Das Bauhaus gab es nur wenige Jahre. Trotzdem wurde es zu einer der wichtigsten Kunstschulen der Welt. Dahinter steht auch die Idee, Design für viele zu machen. Das geht nicht ganz auf.
Berlin (dpa) – Wer heute ein Stück Bauhaus will, stellt sich zum Beispiel die Kugellampe ins Wohnzimmer. Oben rundes Glas und unten ein Metallfuß. Die Wagenfeld-Leuchte ist eines der Designbeispiele für das Bauhaus, ebenso der Stahlrohrstuhl Freischwinger. Mit der Gründung der Kunstschule hat Architekt Walter Gropius vor 100 Jahren Geschichte geschrieben. Aber was war das Bauhaus eigentlich?
«Ich finde es immer extrem schwierig, von «dem Bauhaus» zu sprechen», sagt Architekt Philipp Oswalt, der an der Universität Kassel unterrichtet. Das Bauhaus habe zwar nur 14 Jahre bestanden, bis es unter dem Druck der Nationalsozialisten geschlossen wurde. «Aber die Entwicklung ist sehr dynamisch gewesen.»
Klare Linien, weiße Fassade, Flachdach
Heute denkt man an klare Linien und Grundfarben. Die Kinderwiege von Peter Keler etwa besteht aus Kreisen, Dreiecken, Rechtecken. Das typische Bild von Wohnsiedlungen zeigt weiße Fassade und Flachdach. Dass vor allem solche Beispiele in den Köpfen geblieben sind, ärgert manchen Experten. Aber dazu später mehr.
Als Gropius 1919 in Weimar das «Staatliche Bauhaus» gründet, haben die Menschen gerade den Ersten Weltkrieg hinter sich. Und Deutschland schafft seine erste Demokratie, die nur kurz währen soll. Die neue Kunsthochschule in Thüringen soll Handwerk, Architektur, Kunst und Leben verbinden – quasi als Versuchslabor für eine neue, humanere Gestaltung der Gesellschaft. Lehrer wie Lyonel Feininger, Paul Klee, Wassily Kandinsky und László Moholy-Nagy machen sie im Laufe der Zeit zum Treffpunkt der Avantgarde.
«Die Schule will natürlich auch Gestalter ausbilden», sagt Oswalt. Aber es habe die Idee gegeben, den Alltag und die Gesellschaft zu verändern. «Das ist etwas, was man mit dem Bauhaus sehr stark verbindet: Die Erwartung, dass der Gestalter in die Gesellschaft hineinwirkt und zur Verbesserung der Alltagswelt beiträgt.»
Kunst und Technik als neue Einheit
1923 komme der Slogan «Kunst und Technik – eine neue Einheit» auf. Dort schwinge wiederum die Vision einer «technisch-künstlerischen Elite» mit, einer «Expertokratie», sagt Oswalt. Hat die Gruppe wirklich Design für den Alltag von vielen gemacht? «Die Bauhäusler haben zwar versucht, die Dinge in Kooperation mit der Industrie seriell aufzulegen und einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen», erklärt Kuratorin Nina Wiedemeyer, die für das Bauhaus-Archiv Berlin eine Jubiläumsausstellung plant. Aber man dürfe das aus ihrer Sicht nicht am heutigen Maßstab messen.
«Die uns heute am meisten bekannten Bauhaus-«Ikonen», wie Breuers Stahlrohrsessel oder die Wagenfeld-Lampe, sind schon damals recht teuer gewesen», erklärt Wiedemeyer. «Der Grund war natürlich das teure Material, das verarbeitet wurde, die kleine Auflage und die Handanfertigung. Es gab keine industrielle Massenproduktion.»
Aus ihrer Sicht wirkt aber vieles nach. «Alleine die Tatsache, dass die Ideen des Bauhauses bis heute wirken und so viele Designer auf der Welt inspirieren, zeigt doch, dass das Versprechen, Design für den Alltag und für viele zu machen, eingelöst wurde», schreibt sie.
Einen Bestseller habe es später auch gegeben. Die Tapete. Das erklärt auch Architekt Oswalt. Der zweite Bauhaus-Direktor Hannes Meyer habe das Ziel «Volksbedarf statt Luxusbedarf» verfolgt. Die Tapeten seien viel produziert worden. «Es ist noch nicht Ikea, aber kurz davor.»
Weltkulturerbe in Weimar, Dessau und Bernau
Auch Architekten denken Wohnen neu, etwa mit der Siedlung Dessau-Törten oder dem Weimarer Musterhaus «Am Horn». Die Unesco zählt die Bauhaus-Stätten in Weimar, Dessau und Bernau zum Welterbe: «Die Bauwerke basieren auf dem Funktionsprinzip, die Form der Gebäude verweigert sich den traditionellen, historischen Repräsentationssymbolen.»
Das Bauhaus zieht im Laufe der Jahre mehrmals unter politischem Druck um. Von Weimar nach Dessau nach Berlin. Dort durchsucht die Polizei 1933 das Gebäude, Studierende werden festgenommen. Im Juli löst sich das Bauhaus auf. Die Nazis stufen Werke einiger Künstler später als «entartete Kunst» ein. Viele Künstler gehen ins Ausland.
Heute findet man Bauhaus auch in Chicago oder in der «Weißen Stadt» von Tel Aviv. Das Bauhaus sei vielleicht «der bedeutendste deutsche Kulturexport in die Welt im 20. Jahrhundert», sagte Architekturhistoriker Winfried Nerdinger im «Deutschlandfunk».
