denen die Bäume gut gedeihen.
Rätsel um das Erbgut
Noch muss die Biologie auf ihren Albert Einstein, auf ihren Max Planck warten, der erklärt, woran Darwin selbst bis zu seinem Tod herumrätselte:
«Sein Leben lang wird Darwin die Frage beschäftigen, wie das Neue in die Welt des Lebens kommt und welche Rolle dabei der Zufall spielt. Die natürliche Auslese allein kann keine neuen Arten erzeugen. Wenn sie wie ein blinder Züchter aus dem Erbgut zweier Eltern der gleichen Art auswählt, dann lässt sich zwar der Weg vom wilden Tier zum Haustier erklären, vom Wolf zum Hund und weiter zur Bulldogge oder zum Bernhardiner. Um aber aus niederen Formen höhere zu entwickeln, aus primitiven Würmern komplexe Warmblüter, aus Affen Menschen, muss irgendetwas in den Lebewesen stecken, das von Generation zu Generation weitergereicht wird und sich dabei verändern kann.»
Aus: «Darwin. Das Abenteuer des Lebens», Jürgen Neffe. C. Bertelsmann, München 2008.
Der Autor Jürgen Neffe war 2007/2008 sieben Monate rund um den Globus unterwegs, um der Reiseroute von Charles Darwin zu folgen. In Chile unterstützte ihn Cóndor-Autor Alois Schmidt bei der Besteigung von La Campana.
Ende der zweiteiligen Serie