100 Orte mit Bauhaus zu erkunden
Zum Jubiläum ist nun viel Programm geplant. Drei neue Museen entstehen in Weimar, Dessau und Berlin – 52 Millionen Euro gibt es dazu vom Bund. Auch der Einfluss auf Tanz, Theater, Film und Musik soll beleuchtet werden. Bei einer «Grand Tour der Moderne» können Fans 100 Orte erkunden. Der Reiseführer «Lonely Planet» empfiehlt Deutschland, auch eine TV-Serie und ein Fernsehfilm sind geplant.
Kuratorin Wiedemeyer sieht derzeit das Problem, dass vieles aus der Moderne automatisch mit dem Bauhaus gleichgesetzt wird. «Weil man mittlerweile glaubt, dass ein Haus mit flachem Dach schon Bauhaus ist.» Damit machten viele auch Werbung.
Das beschreibt auch Oswalt, der früher mal Bauhaus-Direktor in Dessau war, dessen Vertrag aber nicht verlängert wurde. Heute werde oft ein Mythos beschworen. «Es werden immer die gleichen Produkte hoch und runter gebetet.» Das Interessante am Bauhaus seien aber die Suche und das Widersprüchliche, auch das Scheitern und die Krisen.
Viele Objekte seien Lifestyle-Produkte gewesen und bis heute geblieben. Bei der Wagenfeld-Lampe gebe es eine Ironie: Man habe anfangs versucht, sie als Nachttisch- oder Schreibtischlampe zu verkaufen. «So funktioniert sie aber gar nicht.»
Die Lampe eigne sich ja weniger zum Lesen, sondern schaffe ein diffuses Licht. «Aber nichtsdestotrotz gab es einen Bedarf dafür», sagt Oswalt. «Es ist in einer Weise ein leuchtendes Markenzeichen: «Ich bin Bauhaus. Ich bin moderne Skulptur».»
Das Bauhaus in Chile
Von Petra Wilken
Nachdem die Nationalsozialisten die Bauhaus-Lehre in Deutschland verboten, sind zahlreiche ihrer Meister und Ex-Schüler ins Ausland gegangen, wodurch sich der Einfluss des avantgardistischen Designs in der Welt verbreitete. Nach Lateinamerika sollen etwa 20 Bauhäusler entweder auf Dauer oder für Lehraufträge gegangen sein.
Auch die Geschichte der Architektur Chiles des 20. Jahrhunderts ist stark vom Bauhaus geprägt. Zahlreiche öffentliche Gebäude, Krankenhäuser, Sozialwohnungen, aber auch private Wohnblocks und Einfamilienhäuser sind zwischen den 1930er und 1970er Jahren nach Vorbildern des Bauhauses entstanden.
In Chile auf der Suche nach neuen Horizonten der Architektur
Nach Chile kamen Bauhaus-Meister wie der ungarische Architekt und Stadtplaner Tibor Weiner (1906 – 1965) und der deutsche Maler und Kunstpädagoge Josef Albers (1888 – 1976). Sie fanden ein Land mit konsolidierten Architekturschulen vor, die nach neuen Horizonten suchten. Albers wurde 1953 von der Fakultät für Architektur der Universidad Católica eingeladen, um einen Kurs über das Bauhaus-Modell zu leiten. Allein damit ist er in die Geschichte des Farbdesigns in Chile eingegangen.
Tibor Weiner emigrierte 1939 nach Chile, wo er bis 1948 lebte und als freier Architekt mehrere bedeutende Projekte leitete. Der Ungar war maßgeblich am Wiederaufbau von Concepción, Chillán, Los Ángeles und Lebu nach dem verheerenden Erdbeben von 1939 beteiligt. Gemeinsam mit dem chilenischen Architekten Ricardo Müller baute er 1940 den Mercado Central von Concepción. Das neuartige Struktursystem mit parabolischen Betonbögen bis zu 50 Metern Höhe strotzte den Erdbeben von 1960 und 2010, bis die Markthalle 2013 bei einem Brand stark beschädigt wurde. In Chillán baute Weiner das Gebäude der örtlichen Feuerwehr. Zudem hatte der Ungar eine Professur an der Universidad de Chile inne. Ihm wird die 1946 eingeleitete Reform des Architekturstudienganges zugeschrieben, die von Bauhausgrundsätzen geprägt war.
Chile brauchte ein neues Konzept für den Städtebau
Warum hat sich das Bauhaus in Chile durchgesetzt? «Das Bauhaus war erfolgreich aufgrund der Folgen der Wirtschaftskrise von 1929, die Erdbebenschäden im Land und dem Bedarf, eine höhere Bebauungsdichte zu erreichen», erklärt Fernando Imas Brügmann, Restaurator und Fachmann für den Erhalt von Bausubstanzen. «Chile brauchte ein neues Konzept für den Städtebau. Den Bewohnern sollte eine strengere Architektur ohne Ornamente angeboten werden, die durch Funktionalität überzeugen musste. Dabei setzten sich Materialien wie Sichtbeton, Glas und Metall durch. Das Bauhaus bot all dies», erklärt Imas Brügmann im Gespräch mit dem Cóndor.
«Chillán wurde nach dem Erdbeben von 1939 auf unter diesen Vorgaben wieder aufgebaut. In Santiago bestechen Gebäude wie das der CEPAL (Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika) oder die Klinik Santa María bis heute mit ihrer Funktionalität und Monumentalität», findet Imas Brügmann. Die Klinik Santa María ist 1939 von den Architekten Eduardo Costabal und Andrés Garafulic gebaut worden. Das Gebäude der CEPAL stammt von den Architekten Roberto Goyocoolea, Christian de Groote und Emilio Durhart. Letzterer studierte mit dem Bauhaus-Gründer Walter Gropius höchstpersönlich, als dieser in Harvard lehrte.